Von Roland Röder
Saarländisches Staatsversagen mit auf der Anklagebank
Seit Mitte November 2022 wird der Mord an Samuel Yeboah vor dem Oberlandesgericht Koblenz verhandelt. Vor Gericht steht Peter S., der damals der rechten Szene angehörte. Er sitzt seit 4. April 2022 in U-Haft und soll für den Brandanschlag am 19. September 1991 auf das Asylbewerberwohnheim in Saarlouis-Fraulautern verantwortlich sein. Dabei starb Samuel Yeboah, 20 BewohnerInnen überlebten und blieben traumatisiert zurück. Täter wurden damals nicht ermittelt. Dieses Ermittlungsergebnis deckt sich mit vielen weiteren Brand- und Bombenanschlägen im Saarland seit den 1980er-Jahren. 30 Jahre lang geschah seitens der Landesregierungen – Oskar Lafontaine, Reinhard Klimmt, Peter Müller, Annegret Kramp-Karrenbauer, Tobias Hans – nichts.
Anklageführer ist die Generalbundesanwaltschaft (GBA). Die übernahm 2020, fast 30 Jahre nach dem Anschlag, die Ermittlungen und erteilte saarländischen Behörden den Arbeitsauftrag, ZeugInnen aus dem Umfeld des Verdächtigen vorzuladen und zu befragen. Rund 200 Menschen wurden befragt, 44 sollen in der Anklageschrift vor dem OLG aufgeführt sein.
Warum wird jetzt ermittelt? Offiziell wird eine Zeugin angegeben, die von einer Selbstbezichtigung des Angeklagten berichtet. Allerdings haben dazu drei andere Entwicklungen entscheidend beigetragen, die in solch einem Prozess, der nach individueller Schuld sucht, gar nicht erst zur Sprache kommen. In den Jahren 2000 bis 2007 hat der »Nationalsozialistische Untergrund – NSU« neun MigrantInnen und eine Polizistin ermordet. Am 2. Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) von einem bekannten Rechtsextremisten regelrecht hingerichtet. Diese Fälle zeigen, dass auch Vertreter des Staates von Rechts ins Visier genommen werden. Vor allem aber, dass rechte Gruppen bewaffnet und bereit sind zu schießen. Spätestens im NSU-Prozess (2013–2018) zeigte sich, dass mehrere staatliche Stellen in das NSU-Umfeld involviert waren: Neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) unter seinem Präsidenten (2012–2018) Hans-Georg Maaßen, das unter anderem NSU-Akten schredderte und sie damit dem Prozess vorenthielt, waren es drei weitere Inlandsgeheimdienste aus Hessen, Thüringen und Sachsen.
Unfreiwillig geriet Maaßen zum Beschleuniger von staatlichen Ermittlungen gegen Rechts. Er machte keinen Hehl daraus, wie negativ er Flüchtlinge betrachtet bei gleichzeitigen Sympathien für die AfD und deren Umfeld. Er wurde zunehmend zur persona non grata und musste vom CSU-Innenminister Horst Seehofer entlassen werden. Gleichzeitig provozierte dies die Frage, warum er so lange Behördenchef sein konnte. Das staatliche Legitimationsproblem im Umgang mit rechter Gewalt war offensichtlich.
Seit 30 Jahren Ruf nach Aufklärung und Gerechtigkeit
Seit dem Mord an Samuel Yeboah haben drei Organisationen die Erinnerung an Samuel Yeboah wachgehalten und sich der staatlichen Schweige- und Bagatellisierungsspirale verweigert: der Saarländische Flüchtlingsrat, die Aktion 3. Welt Saar und die Antifa Saar / Projekt AK. Diese drei haben mit Unterstützung von anderen Gruppen und Personen 30 Jahre lang eine Fülle von Aktivitäten kreiert und auf der Tastatur der politischen Öffentlichkeitsarbeit gespielt. Letztlich haben sie sich mit diesem saarländischen Staatsversagen, das sich im Aussitzen, Verschweigen und Wegschauen äußerte, nie abgefunden und kontinuierlich Aufklärung eingefordert.
