Warum die Kommunalwahl am 9. Juni auch eine Klimawahl ist
Von Aline Pabst
Es war kein kontroverser Tagesordnungspunkt, den Bürgermeister Sebastian Greiber im Gemeinderat Wadgassen am 6. Oktober 2022, mitten in der Energiekrise, aufrief. Zumindest schien der frühere Stellvertretende Vorsitzende der Jungen Liberalen Saar und heutige SPD-Politiker das zu glauben. Die Verwaltung möchte einen Klimaschutzmanager einstellen, erklärte Greiber in der Sitzung: jemanden, der Energiesparpotenziale der Gemeinde erkennt, Konzepte entwickelt und koordiniert und idealerweise gleich die nötige Finanzierung durch Förderanträge sichert. Sprich: Wadgassen viel Geld sparen und einbringen könnte. Eine solche auf zwei Jahre befristete Stelle werde derweil selbst vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert, aufgrund der Haushaltsnotlage der Gemeinde ging Greiber sogar von einer 100-prozentigen Finanzierung aus.
Ein kostenloser Mitarbeiter für eine chronisch überlastete kommunale Verwaltung – da gibt es ja eigentlich nichts zu diskutieren, dachte der Bürgermeister wohl. Er irrte. CDU-Fraktionsvorsitzender Manfred Zang fragte unwillig, ob nicht jemand anderes im Rathaus »diese Klimaschutz-Sachen« nebenbei erledigen könne. Auch sonst ließ er kein gutes Haar an dem Vorhaben. Was, wenn Wadgassen sich um die Bundesförderung bewirbt, aber am Ende doch einen Eigenanteil aufbringen muss? Und wenn die Förderung ausläuft – könnte die Gemeinde am Ende irgendwie gezwungen werden, den Vertrag des Klimaschutzmanagers zu entfristen?
Unterstützung bekam Zang aus den Reihen der FDP. Niemals könne ein Klimaschutzmanager seine eigenen Personalkosten einsparen, erklärte Norbert Hackert heftig: »Ich glaube das einfach nicht!« Am Ende enthielten sich die sieben anwesenden CDU-Mitglieder bei der Abstimmung, vier Ratsmitglieder (FDP und die Ex-Linken der Fraktion »Aktive 21«) stimmten gegen den Antrag, 16 dafür, womit er angenommen war. Die Reaktionen der Gemeinderäte stehen allerdings exemplarisch für eine Haltung, die in vielen kommunalen Gremien verbreitet ist, aber selten so offen zutage tritt: Klimaschutz wird als lästiges Gedöns abgetan, zu dem man sich höchstens herablässt, wenn es keine Umstände macht und nichts kostet – und oft nicht einmal dann. Ein »Ich glaube das nicht!« ersetzt jedes valide Argument. Fakten spielen keine Rolle, dafür herrschen viel Unwissen, Gefühligkeit und Ideologie bei jenen, die Klimaschützern genau das immer gerne vorwerfen.
Für die saarländischen Kommunen ist das ein echtes Problem, das sich nach der Kommunalwahl noch verschärfen dürfte.
Lieber Campingplatz als Moorlandschaft
Die globale Erhitzung ist eine Tatsache, die von keinem seriösen Wissenschaftler bestritten wird. Wir Menschen sind schuld an der Klimakrise, sie bedroht unsere gesamte Zivilisation, aber noch können wir das Schlimmste verhindern, wenn wir schnell und entschlossen auf allen Ebenen handeln. Längst hat sie auch das Saarland erreicht: Laut dem Deutschen Wetterdienst begann die Apfelblüte in diesem Jahr bereits am 7. April. Zwischen 1961 und 1990 blühten die Apfelbäume hierzulande im Schnitt erst am 2. Mai. Die Verschiebung der Jahreszeiten bringt das gesamte heimische Ökosystem aus dem Gleichgewicht und erhöht die Gefahr später Frostschäden. Im Sommer erwarten uns immer mehr Hitzetage und tropische Nächte, extreme Niederschläge wechseln sich mit langen Dürreperioden ab, mit verheerenden Folgen (unter anderem) für die saarländischen Wälder und Landwirtschaft. Diese Entwicklung wird sich weiter verschlimmern, bis die Menschheit netto keine Treibhausgase mehr ausstößt, und selbst danach wird sich die Erde noch eine Weile weiter aufheizen.
