Mühsame Aufklärung »Halbzeit« beim Mordprozess Samuel Yeboah


Von Roland Röder

Es ist fast »Halbzeit« im Prozess vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes (OLG) Koblenz wegen des Mordes an Samuel Yeboah, einem Flüchtling aus Ghana. Der Mord durch einen Brandanschlag geschah am 19. September 1991 in Saarlouis-Fraulautern, und der Prozess gegen Peter S. begann über 30 Jahre später, am 16. November 2022. Bisher (Redaktionsschluss dieser Ausgabe) sind 23 Prozesstage vergangen, und es wurden zahlreiche ZeugInnen gehört, darunter vor allem Polizisten und traumatisierte Opfer des Anschlages. Damit wird diesen endlich ein Gesicht und eine Identität gegeben. Aus der damaligen rechten Szene haben bisher vier Szeneangehörige ausgesagt, weitere könnten dazukommen.
Die Akteure im Koblenzer OLG in der Stresemannstraße 1 sind: fünf BerufsrichterInnen, zwei BundesanwältInnen der Generalbundesanwaltschaft Karlsruhe (GBA), vier RechtsanwältInnen der Nebenklage, der Angeklagte und seine zwei Verteidiger sowie die journalistischen und politischen ProzessbeobachterInnen.
Die Zusammenfassung des bisherigen Geschehens könnte im Telegrammstil so lauten: Kopfschüttelnde Richter ob der kuriosen wie fehlerhaften saarländischen polizeilichen Ermittlungen »von damals«, Polizisten, die damals keine rechten Aktivitäten oder gar Nazis mitbekamen, Protokolle von Vernehmungen stümperhaft erstellten und die Ermittlungen nach rechten Tätern nach wenigen Tagen einstellten. Aber auch PolizistInnen, die seit 2020 die Ermittlungen minutiös führen und ob der Ergebnisse ihrer Befragungen eine deutliche Distanz zu ihren ehemaligen Kollegen zeigen.
Bei überregionalen Medien stößt der Prozess auf viel Interesse, und die beiden saarländischen »Leitmedien«, Saarbrücker Zeitung und Saarländischer Rundfunk, sind an jedem Prozesstag vor Ort und berichten im besten Sinne des Wortes aufklärend. Dazu erschien mit dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein neuer Akteur, in den neben Parteien wie CDU und SPD auch zivilgesellschaftliche Organisationen viel Hoffnung setzen. Es wirkt fast so, als solle er die Rolle eines politischen Allheilmittels übernehmen.


Strafnachlass gegen Geständnis


Die – juristisch – wichtigste Frage, ob es in dem Indizienprozess zu einer Verurteilung des Angeklagten kommt, lädt manche zu Spekulationen ein, ist aber nach wie vor so unklar wie vor Prozessbeginn. Wurde zu Beginn öfter kolportiert, dass es wohl eher nicht zu einer Verurteilung kommen würde, hat sich dies in die andere Richtung verschoben. Beides bleibt ob des fehlenden Geständnisses und der Indizienlage reine Spekulation. Genährt wurde diese durch das Angebot des Gerichts am 21. Prozesstag, dem Angeklagten für ein qualifiziertes Geständnis, also die Preisgabe von Täterwissen und dem Verweis auf gegebenenfalls weitere Beteiligte, einen erheblichen Strafnachlass bis runter auf fünfeinhalb Jahre (die GBA fordert mindestens sechseinhalb Jahre) zu gewähren und ihn nach Jugendstrafrecht zu verurteilen. Der »Deal« wurde nicht angenommen. Vorerst.
Eigentlich ist bisher im OLG-Prozess wenig Neues bekannt geworden. So gut wie alles, angefangen von der dilettantischen polizeilichen Nichtermittlung über die offensichtlichen frühen Hinweise auf einen Mordanschlag bis hin zu einer existierenden Saarlouiser Nazi-Szene in den 1990er-Jahren, war vorher bekannt. Auffallend an dem Verfahren ist, dass bisher viele ZeugInnen weitestgehend das bestätigten, was Organisationen wie die Antifa Saar, der Saarländische Flüchtlingsrat und die Aktion 3. Welt Saar damals wie heute analysierten. Ihre Aussagen wurden gerichts- und aktenkundig: Mord wird als Mord bezeichnet und Rassismus als Rassismus. Das ist neu. Damit halten sie Einzug in die juristischen und medialen Archive. Das ist nicht zu unterschätzen, wenn es zukünftig um die Bewertung und wissenschaftliche Aufarbeitung geht. Dafür werden öffentlich zugängliche (Archiv)quellen genutzt, die jetzt noch mehr Material enthalten. In dem Prozess geht es um die Klärung der individuellen Schuld. Politisch betrachtet, sitzt aber das saarländische Staatsversagen auf der Anklagebank: 30 Jahre lang haben Justiz, Parteien, Bürgermeister und Polizei eine Politik des Verschweigens und Aussitzens betrieben und sich gegen jeden Aufklärungsversuch regelrecht verbarrikadiert. Sowohl bei diesem Anschlag wie auch bei rund 20 anderen Anschlägen – Bombenanschlag auf die Wehrmachtsausstellung 1999, die sogenannten Völklinger Brandanschläge auf Migrantenwohnungen, die missglückten Bombenanschläge auf Flüchtlingsheime, das Saarlouiser KOMM und das Landesbüro der damaligen PDS – hat man nie TäterInnen ermittelt. Dies irritiert und provoziert mit Blickrichtung auf Justiz und Polizei die Frage nach dem Warum. Ausgeklammert bleiben bei dem Prozess die Beziehungen des Verfassungsschutzes zur rechten Szene und die unheilvolle Wirkung des Saarlouiser Sozialarbeiterprojektes der evangelischen Kirche in den 1990ern »Soziale Arbeit mit rechten Jugendlichen«.