Das aktive staatliche Desinteresse an Aufklärung lässt sich exemplarisch an drei Veranstaltungen belegen. Als am 8. Oktober 1996 im Saarlouiser selbstverwalteten Jugendzentrum KOMM die einzige kritische Veranstaltung zur akzeptierenden Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen stattfand, mussten die 120 BesucherInnen durch ein Polizeispalier zum Veranstaltungsort gehen. Dieses Projekt war mitverantwortlich dafür, dass die rechte Szene in Saarlouis zeitweise gesellschaftsfähig wurde.
Als am 19. September 2001 nach einer Gedenkkundgebung und -demonstration am Rathaus Saarlouis eine Gedenktafel (»In Erinnerung an / Samuel Yeboah / Flüchtling aus Ghana / am 19. September 1991 durch / einen rassistischen / Brandanschlag in / Saarlouis ermordet«) angebracht wurde, wurde sie sofort von der Stadt abmontiert. Die Veranstalterin wurde von der Stadt Saarlouis vier Jahre lang mit einem Prozess wegen Sachbeschädigung des Rathauses überzogen. Saarlouis bekam am Ende 134,50 € Strafe zugesprochen.
Als am 19. September 2006 eine Schwester von Samuel Yeboah an der Gedenkveranstaltung in Saarlouis teilnahm, zusammen mit VertreterInnen aus Mölln und Solingen, die berichteten, wie man dort mit den rechtsradikalen Anschlägen umgeht, weigerte sich die Stadt Saarlouis, diese zu empfangen.
Im September 2021 stellte die Stadt Saarlouis am Tatort eine Informationstafel auf, mit der sie zum ersten Mal zugab, was nach den GBA-Ermittlungen nicht mehr zu leugnen war: Es war Mord. Gleichzeitig bleibt sie ihrer Linie »Erinnern ohne Vergangenheit« treu und blendet ihr eigenes Wegschauen sowie die damalige Existenz einer rechten Szene in Saarlouis weiterhin aus. Und es gab noch zwei weitere »offizielle« Gedenkveranstaltungen: Kranzniederlegung und Ökumenischer Gottesdienst. Der Saarlouiser OB Peter Demmer (SPD), der zum Tatzeitpunkt Polizist in Saarlouis war, nahm an keiner der drei teil. Ebenso verweigert Saarlouis bis heute den Dialog mit dem Flüchtlingsrat, der Antifa Saar und der Aktion 3. Welt Saar.
Ein Prozess ist keine politische Aufarbeitung
Der Prozess am OLG Koblenz kann eine juristische Aufarbeitung leisten und die individuelle (Nicht-)Schuld klären. Was er aber per se nicht leisten kann, ist die politische Aufarbeitung des saarländischen Staatsversagens. Das Problem der Existenz von rechten Strukturen und der von ihnen ausgehenden Gewalt lässt sich weder pädagogisch durch Sozialarbeit noch juristisch durch Verfahren bekämpfen. Ein politisches Problem lässt sich am besten politisch lösen.
Die gesellschaftliche und parteipolitische Mitte gab um 1990 die nationalistischen Stichworte vor, die von Rechtsaußen als Aufforderung zur Gewalt verstanden wurden. Flüchtlinge wurden sprachlich entmenschlicht, als Fluten, Wellen, Ströme dargestellt und mit Heuschrecken assoziiert, die über das arme, schutzlose Deutschland herfallen. Medien wie Spiegel und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) machten den Spruch »Das Boot ist voll« der Rechtsaußenpartei »Die Republikaner«, mit dem schon 1942 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland von der Schweiz abgewiesen wurden, populär. Der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine befeuerte diese Debatte mit nationalistischen Parolen, stichelte gegen Flüchtlinge und Aussiedler, sah den deutschen Arbeiter bedroht und besorgte letztlich die SPD-Stimmen, um im Bonner Bundestag im Mai 1993 den Artikel 16 des Grundgesetzes »Politisch Verfolgte genießen Asyl« zu entkernen.
