Schaufenster Frauenladen Cecilienstraße ca. 1980er Jahre

Das Patriarchat überwinden


Frauenbewegung im Saarland

Von Annette Keinhorst

Fast ein halbes Jahrhundert ist es her, dass die sogenannte Zweite Frauenbewegung im Saarland Fuß fasste, zumeist im studentischen Milieu und nicht ahnend, dass es Vorkämpferinnen für Frauenrechte auch hierzulande gegeben hatte: Angela Braun-Stratmann, Marie Juchacz und Klara-Marie Faßbinder seien hier nur am Rande erwähnt. Und auch nicht ahnend, dass wir mittlerweile von der Vierten Welle der Frauenbewegung sprechen können, in der sich das Ringen um Gleichberechtigung für Frauen inzwischen zu intersektionalen feministischen Kämpfen gegen Unterdrückung vieler erweitert hat.

Was ich vorfand, als ich 1975 erstmals den »Frauenladen« im Saarbrücker Nauwieserviertel betrat, waren weder männermordende Emanzen noch frustrierte Blaustrümpfe. Stattdessen erlebte ich einen quirligen Haufen zwanzig- bis dreißigjähriger Aktivistinnen, mit lila Latzhose oder im angesagten Hippie-Schlabberlook, empört über die Zumutungen der männlichen Zurichtung von Frauen und wild entschlossen, dem Patriarchat entschiedenen Widerstand und ein neues Frauenbild entgegenzusetzen. Wer wollte da nicht dabei sein?

»Wir sind Frauen, wir sind viele, wir haben die Schnauze voll!«, skandierte auch ich bald voller Wut bei den legendären Walpurgisnacht-Demonstrationen, die erstmals öffentlich die verschwiegene Gewalt gegen Frauen thematisierten, und als klare Ansage: »Wir holen uns die Nacht zurück!« Schwarz gekleidet, mit wilder »Kriegsbemalung« und Trillerpfeifen fühlten wir uns gemeinsam stark in schwesterlicher Solidarität.

Schaufenster Frauenladen Cecilienstraße ca. 1980er Jahre
Frauenladen Cecilienstraße, Birgit Wolz, o. J., FrauenGenderBibliothek Saar, Arch 69-244, CC BY 4.0

»Ich habe abgetrieben«

Zentrales Thema der Zweiten Frauenbewegung (als Nachfolgerin der Ersten Frauenbewegung, ca. 1850 – 1933) war die sogenannte Körperpolitik (Body Politics), also die Forderung nach sexueller / reproduktiver Selbstbestimmung von Frauen, die im Kampf für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch und gegen Gewalt an Frauen kulminierte. Öffentlichkeit und Politik wachgerüttelt hatte die von Alice Schwarzer aus Frankreich importierte Stern-Kampagne mit prominenten Frauen (»Ich habe abgetrieben«, 1971). Überall kamen junge Frauen zusammen, tauschten sich aus, gründeten Frauenzentren und gingen für Freiheit, Selbstbestimmung und gegen die massive Geschlechterungleichheit in Gesellschaft und Arbeitswelt auf die Straße.

Beratung zu alternativer Verhütung (die sogenannte Antibaby-Pille gab es seit 1962, aber zunächst nur für verheiratete Frauen) und zu Möglichkeiten des selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruchs stand auch in Saarbrücken im Mittelpunkt der politischen Arbeit. »Hollandadressen« wurden unter der Hand weitergegeben und Fahrgemeinschaften organisiert, um ungewollt Schwangeren zu einer straffreien und medizinisch sicheren Abtreibung im Nachbarland zu verhelfen. Selbstbestimmtes Wissen über den eigenen Körper (»Our bodies Ourselves!«) verbreitete sich in experimentierfreudigen Gruppen und auf Frauenkongressen, zum Missfallen der etablierten Ärzteschaft. Und immerfort wurde demonstriert: »Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine!« »Weg mit dem Paragraph 218!«, schallte es durch Saarbrücken, oder auch: »Wenn Männer Kinder bekämen, wäre die Abtreibung ein Sakrament!«

Schon 1975 hatte die Saarbrücker Frauengruppe zu einem bundesweiten »§ 218«-Treffen eingeladen, auf dem 70 Teilnehmerinnen über Strategien zur Abschaffung dieses Frauen entmündigenden und kriminalisierenden Paragrafen aus dem vorigen Jahrhundert (1871) berieten. Leider bis heute ohne abschließenden Erfolg. Weitere überregionale Treffen folgten, auch zu anderen Themen (1981 z. B. Anti-Militarismus-Kongress der AStA-Frauen).

