Naiver Kulturrelativismus



Der Umgang mit der islamistischen Rechten im Saarland

von Klara Katharina Bost

Am 16. Oktober 2020 wird Samuel Paty in der Nähe von Paris auf offener Straße enthauptet, nachdem er seinen Schülerinnen und Schülern am Beispiel der Mohammed-Karikaturen die Bedeutung von Meinungsfreiheit erklären wollte. In Kabul werden innerhalbweniger Tage erst eine Schule, dann am 2. November die Universität von islamistischen Terroristen angegriffen. Es gab jeweils um die 20 Tote. Ebenfalls am 2. November erfolgt der Terroranschlag in Wien. Das sind nur die jüngsten, und sicherlich nicht die letzten, islamistischen Terrorakte.


Im Nachgang der Anschläge kam es vielerorts zu Demonstrationen, getragen von islamischen Communitys. Man störte sich aber nicht etwa am Missbrauch der eigenen Religion zur Rechtfertigung barbarischer Terroranschläge, sondern, und das ist bezeichnend, empörte sich über die unziemliche »Beleidigung des Propheten«. Auch im Saarland gab es derlei Proteste: Bis dato zwei in Neunkirchen, einen in Saarbrücken.


Die adäquate Einordnung der politischen Ideologie, die diesen Anschlägen und Protesten zugrunde liegt, scheint der Gesellschaft noch immer schwerzufallen – ob es nun um radikalen Islamismus oder das Weltbild eines orthodox-konservativen Mehrheitsislam geht. Während christlicher Fundamentalismus, zumindest aus liberalen Milieus heraus, überwiegend klar abgelehnt wird, haben Klerikal-Faschisten islamischer Provenienz seitens Politik, Presse und säkularer Öffentlichkeit weit weniger Widerspruch zu befürchten. Zugute kommt ihnen dabei eine fatale Mischung aus naivem Kulturrelativismus und falsch verstandenem Antirassismus.

Die Linke und der Islamismus

Kevin Kühnert und Dietmar Bartsch attestierten jüngst insbesondere der Linken Defizite im Umgang mit Islamismus. Ganz falsch ist das nicht. Relevante Teile der Linken sind in der Tat völlig tumb, was die Bewertung islamistischer Protagonisten angeht. So etwa Judith Butler, Ikone der Queer Theory, die
Hisbollah und Hamas als sozialen und progressiven Teil der globalen Linken verstanden wissen will. Neben der Queer Theory sind es vor allem postmoderne und -koloniale Theorien, die die Verteidigung universalistischer Werte und der Errungenschaften der Aufklärung als »eurozentristisch« und berechtigte
Kritik an den vom Islam propagierten Ungleichheitsideologien als »rassistisch« denunzieren. Klar: Die Ablehnung des Islam kann eine Spielart von Rassismus sein, sie kann aber auch Ausdruck einer liberalen, feministischen und aufklärerischen Haltung sein.


Ganz treffend ist der Vorwurf von Kühnert und Co. indes auch nicht. Zum einen ist es längst nicht nur die Linke, die sich einer aufgeklärten Islamkritik verschließt. Man nehme nur das Appeasement von Kühnerts eigener Partei und der Regierung gegenüber iranischen Islamisten – auf verschiedenen Ebenen arbeiten hier staatliche Institutionen mit Vertretern eines Regimes zusammen, das regelmäßig zum Mord an Jüdinnen und Juden aufruft. Und ein Ende der Zusammenarbeit ist nicht absehbar. Frank-Walter Steinmeier gratulierte 2019 gar dem Mullah-Regime zum Revolutionsjubiläum. Ein anderes Beispiel: Die Organisation DITIB, der verlängerte Arm von Ankaras Religionsbehörde Diyanet, wird allerorten von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen als adäquater Kooperationspartner fehlinterpretiert – auch von Vertretern konservativer Parteien und jenen anderer Glaubensrichtungen.

