»Im Westen brannte es öfter als im Osten«


Interview mit NebenklägeranwältInnen im Fall Yeboah

Von Andreas Morlo

Seit dem 16. November 2022 wird vor dem Oberlandesgericht Koblenz der Mord an Samuel Yeboah verhandelt. Er starb in der Nacht vom 19. September 1991 bei einem Brand, der in einer Unterkunft für Geflüchtete gelegt wurde. Bei Ausbruch des Feuers befanden sich 21 Personen im Haus, zwei von ihnen erlitten durch Sprünge aus den Fenstern schwere Verletzungen. Bei Prozessbeginn traten drei Überlebende als Nebenkläger auf, im Verlauf des Prozesses schlossen sich weitere fünf Überlebende der Nebenklage an. 
Wir haben mit Kristin Pietrzyk (KP), Alexander Hoffmann (AH) und Dr. Björn Elberling (BE) gesprochen, die als AnwältInnen sieben der Opfer vertreten.
 
Hat es Sie überrascht, dass nach fast 30 Jahren erstmals ein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte?
KP: Die Wiederaufnahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt (GBA) hat uns nicht überrascht. Nach der Mordserie des NSU wurden zahlreiche ungeklärte rassistische Morde vor allem durch JournalistInnen wieder aufgegriffen. Die Tatsache, dass der GBA dann die Ermittlungen sehr gründlich nachvollzogen und anschließend Anklage erhoben hat, war aber doch überraschend. Vor allem, weil aufgrund der mangelhaften Ermittlungen in den 90er Jahren und auch der vergangenen Zeit, fast dreißig Jahre, nur wenige Beweismittel vorhanden waren und daher eine Verurteilung nicht unbedingt zu erwarten war.

Wie bewerten Sie den Verlauf des Prozesses bis jetzt (Stand 22 Prozesstage)?
BE: Die Frage kann aus zwei Perspektiven beantwortet werden. Da ist einmal das zu erwartende Urteil. Das Gericht hat der Verteidigung ein Angebot gemacht – Geständnis jetzt im Gegenzug zu einer zugesagten moderaten Strafe. Mit diesem Angebot machte das Gericht deutlich, dass es nach dem weitgehenden Abschluss der Beweisaufnahmen zum Brand selbst und zur Grillparty im Jahr 2007, auf der der Angeklagte sich selbst der Tat bezichtigte, auf Verurteilungskurs ist. Das ist auch meine Wahrnehmung der Beweisaufnahme bis jetzt, insbesondere nach dem überzeugenden Auftritt der Zeugin, der der Angeklagte bei der Grillparty die Tat gestanden hatte.
KP: Deutlich wurde aber auch, wie die Realität in den 90er Jahren aussah. Nazis wurden nicht als Problem, sondern als Jugendkultur wahrgenommen. Die Akten haben durchgehend einen rassistischen Sprachgebrauch. Es zeigt sich auch immer wieder, dass die Vernehmungsprotokolle Aussagen beinhalten, deren Inhalt die Zeugen heute vehement bestreiten. Es drängt sich der Eindruck auf, dass dies kein Versehen war.
BE: Sowohl die jetzt ermittelnden Beamten als auch das Gericht haben in deutlichen Worten ausgedrückt, dass auf die Ermittlungsarbeit von 1991 kein Verlass ist – das erlebt man auch nicht alle Tage.

Welche Erwartungen haben Ihre Mandanten an den Prozess?
KP: Unsere Mandanten erwarten vor allem, dass der Rassismus der 90er benannt wird, so wie sie ihn erlebt haben. Aber sie erwarten auch Aufklärung, die nicht zwangsläufig mit einer Verurteilung gleichzusetzen ist. Am Ende dieses Prozesses muss auch eine öffentliche Wahrnehmung stehen, die sich von dem Narrativ des braunen Ostens mit seinen Baseball-Schlägerjahren den Molotow-Cocktail-Jahren im Westen zuwendet. Im Westen brannte es öfter als im Osten, nur redet darüber niemand. 
AH: Unsere Mandanten haben nach dem Brandanschlag keinerlei Unterstützung erhalten. Sie wurden in eine andere Unterkunft verteilt. Dort musste einer von ihnen sogar einen weiteren Anschlag mit einem Brandsatz erleben, der in seine Wohnung geworfen wurde. Es wurde weder finanzielle noch psychologische Hilfe angeboten.