Emissionen zu vermeiden, ist Klimaschutz, Anpassung an das sich verändernde Klima ist die zweite große Baustelle. Beides wird von der EU und dem Bund gefordert, aber die Umsetzung liegt in den Händen der Kommunen und Landkreise. Bisher macht es aber nicht den Eindruck, als ob alle Verantwortlichen in den saarländischen Städten und Gemeinden dieser Herausforderung gewachsen sind – oder sie überhaupt erfassen können.
Im März 2022 wurde im Homburger Stadtrat über die Wiedervernässung des Königsbruchs beraten, der größten ehemaligen Moorlandschaft des Saarlandes. Im natürlichen nassen Zustand sind Moore wertvolle Kohlenstoffspeicher (zudem Lebensräume vieler seltener Arten), trocken gelegt emittieren sie dagegen große Mengen Treibhausgase. Der Rat beschloss, die möglichen Auswirkungen einer Wiedervernässung auf das Grundwasser, Gebäude und so weiter zunächst durch ein Gutachten klären zu lassen. Bis dieses Gutachten in Auftrag gegeben wurde, vergingen allerdings fast zwei Jahre. Nur kurz danach, am 21. März 2024, erteilte der Rat dem Vorhaben, das eines der prestigeträchtigsten Natur- und Klimaschutzprojekte der gesamten Region hätte werden können, eine vorläufige Absage: Er genehmigte die Errichtung einer Tiny-House-Siedlung auf dem Campingplatz Königsbruch, der direkt neben dem gleichnamigen Moor liegt.
Eben jener Platz könnte nach Ansicht von Naturschützern bei einer Wiedervernässung teilweise unter Wasser stehen. Ihre Befürchtung: Der Ratsbeschluss pro Campingplatz könnte das Aus für die Revitalisierung des Moors bedeuten. Im besten Fall kommt sie trotzdem irgendwann – aber die Kosten für die Sicherung der Tiny Houses müsste die Stadt dann selbst tragen. Ein Antrag der Grünen, den Betreiber Steven Enkler dazu zu verpflichten, wurde in derselben Sitzung abgeschmettert. Enkler selbst bemüht sich redlich, seine »Königsbruch GmbH« als nachhaltigen Vorzeige-Campingplatz zu präsentieren. Noch im Januar ließ er auf dem Anzeigenportal www.homburg1.de den Bau einer großen PV-Anlage ankündigen. Am Ende solle der Platz »klimapositiv« werden. Was das heißt und wie er das genau bewerkstelligen will, verrät der Unternehmer nicht.
Bemerkenswert: Noch im März 2022 traf die Wiedervernässung des Königsbruchs auf allgemeines Wohlwollen im Homburger Rat. Im Sommer 2023 befürchtete die CDU dann plötzlich eine »Absenkung der allgemeinen Lebensqualität durch eine Moorlandschaft«. Die Bedeutung für den Klima- und Artenschutz können oder wollen die Christdemokraten offenbar nicht sehen.
Aber auch das SPD-geführte Umweltministerium kommt nicht gut weg: Laut Bürgermeister Michael Forster (CDU) habe das Land die Stadt bei dieser Debatte völlig allein gelassen.
Heizungshammer
Die Liste der nötigen Klima-Maßnahmen ist lang. Der Ausbau erneuerbarer Energien wird die Städte und Gemeinden noch Jahre beschäftigen, aber letztendlich kaum Auswirkungen auf den Alltag der Saarländer haben. Der ein oder andere mag sich zwar über ein neues Windrad im Umkreis seines Wohnorts ärgern. Den meisten ist es jedoch völlig egal, ob der Strom aus einem Kohlekraftwerk, französischen Atommeiler oder saarländischen Solarpark stammt, solange das Licht angeht, wenn man den Schalter drückt.