Die Aufnahme der Ermittlungen durch die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe hat ein bis dato nie da gewesenes Medieninteresse am Mordfall Yeboah geweckt. Viele überregionale Medien wie Spiegel, Stern, Zeit, Süddeutsche Zeitung, die ARD-Tagesthemen berichten seitdem ausführlich. Ebenso die Saarbrücker Zeitung und Saarländischer Rundfunk. Allerdings kommt die politische Einordnung des Mordes manchmal zu kurz vor. Stattdessen wird die Tat aus dem Kontext gelöst und nur einer Person zugeschrieben.
Entschädigung und Gedenken
Nach 30 Jahren öffentlicher Auseinandersetzung um die Ermordung Samuel Yeboahs und den versuchten Massenmord im Saarlouiser Flüchtlingsheim müssen das Saarland und die Stadt Saarlouis endlich auch eine Wiedergutmachung für die Überlebenden leisten. Wegschauen im Mordfall Samuel Yeboah heißt eben auch, die anderen Opfer der Mord- und Brandnacht 30 Jahre lang zu ignorieren und keine Empathie zu zeigen. Des Weiteren wäre ein Untersuchungsausschuss vom Saarländischen Landtag einzuberufen. Dieser Ausschuss müsste unter Berücksichtigung der neuen Ermittlungsergebnisse das damalige Agieren staatlicher Polizeistellen im Saarland beleuchten. Was wussten der Saarländische Verfassungsschutz und andere Polizeistellen über die Nazistrukturen? Warum wurden zwischen den 1980er- und den 2000er-Jahren so viele Brand- und Bombenanschläge gegen Links und gegen Migranten nicht aufgeklärt? Die jetzige Generation an SPD-Regierungsmitgliedern, wie Anke Rehlinger, Reinhold Jost, Magnus Jung, Ulrich Commerçon, Petra Berg, könnte dies mit politischer Leichtigkeit auf den Weg bringen. Sie waren damals bestenfalls im Juso-Alter und parteipolitisch für das Verhalten »ihres« Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und »ihres« Innenministers Friedel Läpple nicht verantwortlich. Aber sie müssten den Mut haben, sich mit dem Regierungshandeln ihrer Partei zu beschäftigen. Dafür wäre die Freigabe aller Akten durch die Landesregierung und den Verfassungsschutz ein erster Schritt. Diesen machte auch der saarländische Polizeipräsident Norbert Rupp am 4. April 2022, als er sich für das Versagen der saarländischen Polizei im Mordfall Yeboah entschuldigte. Nähere Angaben machte er dazu nicht. Oder sollte die Entschuldigung nur von weiteren Fragen ablenken?
Bis heute weigert sich die Stadt Saarlouis, innerstädtisch, zum Beispiel am Rathaus, an den ermordeten Samuel Yeboah zu gedenken. Zum einen müsste man dann den InitiatorInnen von 2001 recht geben und, was noch schwerer wiegt, damit würde die eigene Vergangenheit des Leugnens und des Bagatellisierens rechter Gewalt sichtbarer werden.

Chronik des Mordfalls Yeboah
19. September 1991 Samuel Kofi Yeboah wird in Saarlouis-Fraulautern durch einen rassistischen Brandanschlag ermordet. In dem brennenden Haus befinden sich 20 weitere Personen, die sich vor dem Feuer retten können, zwei Menschen werden schwer verletzt.
21. September 1991 Antifaschistische Demonstration mit 800 Teilnehmenden in Saarlouis als Trauermarsch für Samuel Yeboah. Rechte Skinheads provozieren die Demonstranten.
