Lisa Schneider, kommunale Frauenbeauftragte der Stadt Saarbrücken

»Männer müssen lernen, nicht zu Tätern zu werden.«


Ein Gespräch mit Lisa Schneider, kommunale Frauenbeauftragte der Stadt Saarbrücken

Von Sadija Kavgić

Lisa Schneider, kommunale Frauenbeauftragte der Stadt Saarbrücken
Lisa Schneider, kommunale Frauenbeauftragte der Stadt Saarbrücken

Es heißt, im Saarland kannst du nichts werden ohne ein Parteibuch. Nicht nur deshalb war Ihre Wahl für die Öffentlichkeit eine Überraschung. Wie kam es dazu?

Über meine Einstellung hat die zuständige Auswahlkommission entschieden. Das heißt Personalamt, Personalrat, Vertrauensperson der Schwerbehinderten und Oberbürgermeister. Ich nehme an, dass für die Leute in dieser Kommission verschiedene Gründe eine Rolle gespielt haben. Da gab es eine Person, die mir gesagt hat: »Sie trauen sich was«, und ich glaube schon, dass auch meine Ausbildung ein Pluspunkt war, dass ich so diese Verbindung Wissenschaft und Praxis habe. Was letztlich ausschlaggebend war, kann ich nicht sagen. Mein Parteibuch kann es nicht sein, weil ich keins habe. Ich glaube, dass es eher von Vorteil ist, wenn man in dieser Position nicht an eine Partei gebunden ist.

Sie sind eine kommunale Frauenbeauftragte, Ihre Befugnisse sind im Landesgleichstellungsgesetz festgelegt. Sie sind nicht weisungsgebunden. Wie wollen Sie Ihre großen Gestaltungsspielräume nutzen?

(lacht) Deshalb hängen hier überall Zettel, weil ich dieses Gesetz einmal durchgearbeitet habe. Das Gesetz sagt, du sollst beteiligt sein. An der Frage, wie ich das ausfüllen möchte, arbeite ich gerade. Es gibt bereits eingespielte Verfahren, wie etwa die Beteiligung der Frauenbeauftragten bei Personalentscheidungen. Zum Beispiel werden Homeoffice-Anträge gestellt, und die gehen durch, weil die Stadt sagt, es ist uns wichtig, dass wir Flexibilität gewähren. Das läuft schon gut. Mir gefällt auch der Vorschlag des neuen Amtsleiters Kinder und Bildung, Michael Kemmer, wie wir schneller Menschen in den Sozial- und Erziehungsdienst bekommen, und ich habe noch ein paar Ideen dazu. Die Menschen bevorzugen sichere und unbefristete Arbeitsverhältnisse, die müssen wir ihnen auch anbieten. Das ist sicher nicht nur ein Frauenthema, es geht um die Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten – in diesem Fall sind das aber nun mal mehrheitlich Frauen. Und auch die wenigen Männer, die dort arbeiten, werden davon profitieren. Das Verknüpfen von Frauen- und Geschlechterfragen mit sozialen und arbeitsbezogenen Fragen – dabei denke ich an Lohnarbeit wie an reproduktive Arbeit – wird genauso zu meinen Schwerpunkten gehören wie das Thema körperliche und sexuelle Selbstbestimmung.

Apropos Männer. Sie sind Frauenbeauftragte. In den meisten anderen Bundesländern gibt es nur noch Gleichstellungsbeauftragte?

Ich höre öfters, dass manche Menschen das antiquiert finden. Ich verstehe, warum das historisch so gewachsen ist, dass es Frauenbüro heißt, und finde es okay. Wir haben auch eine Zuständigkeit für LGBTIQ[1] zugeschrieben bekommen, und das halte ich für eine sinnvolle Öffnung. Wenn es Gleichstellungsbüro hieße, müssten hier in meinen Augen allerdings noch viel mehr Aufgaben bearbeitet werden, Gleichstellung beinhaltet ja nicht nur Geschlechterfragen. Deshalb bin ich jetzt zwar Frauenbeauftragte und damit in meinem Kompetenzbereich, ich bemühe mich aber, Geschlecht mit anderen Themen zusammen zu betrachten. Die Geschlechterfrage lässt sich zum Beispiel nicht getrennt von der sozialen Frage und von anderen Diskriminierungsformen denken. Letztlich ist mir da ehrlich gesagt wichtiger, was für Arbeit ich mache, als welchen Titel ich trage.

Frauen im Saarland verdienen laut Statistik der Arbeitskammer fast 20 Prozent weniger brutto für dieselbe Arbeit als ihre männlichen Kollegen. Brutal sind die Unterschiede bei den Renten, Frauen stehen im Durchschnitt 532 Euro und Männern 1.245 Euro monatlich zu. Ist das ein Naturgesetz?