Schlaglichtartig einige Blüten, die die Symbiose von Kulturrelativismus und Inkonsequenz im Umgang mit der islamistischen Rechten im Saarland trieb und treibt:


  • Hier ist der umstrittene Moscheeverband DITIB seit einigen Jahren über einen Modellversuch am Islamunterricht an Grundschulen beteiligt. Andere Bundesländer, wie Hessen, sind da schon weiter und stellen ihre Zusammenarbeit wegen der Nähe DITIBs zum türkischen Staat infrage.
  • Im Jahr 2019 stellte der Publizist Jürgen Todenhöfer, flankiert von Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine, vor der ausverkauften Saarbrücker Garage sein neuestes Buch vor und deutete islamistischen Terrorismus zum wiederholten Male als legitimes Widerstandshandeln gegen westliche Politik um.
  • Ganz aktuell [November 2020, Anm. der Red.] hatte die FrauenGenderBibliothek Saar die Autorin Kübra Gümüsay zum Frauen-Themen-Monat eingeladen. Gümüsay ist Spiegel-Beststeller-Autorin, die gern in linken, hier vor allem queerfeministischen und/oder intersektionalen Kreisen rezipiert wird, aber auch seit Jahren wegen ihrer Haltung und Nähe zu islamischen Klerikal-Faschisten in der Kritik steht.
  • Das Landesamt für Verfassungsschutz stellte radikalen Fundamentalisten in Sulzbach öffentlich einen Persilschein aus. Dazu mehr im Interview.

Emanzipatorische Kritik ist möglich

Kühnert ist derweil mit seiner Essentialisierung »der« Linken etwas Entscheidendes entgangen – Teile derselben bemühen sich bereits seit Jahrzehnten um eine emanzipatorische Kritik des politischen Islam. Insbesondere in der antideutschen Strömung zuzurechnenden Publikationen wie der Jungle World, früher
auch der Bahamas, wird man hier fündig. Im Saarland recherchiert und publiziert seit 2004 die Aktion 3. Welt Saar zum Thema. An anderer Stelle entstand mit der Zeitschrift tapis gar ein eigenes Magazin, das sich ganz der Analyse der islamistischen Rechten verschrieben hat. Der Leitartikel der ersten
Ausgabe vom Juni 2020, »Saubermänner ander Saar«, widmet sich der Muslimischen Gemeinde Saarland e.V. (MGS), die in Sulzbach die Eröffnung einer salafistischen Moschee mit Platz für 200 Personen plant.

Die Saarbrücker Hefte haben mit Autor J.K. gesprochen.



SH: Wie kam es zur Gründung des Magazins tapis – Analysen zur islamistischen Rechten?


J.K.: tapis schließt eine Lücke in der Medienlandschaft: Ein Fachmagazin für konkrete Recherchen zu islamistischen Organisationen gab es noch nicht. In der Tagespresse ist meist kein Platz für ausführliche Betrachtungen, und Blogs wirken oft unübersichtlich. Die Redaktion besteht aus Journalistinnen und Journalisten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich schon mehrere Jahre mit Islamismus beschäftigen und endlich eine angemessene Plattform für ihre Arbeit geschaffen haben.


SH: Nachdem 2017 die Freien Wähler und die Neonazi-Initiative »Sulzbach wehrt sich« um Alexander Flätgen und Sascha Wagner mit einer rassistischen Kampagne gegen die Moschee mobilmachten, solidarisierten sich weite Teile von Lokalpolitik und Presse mit der muslimischen Gemeinde. Zurecht?

J.K.: Bedingt. Als erstes sollte man die Freien Wähler und die NPD-Vorfeldorganisation »Sulzbach wehrt sich« strikt voneinander trennen. Akteure wie Alexander Flätgen und Sascha Wagner haben damit versucht, auf plumpste Art und Weise ihren Rassismus zu rationalisieren – und vor Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sind Menschen selbstverständlich immer in Schutz zu nehmen. Die Freien Wähler dagegen haben zunächst eher Pseudo-Argumente wie einen möglichen Parkplatzmangel im Umfeld der Moschee vorgebracht, sich dann aber auch deutlich inhaltlich positioniert, indem sie u.a. durch Veranstaltungen mit Sigrid Hermann-Marschall und Birgit Ebel vernünftige Argumente gegen die
MGS in die Debatte eingebracht haben. Dass in anderen Teilen der Zivilgesellschaft überlegt wurde, gemeinsam mit der MGS eine Kundgebung abzuhalten und sich die Lokalpolitik mehr oder weniger bedingungslos hinter sie gestellt hat, halte ich für hochproblematisch, weil dabei die rechte Ideologie der
Gemeinde überhaupt keine Beachtung findet und sogar noch legitimiert wird. Die einzelnen Menschen der Gemeinde sind vor rassistischen Anfeindungen immer in Schutz zu nehmen, gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass diese selbst Träger einer rechten Ideologie sind. Die Vorstellungen und Praxis
der MGS sind kein Ausdruck einer »authentischen muslimischen Kultur«, sondern offenbaren Verhalten bzw. politische Einstellungen, die wie alle anderen kritisiert werden sollten.