26. September 1991 »Eine richtige Szene gibt es hier nicht«, sagt der Saarlouiser SPD-Bürgermeister Alfred Fuß der taz auf die Frage zur eskalierenden Welle rechter Gewalt in Saarlouis und dass die vielen Asylbewerber »natürlich« in der Bevölkerung nicht gerne gesehen werden. Auch Hubert Ulrich von den Grünen leugnet eine rechte Szene: »Dass Skinheads ›mal einen Penner im Park zusammengeschlagen haben‹, ja, ›aber das ist Ewigkeiten her‹.«
28. September 1991 Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit in Saarlouis mit 250 Teilnehmenden aus einem Bündnis von Parteien und Organisationen.
3. Oktober 1991 Wie damals üblich ermittelt die Kriminalpolizei in alle Richtungen. OB Richard Nospers (SPD) erklärt, dass Saarlouis kein besonderes Zentrum für Rechtsextreme sei, allerdings die Grenze für Asylbewerber erreicht sei.
10. Oktober 1991 Beerdigung von Samuel Yeboah auf dem Friedhof »Neue Welt« in Saarlouis. Unter den 200 Trauergästen sind auch Familienmitglieder des Ermordeten.
11. Oktober 1991 Aufmarsch von Skinheads mit Schlagwaffen vor dem Wohnheim für Geflüchtete in der Gutenbergstraße in Saarlouis, wohin Überlebende aus Fraulautern verbracht worden sind. Die BewohnerInnen des Heimes verteidigen sich und können den Mob abweisen.
13. Oktober 1991 Demonstration gegen Naziterror und Asylrechtsbeschränkung in Saarbrücken mit 3.000 Teilnehmenden.
1. April 1992 Die Akte zum Brandanschlag geht vom Kriminalkommissariat Saarlouis zur Staatsanwaltschaft Saarbrücken.
29. August 1992 In der Nacht vom 28. auf den 29. August wird versucht, die Flüchtlingsunterkunft in der Gutenbergstraße in Saarlouis in Brand zu setzen. Die BewohnerInnen können das Feuer löschen.
24. September 1992 Im Landtagsausschuss sagt der SPD-Innenstaatssekretär Dewes: »Saarlouis ist ein Schwerpunkt rechtsextremer Aktivitäten im Saarland geworden, dies gilt sowohl für Brandanschläge als auch für Sachbeschädigungen«
25. September 1992 Die Ermittlungen zum Fall Yeboah werden eingestellt.
1. Januar 1995 Der Musiker Wolf Maahn veröffentlich auf seiner Platte »Libero« zur Erinnerung an Samuel Yeboah den Song »Samuel«. Am 23. Mai 2002 singt Maahn das Lied während eines ökumenischen Gottesdienstes zum Gedenken an Samuel Yeboah in der Evangelischen Kirche (Kaiser-Friedrich-Ring) in Saarlouis.
7. bis 13. Oktober 1996 Antifaschistische Aktionstage des »Aktionsbündnis Samuel Yeboah« mit Veranstaltungen, Filmvorführungen, Infotischen, einem Konzert und einer Demonstration in Saarlouis unter dem Motto »Dem reaktionären Konsens in der Gesellschaft etwas entgegensetzen!«. Die Kampagne wendet sich gegen die zunehmende Präsenz von Naziskins in Saarlouis, die mit Aufmärschen und Überfällen aus Saarlouis eine »national befreite Zone« machen wollten. Die Demonstration richtet sich auch gegen die Verharmlosung und zum Teil Rechtfertigung des Terrors aus der »Mitte der Gesellschaft«. Die Veranstaltungen finden unter hoher Polizeipräsenz statt.
19. September 2001 Kundgebung zum 10. Todestag von Samuel Yeboah in Saarlouis mit 150 Teilnehmenden. Diese fordern die Stadt Saarlouis und die Landesregierung auf, Samuel Yeboah endlich als Opfer rechter Gewalt anzuerkennen und an einem zentralen Platz in Saarlouis einen Ort des Gedenkens einzurichten. Nach der Kundgebung wird eine Gedenktafel zur Erinnerung an Samuel Yeboah am Rathaus angebracht. Der OB Hans-Joachim Fontaine (CDU) lässt diese umgehend entfernen. Der Staatsschutz ermittelt.