Inspiriert vom US-amerikanischen Wo­men’s Movement, gab es im Frauenladen neben Gruppen zu linker politischer Theorie, zu feministischer Körperpolitik, zu Gewalt gegen Frauen, zu Lesbenpolitik übergreifend auch das sogenannte Consciousness-Raising. Diese Selbsterfahrungsgruppen nahmen zunächst die interessierten Neufeministinnen auf, die dann in kleiner Gruppe Regeln für demokratische Gruppenprozesse erlernten und psychologische Selbstermächtigung erfuhren. Ein Initiationsritus, der (Selbst-)Erkenntnisprozesse ermöglichte: Die je individuelle Betroffenheit steht in unmittelbarem Zusammenhang mit struktureller Unterdrückung und kann nur in der solidarischen Bewegung vieler gelöst werden, kurz: »Das Private ist politisch!«

Fünf Frauen am Infostand Nawieserfest, 1984
Notrufgruppe auf dem Nauwieserfest, o.A., 1984, FrauenGenderBibliothek Saar, Arch 69-219

Die Autonome Frauenbewegung

Ein weiterer Schlüsselbegriff der Neuen Frauenbewegung, Autonomie, erwuchs aus der Enttäuschung vieler Frauen, dass die Frauenfrage in der sogenannten Studentenbewegung, in linken politischen Gruppen und Parteien nur als Nebenwiderspruch zum angeblichen Hauptwiderspruch (von Kapital und Arbeiterklasse) ernst genommen wurde. Die Autonome Frauenbewegung formulierte damit eine selbstbewusste Unabhängigkeitserklärung gegenüber Parteien und staatlichen Institutionen. Sie sagte sich los von einer extrem patriarchal geprägten Gesellschaft, die Frauen eben nur als »deuxième sexe« (Beauvoir) sah und ihnen keinerlei Eigenständigkeit als politisches Subjekt zubilligte. Wie sich diese Unabhängigkeitserklärung auf den einzelnen Partner in der heterosexuellen Beziehung auswirkte, konnte in erhitzten saarländischen WG-Diskussionen und auch in der bundesdeutschen Scheidungsstatistik beobachtet werden. Erst die Reform des Ehe- und Familienrechts 1977 schaffte die »Hausfrauenehe« ab und ermöglichte Scheidung aufgrund von »Zerrüttung« statt des vormaligen Schuldprinzips, das Frauen meist mittellos und geächtet aus der Ehe entlassen hatte (erst 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe strafbar).

Aus der Empörung erwuchs damals eine historisch neue Verbundenheit unter Frauen und damit eine große Kraft für Veränderung, nicht nur im Saarland: »Sisterhood is Powerful! Frauen gemeinsam sind stark!«, wurde von Oslo bis Mailand, von Sydney bis New York skandiert. Wir demonstrierten für das Recht auf straffreie Abtreibung und gegen Gewalt, gegen die Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt (z. B. die Unterstützung der »Heckel-Frauen«), gegen Sexismus in der Werbung und auf Stern-Titelbildern (auch Saarbrücker Medien gerieten ins Visier), gegen Zwangsheterosexualität und für lesbische Sichtbarkeit. Saarbrücken staunte über Attacken auf die Wahl der »Miss Salü Saarbrücken« und auf Sex Shops und Peep Shows in der Stadt.

Aus den lockeren Aktionsgruppen und Diskussionszirkeln erwuchsen in den frühen Achtzigerjahren Vereine und Institutionen: der FrauenNotruf, die Frauenzeitungen Lila Distel und später Donna Wetter, das Frauenstudienprojekt an der Universität des Saarlandes, der Frauenkulturverein FF und auch die Frauenbibliothek. In ganz Deutschland sprossen Frauenverlage, Frauenbuchläden, Frauenarchive, Frauengesundheits- und -kulturzentren aus dem Boden und versorgten nicht nur die wissbegierigen »Emanzen« mit Wissen über Frauengeschichte, Frauenliteratur und internationalen Feminismus.

Lesbische Frauen schufen sich Begegnungsräume in und außerhalb der (lesbisch-)schwulen Subkultur (LeNe e. V., Stammtische, Kneipen) und entwickelten ein eigenständiges Selbstbewusstsein innerhalb der Frauenbewegung. Sie sahen sich nun oft eher als Avantgarde der Frauenbefreiung und immer weniger als diskriminierte Minderheit. Hier und da entstanden autarke Frauengemeinschaften (Landkommunen, Beginenprojekte). Ansätze dazu gab es auch im Saarland.