Wie schätzen Sie die Ermittlungsarbeit der Polizei damals und seit 2019 ein?
AH: Die Ermittlungsarbeit im Jahr 1991 war davon geprägt, das Verfahren möglichst schnell einzustellen oder sogar einen der Hausbewohner oder einen Besucher als Verdächtigen zu ermitteln. Anders lässt sich nicht erklären, dass gegen die Mitglieder der lokalen Nazi-Szene, die tatverdächtig waren, nicht mit Nachdruck ermittelt wurde. Sie hielten sich vor der Tat in einer Gaststätte in der Nähe des Flüchtlingsheims auf. Auch kamen sie nicht nur ideologisch, sondern auch aufgrund ihrer persönlichen Gewaltbereitschaft als Täter in Frage. In der Hauptverhandlung wurde bekannt, dass in einer Zeugenaussage vor der Polizei 1991 die Rede von zwei schwarz bekleideten Personen war, die das Haus direkt nach Ausbruch des Brandes verlassen haben. In der schriftlichen Zusammenfassung der Polizei wurde daraus eine dunkelhäutige Person. Die polizeilichen Ermittlungen nach der Tat lassen auch keine tiefergehenden Nachfragen beim Landesamt für Verfassungsschutz oder weitergehende Ermittlungen in die sehr aktive lokale Nazi-Szene erkennen. Insbesondere werden keine Verknüpfungen der Ermittlungen zu anderen Anschlägen in der Region verfolgt.
BE: Die Ermittlungen seit 2019 zeichnen sich durch eine hohe Professionalität aus. Vor allem durch ein Einfühlungsvermögen in die Lebenswelt von Überlebenden rassistischer Anschläge sowie durch einen distanzierten Blick auf die damalige Ermittlungstätigkeit, wie ich sie bei Ermittlungen nach rechten Angriffen selten erlebt habe.

Die Ermittlungen wurden durch den Hinweis einer Zeugin im Jahr 2019 wieder aufgenommen. Der Angeklagte soll ihr im Jahr 2007 die Tat auf einer Grillparty gestanden haben. Wie schätzen Sie ihre Aussage ein?
BE: Das Gericht hat mit der Vereidigung der Zeugin deutlich gemacht, dass es ihre Angaben für glaubhaft hält. Sie wurde wegen der »ausschlaggebenden Bedeutung« ihrer Angaben vereidigt, und ausschlaggebend für ein Urteil können nur Angaben sein, die das Gericht als glaubhaft einschätzt.
Die Zeugin hat eine geradezu musterhafte Aussage gemacht, hat deutlich gemacht, woran sie sich noch genau erinnert und woran nicht mehr so genau, hat sich erkennbar bemüht, in ihrem Gedächtnis zu kramen, hat auch Fragen zu ihr unangenehmen und intimen Themen unaufgeregt und ohne Tendenz zur Beschönigung beantwortet. Ihre Aussage ist zudem über mehrere Befragungen durch Polizei und Gericht im Kern sehr stabil geblieben. 
Wir haben hier eine Frau erlebt, die »unpolitisch« ist – sie hat die Beziehung mit ihrem Freund weitergeführt, obwohl der immer tiefer in die Nazi-Szene einstieg. Er und seine Kameraden waren ihr auch zu Hause willkommen, solange sie ihre Gesinnung »an der Haustür abgegeben« haben. Sie ist dann aus menschlichem Anstand zur Polizei gegangen, als sie erfahren hat, dass der Angeklagte mit dem Anschlag, den er ihr gestanden hatte, einen Menschen umgebracht hatte. Das hat sie getan, obwohl sie wusste, dass sie davon nichts zu gewinnen hat, sondern vielmehr Angst vor Racheaktionen der Neonazi-Szene haben muss. Deswegen sind auch alle Versuche der Verteidigung, ihr irgendwelche Motive für eine Falschbelastung anzudichten, fehlgegangen.
 
Wie ist diese Selbstbezichtigung des Angeklagten auf der Grillparty zu bewerten?
BE: Der Angeklagte hat uns jedenfalls kein Motiv genannt, warum er sich selbst fälschlich einer solchen Tat bezichtigt haben sollte. Er hat behauptet, er habe das nie gesagt. Er ist wohl davon ausgegangen, dass er unter Gleichgesinnten war. Alle Anwesenden waren, mit Ausnahme der Zeugin, Teil der Nazi-Szene. Deshalb hat er so offen über seine Täterschaft gesprochen.
 