18. Februar 2002 Der Anmelder der Kundgebung zum 10. Todestag erhält einen Strafbefehl über 1.200 Euro wegen des unrechtmäßigen Anbringens der Gedenktafel am Saarlouiser Rathaus. Der Vorwurf lautet, »öffentliche Denkmäler beschädigt oder zerstört zu haben«.
17. Juni 2003 Bereits nach wenigen Minuten endet der Prozess wegen Sachbeschädigung des Saarlouiser Rathauses mit einem Eklat. Der Richter stört sich an der Anwesenheit der Unterstützer des Angeklagten. Er wolle nicht, dass »die Antifa in seinem Gerichtssaal eine Show abziehe«.
19. September 2003 Ein Flugblatt anlässlich des 12. Todestages von Samuel Yeboah macht auf die wachsenden Aktivitäten von Neonazis und rechten Skins in Saarlouis aufmerksam. Diese haben sich mittlerweile in Strukturen organisiert wie z. B. in der »Kameradschaft Horst Wessel Saarlautern«, benannt nach einem zum Märtyrer stilisierten SA-Mann. Mittlerweile ist Saarlouis zu einer saarländischen Nazi-Hochburg geworden.
18. Februar 2005 Vier Jahre lang kämpfen die Stadt Saarlouis und die saarländische Justiz für die Verurteilung des wegen Sachbeschädigung am Saarlouiser Rathaus Angeklagten. Dann wird das Verfahren eingestellt.
5. Oktober 2005 Die Stadt Saarlouis lässt nicht locker und eröffnet ein zivilrechtliches Verfahren und verlangt Schadensersatz wegen Beschädigung des Rathauses durch das Anbringen der Gedenktafel. Im anschließenden Prozess bekommt sie 134,50 Euro Schadensersatz zugesprochen.
19. September 2006 Zum 15. Todestag von Samuel Yeboah hat der »Runde Tisch für ein öffentliches Gedenken an Samuel Yeboah« ein Gedenkwochenende mit Workshops, Konzerten und einem internationalen Fußballturnier unter dem Motto »15 Jahre Ignoranz sind genug« organisiert. Dabei wird ein Konzept für ein würdiges Gedenken entwickelt. OB Roland Henz (SPD) weist diesen »Saarlouiser Appell« zurück. Er weigert sich, die angereiste Schwester von Samuel Yeboah zu empfangen. Auch Vertreter der Stadt Mölln und Solingen, wo 1992/93 acht türkischstämmige Mädchen und Frauen dem neonazistischen Terror zum Opfer fielen und die auf Einladung von antirassistischen Gruppen zu der Gedenkfeier nach Saarlouis gekommen waren, werden von Henz nicht empfangen.
7. Oktober 2009 Als Reaktion auf die wiederholten Anfragen der Fraktion DIE LINKE im Bundestag weist die CDU-geführte Bundesregierung den Brandanschlag in Saarlouis als rechtsmotivierte Gewalttat aus. Im Saarland wird diese Einstufung von der Landesregierung, der saarländischen Justiz und der Stadt Saarlouis einfach ignoriert.
24. September 2011 Zum 20. Todestag von Samuel Yeboah erinnern 200 Menschen in Saarlouis erneut an das ungesühnte Verbrechen. Am Standort des niedergebrannten Wohnheims werden Blumen niedergelegt. Nach wie vor fehlt jeder Hinweis auf Samuel Yeboah und die 20 überlebenden Opfer des Brandanschlags. Über ihr weiteres Schicksal ist fast nichts bekannt. Teilnehmer der Demonstration werden von Neonazis attackiert, wobei eine Person verletzt wird.
19. September 2014 Am 23. Jahrestag des Mordes versuchen engagierte Menschen erneut, die Stadt Saarlouis dazu zu bewegen, endlich des Ermordeten zu gedenken. Die Umbenennung der Saarlouiser Straße am Tatort in die Samuel-Yeboah-Straße bleibt symbolisch.