Auf keinen Fall. Ganz wenig am Geschlechterverhältnis halte ich für naturgegeben, das meiste davon ist eine gesellschaftliche Frage. Wo genau die Linie verläuft, darüber streitet sich die Wissenschaft, darüber streitet sich ja auch die Gesellschaft. Die Leute argumentieren ganz gerne so nach dem Motto: »Ja, aber die Frauen wollen ja nicht, und das liegt in der Natur, und ein Kind braucht seine Mutter.« Ich denke, wenn wir nur in so einer Schiene denken, alle Unterschiede für natürlich halten und dazu noch den Fehlschluss ziehen, »natürlich« sei gleichzusetzen mit »richtig und gut«, dann können wir nichts zum Besseren verändern. Selbst bei meiner Arbeitgeberin, die fast 3.500 Menschen beschäftigt, davon laut Personalstatistik mehr als die Hälfte Frauen, gibt es eine klare Unterrepräsentanz der Frauen in höheren Entgeltgruppen. Das zu ändern wird nicht die gesamtgesellschaftliche Emanzipation bringen, aber in der Welt, in der wir leben, ist es ein wichtiges Teilziel.

Die Universität des Saarlandes hat im letzten Jahr einen Soziologieprofessor berufen, der behauptet, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen in Deutschland im Wesentlichen bereits vollzogen ist bzw. dass Männer bei der Besetzung von Universitätsstellen sogar benachteiligt werden. Dabei belegt die Saar-Uni mit 23 Prozent Frauenanteil bei Professuren deutschlandweit den letzten Platz.

Ein Soziologieprofessor sollte schon Ahnung von Statistik haben, und wer eine Ahnung von Statistik hat, der kann selbst ablesen, dass die Gleichstellung nicht verwirklicht ist. Die neoliberale Erzählung davon, dass doch alle erreichen können, was sie möchten, wenn sie sich nur genug anstrengen, und dass Männer und Frauen aus freien Stücken unterschiedliche Lebenswege wählen, ist eine Erzählung, die den Status quo verteidigt, ohne ihn zu reflektieren. Typen, die solche Thesen vertreten, sind genau ein Grund, warum wir Frauenbeauftragte brauchen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dieser Uni?

Ich kenne fast nur die Mensa und die Bibliothek. Da mein Abi zu schlecht für das Psychologiestudium in Deutschland war, war ich gezwungen (lacht) in Luxemburg, Spanien und der Schweiz zu studieren. Danach durfte ich in Deutschland promovieren, aber an der UdS habe ich nur nebenbei mal ein paar Kurse in Philosophie belegt.

Ihr Glück vielleicht?

Ja, voll. So war ich auch mal raus aus dem Saarland und jetzt kann ich Statistik auch auf Französisch machen, das hätte ich hier nicht gelernt.

Ist denn Gewalt gegen Frauen noch ein Thema? Bzw. sind die Frauenhäuser und Notruftelefone noch notwendig?

Die Belegung der Frauenhäuser spricht dafür. Allein seit Januar habe ich von mindestens vier Fällen im Saarland gelesen, in denen von häuslicher Gewalt oder Beziehungsdrama geschrieben wird, wobei ich die als Femizid[2] oder als versuchten Femizid bezeichnen würde. Das wird als solches nicht erkannt, weil die Leute keinen Blick dafür haben, aber ich sehe das ganz klar.

»Verbale Anspielungen und ungewollte Berührungen« – so wurden die massiven Vorwürfe von Frauen der Jungen Union gegen ihren nun ehemaligen Landesvorsitzenden verniedlicht. Wie verbreitet ist diese Form der sexualisierten Gewalt?

Das passiert täglich, das passiert überall. Es gibt diese Statistik, jede dritte Frau erlebe das im Laufe ihres Lebens, aber ich glaube, es gibt eine große Dunkelziffer. Ich habe am 8. März eine kurze Rede zum Internationalen Frauentag gehalten und beschrieben, was mich motiviert, Frauenbeauftragte zu sein. Als ich da stand, konnte ich berichten, dass genau das mir letzten Samstag passiert war. So verbreitet ist das, wenn eine Frau sich im öffentlichen Raum bewegt. Was jetzt nicht das Problem in der Jungen Union relativieren soll, aber solches Verhalten ist allgegenwärtig.

Gibt es Strukturen, die besonders anfällig sind?