Der Untersuchungsausschuss – das Pro und Contra


Es waren die Aktion 3. Welt Saar, der Saarländische Flüchtlingsrat und die Antifa Saar, die seit Beginn der Ermittlungen und zuletzt in ihrem Statement zu Prozessbeginn einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss verlangten. Die unentschiedene Haltung zu dieser Forderung seitens der SPD machte sich die CDU nun zunutze und beschloss am 6. Februar 2023 überraschend einen UA. Sie übernahm damit die Forderung der drei NGOs. Ihr Ansinnen ist klar: Sie möchte die SPD-Regierungszeit der 1990er unter Oskar Lafontaine, seinem Innenminister Friedel Läpple und unter Reinhard Klimmt (1998/99) durchleuchten und sich als Aufklärerin präsentieren. Die SPD stimmte zu und wird aus Gründen des Eigenschutzes auch das regierungsamtliche Wegschauen der CDU-MinisterpräsidentInnen Peter Müller, Annegret Kramp-Karrenbauer und Tobias Hans bis 2020 auf die Tagesordnung setzen. Alles andere wäre politischer Masochismus.
Letztlich macht ein UA, wenn er aufklärend wirken soll und mehr sein soll als zielloses parlamentarisches Reden in einer Endlosschleife, politisch nur Sinn, wenn CDU und SPD sich darauf einigen herauszuarbeiten:

  1. Warum alle Landesregierungen zwischen 1990 und 2020 untätig waren und vertuschten sowie
  2. welche Veränderungen es in den saarländischen Polizeistrukturen (inklusive Verfassungsschutz) geben soll.
    Die »Alternative« wäre, CDU und SPD einigen sich diskret auf die saarländische Lösung eines Stillhalteabkommens und bagatellisieren die bleierne Zeit der 1990er als bedauernswerten und abgeschlossenen Einzelfall.
    Der Vorteil eines UA für das hehre Ziel der Aufklärung liegt auf der Hand: Er bekommt Einblick in die Ermittlungsakten von damals und heute, von ihm geladene ZeugInnen müssen (!) aussagen und sind der Wahrheit verpflichtet. Der Nachteil liegt ebenfalls auf der Hand: Warum soll gerade die politische Ebene (Parlament, Parteien) glaubwürdig für Aufklärung sorgen, die drei Jahrzehnte lang nichts dafür tat und zum UA »von der Straße« getragen werden musste? Zusätzlich sind exakt die NGOs, die 30 Jahre lang Aufklärung forderten, außen vor. Zwar können sie an den Sitzungen als BesucherInnen teilnehmen, haben aber keinen gleichberechtigten Zugang zu den Akten. Zum anderen fehlen die zeitlichen und finanziellen Kapazitäten für diesen mindestens zweijährigen Kraftakt. Mit einer fachlichen Begleitung parlamentarischer Arbeit läuft man als NGO Gefahr, die immerwährende Quelle eines einseitigen Ressourcentransfers zu sein. Eine NGO, die sich darauf einlässt, müsste entweder eine sprudelnde Geldquelle auftun oder ihre anderen Aktivitäten runterfahren. Das will genau überlegt sein. Die aktuellen Erfahrungen bei ähnlichen Untersuchungsausschüssen in Hamburg zum NSU-Komplex oder in Berlin zu rechtsextremen Straftaten in Neukölln zeugen von diesen Problemen, wenn NGOs ihre Liebe zum Parlament entdecken, und sollten nicht leichtfertig abgetan werden.
    Wenn die Verteidigung nicht umschwenkt und den angebotenen »Deal« annimmt, wird der Prozess weitergehen, und es werden noch interessante ZeugInnen aussagen müssen, darunter auch Akteure der rechten Szene von damals und Aussteiger. Jeder dieser Prozesstage bietet ob der exzellenten journalistischen Begleitung durch SR und Saarbrücker Zeitung und andere Medien die Möglichkeit, die bleierne Zeit der 1990er im Saarland inklusive der staatlichen Untätigkeit bis 2020 zu beschreiben und damit im aufklärerischen Sinne zu benennen, wie es nicht sein soll.

Hinweis: Der Artikel gibt den Prozessstand bis 30. April 2023 wieder.

Richertbank am OLG Koblenz mit drei der Richter
Aus dem Koblenzer Gerichtssaal. Foto: Kai Schwerdt
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