19. September 2015 Am 24. Jahrestag des Mordes versammeln sich viele Menschen in Saarlouis zum Gedenken an Samuel Yeboah. Auch die mittlerweile 189 Todesopfer rassistischer Gewalt in Deutschland seit 1990 sind in dem Gedenken mit eingeschlossen.
28. April 2016 Ein virtueller Gedenkstein wird eingerichtet unter samuel-yeboah.de. Verschiedene Gruppen und Initiativen übernehmen abwechselnd die Patenschaft.
2. September 2016 Sieben Jahre nachdem die Bundesregierung den Mord an Yeboah als rechtsradikal motiviert eingestuft hat, leugnet der Saarlouiser OB Henz dies nach wie vor. In seiner Antwort auf einen offenen Brief der Antifa Saar / Projekt AK erklärt er, warum er ein Gedenken an Samuel Yeboah ablehnt: »Aber bis heute, anders als anderswo, gibt es keine eindeutigen Beweise für einen rassistischen Anschlag. Insofern will ich meine / unsere Stadt nicht in Vergleich setzen mit Städten, in denen die Anschläge zweifelsfrei rassistischen Ursprungs waren.«
10. September 2016 Eine Plakatkampagne des saarländischen Flüchtlingsrats »Rassismus tötet – In Erinnerung an Samuel Yeboah« erinnert drei Wochen lang mit Großflächenplakaten an 15 Standorten, auch in der Landeshauptstadt Saarbrücken, an Samuel Yeboah. Die rechtsradikalen Aktivisten Markus M. und Ricarda R. posieren für einen Facebook-Post mit höhnischen Kommentaren vor dem Plakat und schänden damit das Andenken des Ermordeten.
15. September 2016 »Yeboah? Nie gehört«, antwortet der 1991 ermittelnde Staatsanwalt auf die Frage einer Journalistin des Deutschlandradios.
19. September 2016 Zum 25. Todestag erinnert ein breites Bündnis im Rahmen der Kampagne »Hass hat Konsequenzen« mit Veranstaltungen, einer Medienkampagne und einer Demonstration mit 250 Teilnehmenden in Saarlouis an Samuel Yeboah. Wie schon in den vergangenen Jahren werden die Menschen von Neonazis verbal bedroht. Am Grab von Samuel Kofi Yeboah findet ein stilles Gedenken mit Kranzniederlegung statt. Das Auto eines Teilnehmers wird beschädigt, ein Täter konnte nicht ermittelt werden.
Oktober 2019 Eine Zeugin meldet sich bei der saarländischen Polizei mit einem Hinweis. Auf einem Grillfest vor 12 Jahren habe Peter Werner S. damit geprahlt, dass er den Brand gelegt hatte und nicht erwischt wurde. Daraufhin nimmt die saarländische Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder auf.
14. Juli 2020 Eine fünfköpfige Ermittlungsgruppe mit dem Namen »Causa« wird im Auftrag des Landespolizeipräsidiums eingerichtet. Sie soll mögliche »Ungereimtheiten« und »Verfehlungen« in der Ermittlungsarbeit aufarbeiten.
30. Juli 2020 Der langjährige Chef des saarländischen Verfassungsschutzes Helmut Albert will auch herausfinden, was seine eigene Behörde in den 1990er-Jahren gemacht hat, und setzt eine interne Ermittlungsgruppe ein, um Versäumnisse der eigenen Behörde aufzuklären.
5. August 2020 Die Generalbundesanwaltschaft übernimmt die Ermittlungen. Sie sieht »gravierende Anhaltspunkte, die auf einen rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Hintergrund des Anschlags schließen lassen«. Seitdem gibt es auch bundesweit ein hohes Medieninteresse.
19. September 2020 Gedenkkundgebung an Samuel Yeboah mit 150 Teilnehmenden auf dem Kleinen Markt in Saarlouis. Die TeilnehmerInnen fordern Gerechtigkeit für Samuel Yeboah.