Ich glaube, wenn in diesen Diskussionen nur auf die bestimmte Partei oder bestimmte Institutionen abgestellt wird, dann verengt man den Blick zu sehr auf, ja, dort passiert es, aber bei uns gibt es das nicht. Die meisten Fälle finden ja in den Familien statt, im bekannten Umfeld, da sind die Täter Menschen, denen die Betroffenen zuvor vertraut haben. Ich halte das in allen Fällen für eine Machtfrage, weil sexuelle Belästigung, sexualisierte Gewalt bis hin zur Vergewaltigung immer auch was mit Macht zu tun hat. Und Machtgefälle haben wir überall in der Gesellschaft. Davor sind wir nirgends völlig geschützt, und die Täter gibt es überall.

Haben Sie einen Ratschlag für Frauen, die so etwas erleben? Wie sollten sie darauf reagieren?

Es gibt Betroffene, die wollen sich der Situation einfach entziehen, dann ist das okay, wenn sie sich entziehen können. Es gibt Betroffene, die wollen sich körperlich wehren, die sollen sich körperlich wehren. In jedem Fall ist es schwer, Ratschläge zu geben, weil die Situationen unterschiedlich sind und die Personen auch. Was ich mich traue zu generalisieren, ist meine Annahme, dass es besser ist, wenn man damit nicht alleine bleibt. Wenn man Menschen findet, die einem in irgendeiner Form helfen können. Das kann so was Offizielles wie der Frauennotruf sein, das können FreundInnen sein. Ich würde aber lieber weniger darüber sprechen, was Frauen in diesen Situationen tun sollten, sondern was auf Täterseite passieren sollte. Fest steht: Die Männer müssen lernen, keine Täter zu werden.

Wie sollen die das schaffen?

Wir müssen gesellschaftliche Strukturen verändern, die es attraktiv machen, die Machtpositionen auszunutzen und andere herabzuwürdigen. Das ist etwas, das nicht allein aus dem Frauenbüro, generell nicht allein aus den Institutionen heraus passieren kann. Wenn wir das nicht tun, werden alle Maßnahmen nur eine notwendige Symptombekämpfung bleiben.

Hilft der Umstand, dass immer mehr Frauen in Spitzenämtern und Führungspositionen sind?

Da bin ich zwiegespalten. Wenn Frauen in Machtpositionen kommen, heißt es nicht, dass automatisch alles besser wird. Sicher sollten Menschen aller Geschlechter die Chance haben, wichtige Posten zu besetzen, aber letztlich müssen sich die Strukturen der Ungleichheit verändern.

Anfang des Jahres forderten die saarländische SPD und CDU von der Bundesregierung, gewaltbetroffenen ausländischen Frauen einen eigenständigen, vom gewalttätigen Ehepartner unabhängigen Aufenthaltstitel gemäß der Istanbul-Konvention zu gewähren. Wie ist die Situation im Saarland?

Ich finde, Menschen, die aus einer elenden Lebenssituation flüchten, sollten bei ihrer Ankunft einen gesicherten Aufenthaltsstatus und BürgerInnenrechte bekommen. Das würde diese Überlegungen und umständliche Prozeduren überflüssig machen.

Jedes Jahr findet weltweit am 14. Februar die Aktion »One Billion Rising« statt. Damit soll auf die Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht werden. Verschiedene Frauengruppen reagierten enttäuscht auf Ihre Entscheidung, die diesjährige Aktion in Saarbrücken nicht zu unterstützen. Was waren Ihre Gründe?

Ich hatte mich bisher mit »One Billion Rising« nicht wirklich beschäftigt und habe spontan, als ich gefragt wurde, gesagt, dass ich dort ein Grußwort sprechen könne, weil das bei meinen Vorgängerinnen so Usus war. Bei der Vorbereitung wurde mir klar, dass ich sehr zwiegespalten bin, weil mir einerseits das Thema am Herzen liegt, andererseits die Aktionsform und die Außenwirkung für mich nicht dazu passen. Die Veranstaltung wurde beworben mit Parolen wie »Lasst uns das Saarland rocken!« und »Das Ende jeglicher Gewalt wird herbeigeführt, wenn wir uns zusammenschließen […].« – das erschien mir unangemessen und wenig realistisch, um gegen Gewalt an Frauen vorzugehen.