Anders sieht es bei der kommunalen Wärmeplanung aus. Die Frage »Gas, Öl oder Wärmepumpe?« ist im Jahr 2023 zu einem regelrechten Kulturkampf ausgewachsen. Gegen »Habecks Heizhammer« (ohne Populismus: die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes) zog auch die Saar-CDU zu Felde. Im Landtag verlangte die Opposition eine Förderung für »moderne und effiziente« fossile Heizungen und demonstrierte damit eindrücklich ihre völlige Unwissenheit beim Klimaschutz. In zahllosen Gemeinden machte sie außerdem mit ihrer »Fairheizen statt verheizen«-Kampagne nicht nur gegen die »grüne Verbotspolitik« mobil, sondern trug maßgeblich zur Verunsicherung der Bevölkerung bei. Die Folge: Es kam im Saarland zu regelrechten Panikkäufen, bis September 2023 wurden 15.000 neue Öl- und Gasheizungen eingebaut. Dass einige der am meisten skandalisierten Passagen des Bundesgesetzes aus der Feder der Vorgänger-Regierung stammten (maßgeblich waren der Saarländer Peter Altmaier (CDU) und Bayerns Horst Seehofer (CSU) beteiligt), verschwieg die CDU.
Monate vorher (Februar 2023) wurde dem Stadtrat Blieskastel eröffnet, dass eine Kita statt der vom Rat präferierten Wärmepumpe nun doch eine Gasheizung bekommen werde. Laut Jürgen Bach, Chef der Biosphären-Stadtwerke Bliestal und St. Ingbert, sei dies die wirtschaftlichere Lösung, da die Gaspreise zu diesem Zeitpunkt wieder gesunken waren und noch weiter fallen würden. Eine erstaunliche Sichtweise, denn: Ab 2027 soll der EU-Emissionshandel auch auf Gebäude und Verkehr ausgeweitet werden, eine massive Verteuerung von Öl, Gas, Benzin und Diesel wird die Folge sein. Dagegen werden CDU und FDP eigentlich schlecht argumentieren können, da es sich beim Emissionshandel um genau das Instrument handelt, für das beide Parteien als angeblich bürgerfreundlichere Alternative zu Heizungsverboten trommelten. Ob auch all ihre Mandatsträger verstanden haben, was das eigentlich heißt, ist die andere Frage. Ein Großteil der Wähler weiß es jedenfalls mit Sicherheit nicht.
Auto-Fetisch
Doch die größte Herausforderung für die Kommunen liegt in einem anderen Sektor: dem Verkehr. Das Saarland belegt unter den Bundesländern einen traurigen Spitzenplatz bei der Pkw-Dichte, 2022 kamen 660 Autos auf 1.000 Einwohner. Dass ein eigenes Auto ausgerechnet im »Land der kurzen Wege« als absolute Notwendigkeit erachtet wird (gleichzeitig aber Elektroautos nur schleppend Absatz finden, obwohl das Saarland die höchste Eigenheim-Quote in Deutschland hat und viele Bürger daher eine eigene Ladesäule zu Hause installieren könnten), ist trotz des mangelhaften ÖPNV eigentlich ein schlechter Witz. Vor allem aber nehmen die stetig wachsenden Blechlawinen mitsamt Abstellflächen in den saarländischen Kommunen mehr und mehr öffentlichen Raum ein. Platz, der für andere Verwendungszwecke fehlt – seien es nun neue Radwege, Spielplätze oder schlicht Stadtgrün, das dringend benötigt wird, um die Temperaturen im Sommer auf ein erträgliches Maß zu senken.
»Die FDP wird auf keinen Fall eine Politik gegen das Auto machen«, erklärte Bundesfinanzminister Christian Lindner am 15. April mit Blick auf die Kommunalwahl in der Saarbrücker Zeitung. Dass eine Politik für das Auto gleichzeitig eine Politik gegen Menschen ist, hat der Porsche-Fan nicht begriffen, obwohl inzwischen überall auf der Welt vom früheren Ideal der autogerechten Stadt abgerückt wird – das beste Beispiel dafür liefert Paris. Allerdings ist Lindner damit nicht alleine: In fast allen Parteien und Räten offenbart sich ein fast manischer Pkw-Fetisch, sobald es um eine Erhöhung der Parkgebühren oder den Wegfall von Parkplätzen geht.
