Kundgebung und Medienvertreter zur Prozesseröffnung vor dem OLG Koblenz

OLG Koblenz verhandelt Mord an Samuel Yeboah


Von Roland Röder

Saarländisches Staatsversagen mit auf der Anklagebank

Seit Mitte November 2022 wird der Mord an Samuel Yeboah vor dem Oberlandesgericht Koblenz verhandelt. Vor Gericht steht Peter S., der damals der rechten Szene angehörte. Er sitzt seit 4. April 2022 in U-Haft und soll für den Brandanschlag am 19. September 1991 auf das Asylbewerberwohnheim in Saarlouis-Fraulautern verantwortlich sein. Dabei starb Samuel Yeboah, 20 BewohnerInnen überlebten und blieben traumatisiert zurück. Täter wurden damals nicht ermittelt. Dieses Ermittlungsergebnis deckt sich mit vielen weiteren Brand- und Bombenanschlägen im Saarland seit den 1980er-Jahren. 30 Jahre lang geschah seitens der Landesregierungen – Oskar Lafontaine, Reinhard Klimmt, Peter Müller, Annegret Kramp-Karrenbauer, Tobias Hans – nichts.
Anklageführer ist die Generalbundesanwaltschaft (GBA). Die übernahm 2020, fast 30 Jahre nach dem Anschlag, die Ermittlungen und erteilte saarländischen Behörden den Arbeitsauftrag, ZeugInnen aus dem Umfeld des Verdächtigen vorzuladen und zu befragen. Rund 200 Menschen wurden befragt, 44 sollen in der Anklageschrift vor dem OLG aufgeführt sein.

Warum wird jetzt ermittelt? Offiziell wird eine Zeugin angegeben, die von einer Selbstbezichtigung des Angeklagten berichtet. Allerdings haben dazu drei andere Entwicklungen entscheidend beigetragen, die in solch einem Prozess, der nach individueller Schuld sucht, gar nicht erst zur Sprache kommen. In den Jahren 2000 bis 2007 hat der »Nationalsozialistische Untergrund – NSU« neun MigrantInnen und eine Polizistin ermordet. Am 2. Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) von einem bekannten Rechtsextremisten regelrecht hingerichtet. Diese Fälle zeigen, dass auch Vertreter des Staates von Rechts ins Visier genommen werden. Vor allem aber, dass rechte Gruppen bewaffnet und bereit sind zu schießen. Spätestens im NSU-Prozess (2013–2018) zeigte sich, dass mehrere staatliche Stellen in das NSU-Umfeld involviert waren: Neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) unter seinem Präsidenten (2012–2018) Hans-Georg Maaßen, das unter anderem NSU-Akten schredderte und sie damit dem Prozess vorenthielt, waren es drei weitere Inlandsgeheimdienste aus Hessen, Thüringen und Sachsen.

Unfreiwillig geriet Maaßen zum Beschleuniger von staatlichen Ermittlungen gegen Rechts. Er machte keinen Hehl daraus, wie negativ er Flüchtlinge betrachtet bei gleichzeitigen Sympathien für die AfD und deren Umfeld. Er wurde zunehmend zur persona non grata und musste vom CSU-Innenminister Horst Seehofer entlassen werden. Gleichzeitig provozierte dies die Frage, warum er so lange Behördenchef sein konnte. Das staatliche Legitimationsproblem im Umgang mit rechter Gewalt war offensichtlich.

Seit 30 Jahren Ruf nach Aufklärung und Gerechtigkeit

Seit dem Mord an Samuel Yeboah haben drei Organisationen die Erinnerung an Samuel Yeboah wachgehalten und sich der staatlichen Schweige- und Bagatellisierungsspirale verweigert: der Saarländische Flüchtlingsrat, die Aktion 3. Welt Saar und die Antifa Saar / Projekt AK. Diese drei haben mit Unterstützung von anderen Gruppen und Personen 30 Jahre lang eine Fülle von Aktivitäten kreiert und auf der Tastatur der politischen Öffentlichkeitsarbeit gespielt. Letztlich haben sie sich mit diesem saarländischen Staatsversagen, das sich im Aussitzen, Verschweigen und Wegschauen äußerte, nie abgefunden und kontinuierlich Aufklärung eingefordert.

Das aktive staatliche Desinteresse an Aufklärung lässt sich exemplarisch an drei Veranstaltungen belegen. Als am 8. Oktober 1996 im Saarlouiser selbstverwalteten Jugendzentrum KOMM die einzige kritische Veranstaltung zur akzeptierenden Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen stattfand, mussten die 120 BesucherInnen durch ein Polizeispalier zum Veranstaltungsort gehen. Dieses Projekt war mitverantwortlich dafür, dass die rechte Szene in Saarlouis zeitweise gesellschaftsfähig wurde.
Als am 19. September 2001 nach einer Gedenkkundgebung und -demonstration am Rathaus Saarlouis eine Gedenktafel (»In Erinnerung an / Samuel Yeboah / Flüchtling aus Ghana / am 19. September 1991 durch / einen rassistischen / Brandanschlag in / Saarlouis ermordet«) angebracht wurde, wurde sie sofort von der Stadt abmontiert. Die Veranstalterin wurde von der Stadt Saarlouis vier Jahre lang mit einem Prozess wegen Sachbeschädigung des Rathauses überzogen. Saarlouis bekam am Ende 134,50 € Strafe zugesprochen.