Ich hatte Bauchschmerzen, weil ich meine neuen Netzwerkpartnerinnen im FrauenForum nicht verprellen wollte, aber gleichzeitig richtig körperlich gespürt habe, dass ich auf dieser Veranstaltung nicht stehen will. Ich habe deshalb meine Absage mit einer kurzen Begründung an den Verein Frauenmantel gesendet, die »One Billion Rising« in Saarbrücken federführend organisieren.[3] Wir hatten im Anschluss dann noch ein Gespräch, bei dem wir über die Veranstaltung, meine Kritik und die Sichtweise der Organisatorinnen gesprochen haben. Ich hoffe, dass es mir am Ende gelungen ist, meine Haltung zu vermitteln – freundlich und ehrlich gegenüber den Personen, kritisch und klar in der Sache. Zum Glück bin ich ja nicht alleine, meine Kollegin aus dem Frauenbüro war auf dem St. Johanner Markt dabei und hat die Veranstaltung unterstützt, das war für uns intern ein guter Kompromiss. »One Billion Rising« wird nicht meine Veranstaltung sein, aber alle, denen das guttut, die sollen es machen.

Gemessen an der medialen Aufmerksamkeit scheinen zurzeit KO-Tropfen das größte Problem der Frauen im Saarland zu sein.

Dass diese Kampagne, die vom Sozialministerium finanziert wird, so sichtbar ist, liegt in weiten Teilen an dem Engagement der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauenbeauftragten. Es ist ein sehr wichtiges Thema, das viele junge – allerdings nicht nur junge – Menschen betrifft. Das Zeug ist gefährlich und nur kurze Zeit nachweisbar, und wir kennen die Fälle, in denen Leute nicht einordnen konnten, was ihnen passiert ist, und in denen sie von der Polizei weggeschickt wurden, sodass keine Spurensicherung erfolgen konnte. Da besteht ganz offensichtlich Aufklärungsbedarf, und mit der Kampagne gelingt das gerade ganz gut.

Das heißt nicht, dass KO-Tropfen unser einziges oder größtes Problem sind, es ist aber ein sehr realitätsnahes, greifbares Problem. Leider ist es aber so, dass die öffentliche Aufmerksamkeit mit der Komplexität und Abstraktheit der Themen sinkt. Die gleiche Arbeitsgemeinschaft hat am internationalen Frauentag auch einen Vortrag und eine Fachtagung zur UN-Frauenrechtskonvention organisiert, da gab es leider weniger Resonanz.

Was haben Sie als Nächstes vor?

Wir planen aktuell den im November stattfindenden FrauenThemenMonat, das Thema wird sein: Fem*life – Feminismus in allen Lebensphasen. Was bedeutet Feminismus, was bedeutet Frauenpolitik für Menschen aus verschiedenen Generationen, verschiedenen Alters und in verschiedenen Lebensphasen? Es macht mir Freude, inhaltliche Schwerpunkte zu setzen, die das Potenzial haben, möglichst viele Menschen mitzunehmen. Auch möchte ich Beteiligungsprozesse für anstehende Entscheidungen anstoßen.

Welche Entscheidungen?

Es fängt schon bei simplen Sachen an, wie die bevorstehende jährliche Frauenversammlung der städtischen Beschäftigten. Da saßen meine Kollegin und ich gerade zu zweit zusammen und haben überlegt, welche Themen wohl für die große Zielgruppe interessant wären. Bislang gibt es keinen Rahmen, in dem wir die rund 1.500 anderen Kolleginnen dazu befragen könnten, aber da sind wir auf der Suche, und ich bin guter Dinge, dass wir Möglichkeiten finden, stärker in Kontakt zu treten.

Wie sieht es mit Social Media aus?

Bisher gibt es viele Drucksachen im Frauenbüro. Mir würde es schon gut gefallen, wenn wir auch einen Social-Media-Kanal betreiben würden, weil es leichter wäre, nach außen zu kommunizieren. Zurzeit bin ich dabei, immerhin unsere Website zu überarbeiten, und werde dort bald regelmäßig schreiben.

Auf Ihre Beiträge sind wir gespannt. Danke für das Gespräch.

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Lisa Schneider wurde in Homburg geboren. Sie studierte Psychologie in Luxemburg, Spanien und der Schweiz. Sie arbeitete in der Unternehmensberatung und als wissenschaftliche Mitarbeiterin und hat sich im Rahmen ihrer Promotion an der Universität in Trier mit (Geschlechter-)Stereotypen und Vorurteilen auseinandergesetzt. Sie engagiert sich seit Jahren feministisch und beteiligt sich an Initiativen gegen rechtsradikale Gewalt.

Kontakt: frauenbuero@saarbruecken.de

Telefon: 0681 905-1649


[1] LGBTIQ – Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexual, and Queer (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und queer).

[2] Mord aus Frauenhass.

[3] Über den Verein »Frauenmantel – Frau im Zentrum e.V.« schrieb Isabelle Bastuck den Text »Mystikerinnen im Feminismus« im Heft Nr. 123.

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