Eine Rolle dürfte dabei vermutlich auch die vergleichsweise hohe Quote (alter) Männer in kommunalen Gremien spielen. Junge Mütter wären möglicherweise eher bereit, auf einen Parkplatz direkt vor der Tür zu verzichten und mal ein paar Meter zu laufen, wenn ihre Kinder dafür angstfrei zur Schule radeln könnten. Aber junge Mütter haben für Lokalpolitik eben leider keine Zeit.
Menschenleben stehen auf dem Spiel
Gegenpositionen haben es schwer: Als Uwe Conradt (CDU) Anfang 2022 für mehr Tempo-30-Zonen in der Saarbrücker Innenstadt plädierte, kassierte der Oberbürgermeister von allen Seiten Prügel. Dabei fordert die Initiative »Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten«, der sich die Landeshauptstadt wenige Monate zuvor angeschlossen hatte, lediglich, dass Kommunen selbst über Tempolimits auf allen Straßen innerhalb ihrer Ortsgrenzen bestimmen sollten, was derzeit durch Bundesgesetze verunmöglicht wird. Das kann, muss aber nicht flächendeckendes Tempo 30 bedeuten, betonen die Initiatoren selbst immer wieder. Inzwischen haben sich (Stand Mitte April) 1.068 Städte und Gemeinden und damit mehr als jede zehnte deutsche Kommune ihren Forderungen angeschlossen. 343 davon werden von CDU/CSU regiert, immerhin 14 von der FDP. Im Saarland sind neben der Landeshauptstadt noch Merzig, Riegelsberg, Homburg und Kirkel dabei.
Das Beispiel zeigt auch: Eine zukunftsfähige kommunale (Verkehrs-)Politik muss nicht am Parteibuch scheitern. Eine ernsthafte Gefahr stellen allerdings die Parteien des rechten Randes dar. Das neu gegründete »Bündnis Sahra Wagenknecht« kann zumindest, was die Klimapolitik angeht, getrost dazugezählt werden: Wagenknecht will bei der Energieversorgung weiter auf russisches Gas setzen und lehnt das Verbrenner-Aus ab. Die Freien Wähler wiederum sind ein Spezialfall, da sie keine bundeseinheitliche Parteilinie haben. Viele ihrer Mandatsträger scheinen dem Klimawandel zwar keine große Priorität einzuräumen, treiben mancherorts dennoch zumindest die Energiewende voran.
Die AfD dagegen? Als einzige der etablierten Parteien leugnet sie die menschengemachte Klimakrise und forderte erst im vergangenen Herbst im Bundestag eine Aufkündigung sämtlicher internationaler Klima-Abkommen. Bisher war die Partei nicht stark genug, um vor Ort ernsthaften Schaden anzurichten, und im Stadtrat Saarbrücken und der Regionalversammlung wird sie nach der Kommunalwahl überhaupt nicht mehr vertreten sein. Aber was ist mit den anderen 51 Saar-Kommunen und den fünf Landkreisen? Letztere sind unter anderem für den Katastrophenschutz zuständig. Finden sich in einem Kreistag keine Mehrheiten für wirkungsvolle Hitzeaktionspläne (wie sie bei unseren französischen Nachbarn längst gang und gäbe sind) oder Starkregen-Vorsorge, stehen Menschenleben auf dem Spiel.
Das Motto des »Erdgipfels« 1992 in Rio de Janeiro lautete: »Think global, act local«. Auch wenn das Klima sicher nicht von den saarländischen Kommunen abhängt, müssen sie dennoch ihren Beitrag leisten: zum Schutz ihrer Bürger, unserer Heimat – und unserer Lebensgrundlagen. Dieser Verantwortung müssen sich alle künftigen Stadt- und Gemeinderäte bewusst sein. Und die Saarländer auch, wenn sie am 9. Juni ihr Kreuz machen.