SH: Warum ist der Kampf gegen den Islamismus ein Kampf gegen rechts?

J.K.: Ich würde nicht alle Akteure des Islamismus per se als rechts einordnen, sondern eine, wenn auch kleine, islamistische Linke ausmachen, wie etwa die Volksmudschahedin oder Intellektuelle, bei denen gewisse Überschneidungen mit etwa der katholischen Befreiungstheologie feststellbar sind. Die überwiegende Mehrheit islamistischer Akteure, z.B. auch die MGS, vertreten aber Inhalte, die innerislamisch als rechts ausgemacht werden können, wie eine literalistische Auslegung der religionsstiftenden Texte. Auch finden sich dort gesellschaftliche Positionen wie zur propagierten Rolle der Frau, zu Homosexualität, zur Trennung von Religion und Staat, zur Pressefreiheit und nicht zuletzt zum Antisemitismus, die politisch rechts einzuordnen sind. Wer sich gegen antiliberale Ideen und für Emanzipation einsetzen möchte, muss sich gegen völkische und islamistische Rechte einsetzen.


SH: Wieso ist der Begriff des antimuslimischen Ressentiments dem der Islamophobie oder des antimuslimischem Rassismus vorzuziehen?

J.K.: Klar ist, dass es eine Diskriminierung von Muslimen als Muslime gibt. Allerdings verstellen Begriffe wie antimuslimischer Rassismus oder auch Islamophobie häufig den korrekten Blick auf dieses Phänomen und dienen mitunter als Kampfbegriffe. Rassismus meint eine Diskriminierung aufgrund (vermeintlicher) biologischer Eigenschaften. Der Islam ist aber ein Bekenntnis, das man ablegen oder auch ablehnen kann. Es ist also gerade kein biologisches Merkmal. Wenn Einwanderung aus mehrheitlich muslimischen Ländern mit einem Verweis auf Islamismus abgelehnt wird, steckt dahinter in der Regel keine ernsthafte Kritik am Islamismus, sondern eine Rationalisierung der eigenen Ausländerfeindlichkeit – schließlich leben auch in Ländern wie Ägypten Atheisten oder Christen, und gerade Syrien ist, oder war zumindest, religiös sehr
divers. Verfechter des Begriffs vom antimuslimischen Rassismus nehmen hier meiner Auffassung nach eine unzulässige Verknüpfung von Islam und Biologie vor oder fallen auf den »Trick« von Rassisten herein, die ihre Ablehnung von nicht-weißen Menschen mit einer vermeintlichen Religionskritik rationalisieren.
Das Konzept Islamophobie ist häufig völlig unzureichend definiert und trennt nicht zwischen einer rationalen, menschenrechtsorientieren Kritik an Religion oder der politischen Auslegung von Religion und Ressentiment. Das führt dazu, dass sogar seriöse Wissenschaftlerinnen wie Nina Scholz oder Muslime
und islamische Theologen wie Abdel-Hakim Ourghi als islamophob bezeichnet werden, weil sie Kritik an reaktionären islamischen Vorstellungen und islamischer Praxis äußern.


SH: Welche Erkenntnisse gibt es konkret zu den Akteuren innerhalb der Muslimischen Gemeinde
Sulzbach, wie schätzen Sie die dortige salafistische Szene ein?