Als am 19. September 2006 eine Schwester von Samuel Yeboah an der Gedenkveranstaltung in Saarlouis teilnahm, zusammen mit VertreterInnen aus Mölln und Solingen, die berichteten, wie man dort mit den rechtsradikalen Anschlägen umgeht, weigerte sich die Stadt Saarlouis, diese zu empfangen.
Im September 2021 stellte die Stadt Saarlouis am Tatort eine Informationstafel auf, mit der sie zum ersten Mal zugab, was nach den GBA-Ermittlungen nicht mehr zu leugnen war: Es war Mord. Gleichzeitig bleibt sie ihrer Linie »Erinnern ohne Vergangenheit« treu und blendet ihr eigenes Wegschauen sowie die damalige Existenz einer rechten Szene in Saarlouis weiterhin aus. Und es gab noch zwei weitere »offizielle« Gedenkveranstaltungen: Kranzniederlegung und Ökumenischer Gottesdienst. Der Saarlouiser OB Peter Demmer (SPD), der zum Tatzeitpunkt Polizist in Saarlouis war, nahm an keiner der drei teil. Ebenso verweigert Saarlouis bis heute den Dialog mit dem Flüchtlingsrat, der Antifa Saar und der Aktion 3. Welt Saar.

Ein Prozess ist keine politische Aufarbeitung

Der Prozess am OLG Koblenz kann eine juristische Aufarbeitung leisten und die individuelle (Nicht-)Schuld klären. Was er aber per se nicht leisten kann, ist die politische Aufarbeitung des saarländischen Staatsversagens. Das Problem der Existenz von rechten Strukturen und der von ihnen ausgehenden Gewalt lässt sich weder pädagogisch durch Sozialarbeit noch juristisch durch Verfahren bekämpfen. Ein politisches Problem lässt sich am besten politisch lösen.

Die gesellschaftliche und parteipolitische Mitte gab um 1990 die nationalistischen Stichworte vor, die von Rechtsaußen als Aufforderung zur Gewalt verstanden wurden. Flüchtlinge wurden sprachlich entmenschlicht, als Fluten, Wellen, Ströme dargestellt und mit Heuschrecken assoziiert, die über das arme, schutzlose Deutschland herfallen. Medien wie Spiegel und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) machten den Spruch »Das Boot ist voll« der Rechtsaußenpartei »Die Republikaner«, mit dem schon 1942 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland von der Schweiz abgewiesen wurden, populär. Der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine befeuerte diese Debatte mit nationalistischen Parolen, stichelte gegen Flüchtlinge und Aussiedler, sah den deutschen Arbeiter bedroht und besorgte letztlich die SPD-Stimmen, um im Bonner Bundestag im Mai 1993 den Artikel 16 des Grundgesetzes »Politisch Verfolgte genießen Asyl« zu entkernen.

Die Aufnahme der Ermittlungen durch die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe hat ein bis dato nie da gewesenes Medieninteresse am Mordfall Yeboah geweckt. Viele überregionale Medien wie Spiegel, Stern, Zeit, Süddeutsche Zeitung, die ARD-Tagesthemen berichten seitdem ausführlich. Ebenso die Saarbrücker Zeitung und Saarländischer Rundfunk. Allerdings kommt die politische Einordnung des Mordes manchmal zu kurz vor. Stattdessen wird die Tat aus dem Kontext gelöst und nur einer Person zugeschrieben.

Entschädigung und Gedenken

Nach 30 Jahren öffentlicher Auseinandersetzung um die Ermordung Samuel Yeboahs und den versuchten Massenmord im Saarlouiser Flüchtlingsheim müssen das Saarland und die Stadt Saarlouis endlich auch eine Wiedergutmachung für die Überlebenden leisten. Wegschauen im Mordfall Samuel Yeboah heißt eben auch, die anderen Opfer der Mord- und Brandnacht 30 Jahre lang zu ignorieren und keine Empathie zu zeigen. Des Weiteren wäre ein Untersuchungsausschuss vom Saarländischen Landtag einzuberufen. Dieser Ausschuss müsste unter Berücksichtigung der neuen Ermittlungsergebnisse das damalige Agieren staatlicher Polizeistellen im Saarland beleuchten. Was wussten der Saarländische Verfassungsschutz und andere Polizeistellen über die Nazistrukturen? Warum wurden zwischen den 1980er- und den 2000er-Jahren so viele Brand- und Bombenanschläge gegen Links und gegen Migranten nicht aufgeklärt? Die jetzige Generation an SPD-Regierungsmitgliedern, wie Anke Rehlinger, Reinhold Jost, Magnus Jung, Ulrich Commerçon, Petra Berg, könnte dies mit politischer Leichtigkeit auf den Weg bringen. Sie waren damals bestenfalls im Juso-Alter und parteipolitisch für das Verhalten »ihres« Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und »ihres« Innenministers Friedel Läpple nicht verantwortlich. Aber sie müssten den Mut haben, sich mit dem Regierungshandeln ihrer Partei zu beschäftigen. Dafür wäre die Freigabe aller Akten durch die Landesregierung und den Verfassungsschutz ein erster Schritt. Diesen machte auch der saarländische Polizeipräsident Norbert Rupp am 4. April 2022, als er sich für das Versagen der saarländischen Polizei im Mordfall Yeboah entschuldigte. Nähere Angaben machte er dazu nicht. Oder sollte die Entschuldigung nur von weiteren Fragen ablenken?

Bis heute weigert sich die Stadt Saarlouis, innerstädtisch, zum Beispiel am Rathaus, an den ermordeten Samuel Yeboah zu gedenken. Zum einen müsste man dann den InitiatorInnen von 2001 recht geben und, was noch schwerer wiegt, damit würde die eigene Vergangenheit des Leugnens und des Bagatellisierens rechter Gewalt sichtbarer werden.

Kundgebung und Medienvertreter zur Prozesseröffnung vor dem OLG Koblenz.
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