28. Januar 2021 Nach weniger als einem Jahr Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft und fast 30 Jahren nach dem Mord kommt es in Saarlouis zur Hausdurchsuchung bei dem Hauptverdächtigen Peter Werner S. und vier weiteren Personen. Bereits 1991 wurden diese Personen verdächtigt.
17. Februar 2021 Eine erneute Hausdurchsuchung findet statt. Die Bundesanwaltschaft erhöht den Fahndungsdruck und lädt viele Angehörige der Nazi-Szene als Zeugen vor. Telefone werden überwacht und Gespräche abgehört.
7. August 2021 In einem Brief an den Saarlouiser Oberbürgermeister, diesmal heißt er Peter Demmer (SPD), bietet die Aktion 3. Welt Saar an, die Gedenktafel an Samuel Yeboah der Stadt Saarlouis zu übergeben. Die Stadt solle diese zum 30. Jahrestag der Ermordung Yeboahs zentral in Saarlouis anbringen, um einem würdevollen Erinnern an den Ermordeten gerecht zu werden. Im Vorfeld des 30. Jahrestags stellt die Stadt Saarlouis am Tatort eine Informationstafel auf. Die Kreisstadt Saarlouis, der Integrationsbeirat sowie die Evangelische Kirchengemeinde und die Katholische Pfarreiengemeinschaft rechts der Saar veranstalten eine gemeinsame Gedenkfeier am Grab von Samuel Yeboah.
13. August 2021 Die Kampagne »Rassismus tötet – In Erinnerung an Samuel Yeboah« mit 30 Großflächenplakaten in Saarbrücken und Saarlouis und an vielen weiteren Standorten wird wiederholt.
17. September 2021 Neben der Ermordung von Yeboah ist der Umgang der saarländischen Behörden mit den 20 Überlebenden des versuchten Massenmords nur als unmenschlich und rassistisch zu bezeichnen. Es ist bis heute nicht klar, wie viele der Betroffenen abgeschoben wurden, ohne überhaupt als Opfer wahrgenommen zu werden. Überlebende fordern Aufklärung und umfassende Akteneinsicht.
18. September 2021 Demonstration in Erinnerung an Samuel Yeboah von 180 Menschen in Saarlouis unter dem Motto »Kein Schlussstrich! Aufklären – Einmischen – Konsequenzen ziehen«.
4. April 2022 31 Jahre nach dem Mord wird der Hauptverdächtige Peter Werner S. in seiner Wohnung in Saarlouis verhaftet. Am gleichen Tag bittet der saarländische Landespolizeipräsident Norbert Rupp (CDU) um Entschuldigung. Er benennt nicht die handelnden Personen, erklärt nicht die Tatenlosigkeit der saarländischen Polizei und Justiz, bemängelt nicht das Fehlen jeder Empathie für die Opfer. Er bedauert lediglich »Defizite«. Er unterlässt es auch, sich ausdrücklich bei den traumatisierten und alleingelassenen Opfern zu entschuldigen. Von einer Entschädigung ist bis heute keine Rede.
30. April 2022 Eine Demonstration in Saarbrücken unter dem Motto »Kein Schlussstrich« mit 150 Teilnehmenden fordert vor dem Sitz des saarländischen Verfassungsschutzes angesichts des Versagens der zuständigen Behörden dessen Auflösung sowie die Offenlegung der Akten zum Fall Yeboah.
18. Juli 2022 Die Anklage gegen Peter Werner S. wird wegen Mord, versuchtem Mord in 20 Fällen sowie Brandstiftung mit Todesfolge und versuchter Todesfolge erhoben.
19. September 2022 31 Jahre nach dem Mord werden auf einer Kundgebung am Tatort in Saarlouis mit 70 Teilnehmenden die Offenlegung der Akten, Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, finanzielle Entschädigung der Opfer und ein würdiges Gedenken in der Saarlouiser Stadtmitte verlangt.
16. November 2022 Prozessbeginn gegen Peter Werner S. am Oberlandesgericht Koblenz. Vor dem Gerichtsgebäude gibt es eine Kundgebung von antifaschistischen Initiativen, viele sind aus dem Saarland angereist.