Frauenprojekte entstehen

Der Trend zur Professionalisierung erfasste nach und nach sämtliche sozialen Bewegungen. Die KämpferInnen der 1970er-Jahre wollten das Erreichte absichern. Die emanzipative Modernisierung, die inzwischen breiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr verborgen blieb, wurde nachhaltig institutionell verankert und mit bezahlten Erwerbsmöglichkeiten verbunden. Frauenhäuser wurden gegründet, feministische Rechtsanwältinnen erkämpften ein neues Familienrecht, Gewerkschafterinnen nahmen sich der Lohnungleichheit an u. v. m.

In Saarbrücken (Dellengartenstraße 14) entstand 1985 in gemeinschaftlicher Anstrengung ein Frauenprojektehaus mit psycho-sozialer und anwaltlicher Praxis, dem Verein für Frauenbildung und -kultur FF, dem Frauennotruf und vor allem viel Raum für Veranstaltungen und Feste. Ein regelmäßiger Feministischer Salon etablierte sich. Nach fünf Jahren musste das Haus wegen interner Differenzen aufgegeben werden. Doch schon 1991 konnte in der Stadtmitte (Kaiserstraße 2) ein mithilfe öffentlicher Förderung renoviertes neues Frauenprojektehaus eröffnet werden. Hier siedelten sich zwei professionelle feministische Dienstleisterinnen an: die Gesellschaft für berufliche Frauenförderung gGmbH und die »frauenbibliothek & dokumentationszentrum frauenforschung« (mittlerweile FrauenGenderBibliothek Saar), dazu ein Technologieberatungszentrum der städtischen Gleichstellungsstelle und der Dachverband »FrauenBildenWissen e. V.«, der die gemeinschaftliche Nutzung organisierte. Für viele Jahre war das Frauenprojektehaus ein weit ins Saarland hinaus strahlendes Zentrum der Frauen(bewegten): Anlaufstelle für praktische Unterstützung beim Weg in den Arbeitsmarkt oder bei beruflicher Qualifizierung, aber ebenso kultureller Kulminationspunkt z. B. mit dem ebenfalls ansässigen Frauenkulturverein FF, dem Gemischten Saarbrücker Damenchor und der Frauenbibliothek.

Parallel verankerten sich im Main­stream der Gesellschaft feministische Einmischungs­strukturen: Frauenbeauftragte in den Kommunen, Genderforschung an den Universitäten, Frauenförderung in Wirtschaft und Politik, Gender Mainstreaming in der EU und der UN.

Und heute?

Als eines der wenigen damaligen Frauenprojekte hat die FrauenGenderBibliothek Saar mit ihrem regionalgeschichtlichen Archiv den Sprung in die 2020er-Jahre geschafft. Sie ist heute eine etablierte Institution für Feminismus und Genderforschung und Bindeglied zwischen früher Bewegung und aktuellem Feminismus. Und nicht nur junge Frauen gehen heute wieder auf die Straße. Der Slogan »My Body my Choice« vereint aktuell ein breites feministisches Bündnis, das den langen Kampf für reproduktive Selbstbestimmung von Frauen fortführt und sich entschieden gegen religiös-fundamentalistische Einschüchterungsversuche zur Wehr setzt, auch auf der Straße. Eine der Initiatorinnen des Bündnisses ist die anarcha-feministische Gruppe Fem Up!, die sich in autonom-feministischer Manier als hierarchiefreie AktivistInnengruppe gegen Kapitalismus und Patriarchat versteht und sich für Frauen- und LGBTQ-Rechte engagiert. Im Unterschied zu den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts übrigens generationsübergreifend und »all gender«: Alle Geschlechter und Lebensentwürfe sind willkommen, um eine emanzipatorische Entwicklung der Gesellschaft voranzubringen. Weitere Bündnisse in Saarbrücken organisieren z. B. den Internationalen Frauentag (Frauenforum Saarbrücken, Bündnis »Internationaler Frauenkampftag«), ein alljährliches Frauen*BarCamp oder die rund 40 aktiven Frauenverbände im Saarland (Frauenrat Saarland).

Bei Fridays for Future erleben wir selbstbewusste junge Frauen als Sprecherinnen und junge Männer, denen eine gendergerechte Sprache ganz selbstverständlich von den Lippen geht. Und der Ruf der feministischen Revolution im Iran: »Frauen, Leben, Freiheit!« inspiriert inzwischen weltweit feministische Bewegungen und ertönt auch auf saarländischen Kundgebungen.

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