Gibt es weitere Beweise, die den Angeklagten als Täter überführen können?
BE: Wir haben eine ganze Reihe Indizien: zum einen zur Tat selbst und zur unmittelbaren Zeit nach der Tat. Der Angeklagte war wenige Stunden vor dem Anschlag in der Nähe des Tatorts und unterhielt sich mit Gleichgesinnten über die gerade stattfindenden Pogrome samt Molotow-Würfen in Hoyerswerda. Er verhielt sich am Tag nach dem Brand und in den Tagen danach nach ZeugInnenberichten äußerst auffällig. Und wir haben Berichte von zahlreichen ZeugInnen aus der Nazi-Szene, dass es ein offenes Geheimnis war, dass er die Tat begangen hatte. Der GBA hat diese Indizienkette mit der Anklage präsentiert. Das reichte dem Gericht für die Eröffnung der Hauptverhandlung und die Verhaftung des Angeklagten. Bisher wurden alle Indizien bestätigt, sogar gestärkt. 
 
Dem Angeklagten wird die Tat als »Einzeltäter« vorgeworfen. ZeugInnen haben vor Gericht ausgesagt, dass sich mindestens zwei Personen kurz vor Ausbruch des Brandes von dem Haus entfernt hatten. Gibt es weitere Anzeichen darauf, dass Peter S. nicht alleine gehandelt hat?
KP: Zunächst hatte der GBA als Anklagebehörde keine andere Wahl, als einen Alleintäter anzuklagen. Es gab zum Zeitpunkt der Anklageerhebung keine belastbaren Hinweise auf Mittäter. Doch glaube ich, dass der GBA auch davon ausgeht, dass es mindestens Mitwisser gegeben hat. Wir sind noch nicht am Ende der Beweisaufnahme. Insofern sind noch alle Möglichkeiten – auch in Richtung Mittäter – offen.
 
Im Verlauf des Prozesses wurde deutlich, dass es in der rechten Szene in Saarlouis ein »offenes Geheimnis« war, dass der Angeklagte für die Tat verantwortlich ist. In den 90iger Jahren war die extrem Rechte von V-Leuten der Geheimdienste und der Polizei durchsetzt. Ist davon auszugehen, dass dies auch im Saarland Praxis gewesen ist? 
KP: Wir können nicht ausschließen, dass es im Verfassungsschutz Kenntnis gab und dieses Wissen aus Quellenschutzgründen zurückgehalten wird.
 
Könnte eine Verurteilung in diesem Verfahren auch ein Signal dafür sein, dass sich rechte Täter auch Jahrzehnte später nicht in Sicherheit wiegen können? Was würde ein Freispruch bedeuten?
AH: Eine Verurteilung könnte auch dazu führen, dass die Mauer des Schweigens bei den damaligen Polizeibeamten und Mitgliedern der damaligen Nazi-Szene durchbrochen wird. Es könnte darüber hinaus den Auftakt dazu bilden, die damaligen Ermittlungen in größerem Ausmaß als bisher in Frage zu stellen. Tatsächlich scheint es so, dass in den 90ern auch vorliegende Beweise nicht ausreichend bewertet wurden. Es ist davon auszugehen, dass noch weitere Taten aus diesen Jahren aufzuklären sind. Ein Freispruch kann eigentlich für andere Verfahren kaum Schaden anrichten, denn in den vergangenen 30 Jahren wurde nichts dafür getan, die vielen ungeklärten Fälle aufzuklären. Es kann also nichts schlimmer werden.
 
Ausgerechnet die CDU-Fraktion im saarländischen Landtag, die sich seit der letzten Landtagswahl in der für sie ungewohnten Rolle der Opposition wiederfindet, hat einen Untersuchungsschuss zu diesem Mordfall beantragt. Erwarten Sie weitere Aufklärung oder ist dieser Schritt als reine Taktik zu sehen?
KP: Man sollte sich nicht an der möglichen Taktik der CDU abarbeiten. Jede Aufklärung ist gut. Wir sollten deutlich machen, welche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit in solchen Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen geschaffen werden müssen. In Thüringen haben wir gute Erfahrungen mit Untersuchungsausschüssen gemacht. Der Aus­schuss zum NSU förderte fast mehr Erkenntnisse zutage als alle anderen zusammen. Der derzeit laufende Untersuchungsausschuss zu politischer Gewalt zeigt auf, dass die größte Bedrohung immer noch von rechts ausgeht. Das liegt aber vor allem an engagierten und hervorragend vorbereiteten Politikerinnen. Was Martina Renner (Die Linke), aber vor allem Katharina König-Preuss (Die Linke) in diesen Ausschüssen geleistet haben, ist unglaublich. Solche Menschen sind auch in der Lage, Untersuchungsausschüsse der CDU zu einem Gewinn zu gestalten. 

Die saarländische Justizministerin Berg (SPD) hat Anfang des Jahres den Brandanschlag als rassistische Tat benannt. Haben die Opfer ein Angebot zur Entschädigung von den politisch Verantwortlichen im Saarland erhalten? 
AH: Bislang wurde unseren Mandanten kein konkretes Angebot unterbreitet.

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