J.K.: Die Positionierung der beiden öffentlichen Akteure, Imam Sayed Abdelaty und des Vereinsvorsitzenden Burhan Yagci, ist schon sehr eindeutig. Der Imam Sayed Abdelaty war zunächst bei der Islamischen Gemeinde Saarland in Saarbrücken tätig und hat bereits dort Konferenzen mit internationalen Größen des Fundamentalismus aus Saudi-Arabien organisiert. Sein Lehrer ist Fathy Eid, eine feste Größe in der salafistischen Szene Baden-Württembergs, der dort sogar vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird. Burhan Yagci ist in einem Video aus 2009 zu sehen, in dem er Straßenmissionierung für das Projekt »Einladung ins Paradies« des bekannten deutschen Salafisten Sven Lau macht. Auch Propaganda von Pierre Vogel ist in dem Video zu sehen. Das zeigt, dass Yagci schon lange in der Riege der deutschsprachigen Salafisten unterwegs ist. Die Partnermoschee der MGS in Merzig, die Islamschule Merzig, hat, im Gegensatz zur MGS, einen Webauftritt und verlinkt dort auf das aktuelle Projekt einer dritten Größe im deutschen Salafismus, der Föderalen Islamischen Union von Marcel
Krass. Bei einem Seminar mit dem bekannten Salafisten Amen Dali aus Mannheim wurde nicht nur eine literalistische Auslegung des Koran propagiert, sondern auch die Verschleierung der Frau als Pflicht festgelegt. Zudem wurden immer wieder Überlegenheitsgefühle gegenüber Nicht-Muslimen geschürt.
Die MGS ist also eindeutig in einem salafistischen Netzwerk positioniert, in dem enorm reaktionäre Inhalte vertreten werden, die der Freiheit des Einzelnen massiv widersprechen. Frauen und Homosexuelle werden in dieser Gemeinde nicht glücklich – bzw. nur, wenn sie die vorgeschriebenen Rollen affirmieren. Die Religion zu hinterfragen oder gar zu verlassen, ist in diesen Kreisen nicht möglich.
Gleichzeitig musste ich für meinen Artikel mit relativ wenig Material auskommen. Die MGS richtet ihre Arbeit kaum nach außen. Sie konzentriert sich sehr auf die interne Bildung und ihre engeren Kreise. Das ist in salafistischen Kreisen üblich. Die militärische Niederlage des IS und das Verbot der Straßenmissionierungskampagne Lies haben der Szene enorm zugesetzt. Die Dynamik ist verlorengegangen.


SH: Wie positioniert sich die Gemeinde zu islamistischem Terror?

J.K.: Dazu, dass in der MGS oder ihrem Umfeld zu Gewalt aufgerufen wird, konnte ich keine Belege finden. Ich gehe nicht davon aus, dass von der MGS eine explizit terroristische Bedrohung ausgeht. Allerdings weisen zahlreiche Expertinnen und Experten, wie etwa Elham Manea oder Heiko Heinisch, immer wieder darauf hin, dass es genau diese legal agierenden Islamisten sind, die einen Sound, einen Grundton, für spätere Gewalttaten schaffen, ähnlich wie die AfD dies für gewalttätige Rassisten tut. Es bleibt abzuwarten, welche Entwicklung in Sulzbach und dem Saarland stattfindet, wenn die neue Moschee mit Platz für fast 200 Personen eröffnet wird.


S.H: Der saarländische Verfassungsschutz hat die Gemeinde für unbedenklich erklärt. Eine Fehleinschätzung?

J.K.: Absolut. Wie man dieser Gemeinde einen »Rundum-Persilschein« ausstellen kann, bleibt für mich vollkommen unbegreiflich. Helmut Albert scheint merkwürdige Allmachtsfantasien zu haben, wenn er behauptet, seine Behörde wüsste alles, was in saarländischen Moscheen vorgeht, und es würde genügen, mit Radikalen wie der MGS im Austausch zu bleiben. Meiner Meinung nach führt er die Öffentlichkeit hinters Licht und fällt einer kritischen Zivilgesellschaft in den Rücken, wenn er reaktionären Islamisten wie der MGS Unbedenklichkeit bescheinigt. Der Verfassungsschutz weist sogar darauf hin, dass Sulzbach ein salafistischer Hotspot ist, der u.a. auch auf Geflüchtete abzielt. Es werden sämtliche Integrationsbemühungen konterkariert, wenn man Menschen, die zum Teil gerade vor gewalttätigen Islamisten geflohen sind, wieder wissentlich einer ganz ähnlichen Ideologie aussetzt. Vielleicht hält Herr Albert die Aktivitäten der MGS für einen »normalen Ausdruck muslimischer Kultur«, was aber der Gipfel kulturrelativistischer Bevormundung wäre. Die meisten Muslime, die ich kenne, wollen mit Gemeinden wie der MGS nichts zu tun haben. Ich plädiere dafür, die Vertreter der MGS als politische Akteure ernstzunehmen und dementsprechend ihnen entgegenzuwirken.


Das Interview erschien im November 2020 in der Printausgabe 122 der Saarbrücker Hefte.

Die vollständige Analyse von J.K. ist im Artikel »Saubermänner an der Saar« in der aktuellen Ausgabe der
tapis nachzulesen.

J.K studierte im Saarland Soziale Arbeit, im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit und darüber hinaus beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit Islamismus und der islamistischen Rechten.


Das Magazin tapis ist erhältlich im Buchladen im Nauwieser Viertel, weitere Verkaufsstellen können via Mail erfragt werden:

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