»Geschämt, Grüne zu sein«


Von Wilfried Voigt

Nach 42 Jahren Mitgliedschaft bei den Grünen hat Hubert Ulrich am 26. August 2024 überraschend seinen Austritt aus der Partei erklärt – zum 1. Januar 2025. Der umstrittene Politiker (Spitzname: der Panzer) begründete seine Entscheidung unter anderem mit Hinweis auf einen angeblichen „Linksruck“ der Grünen im Bund. Erstaunlich, wird der Partei von vielen Mitgliedern doch aktuell das Gegenteil vorgeworfen.
Ulrich dominierte die Grünen im Saarland mehr als zwei Jahrzehnte und setzte 2009 die bundesweit erste Jamaika-Koalition durch. Den jahrelang schwelenden innerparteilichen Konflikt rund um Hubert Ulrich haben die Saarbrücker Hefte ausführlich im Sommer 2021 in der Ausgabe 123 beschrieben. Der Text ist nun freizugänglich. Der Autor Wilfried Voigt hat zudem das Buch „Die Jamaika-Clique – Machtspiele an der Saar“ 2011 beim Conte-Verlag veröffentlicht.
Aktuell spielt Ulrich keine entscheidende Rolle mehr. Selbst in seiner Heimatstadt Saarlouis, ehemals eine Hochburg, stürzten die Grünen ab. Bei der Kommunalwahl 2024 errang die Partei nur noch drei Mandate im Stadtrat, 2019 waren es noch acht.

Bizarres Spektakel auf dem Parkdeck

Während die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock die Grünen-Träume von der politischen Macht in Berlin beflügelt und Einigkeit in der früher oft heftig streitenden Partei auf Bundesebene plötzlich als neuer grüner Markenkern stilisiert wird, ist im Saarland offen ein erbittert geführter innerparteilicher Machtkampf entbrannt. Möglicherweise mit negativen Folgen für die Grünen bei der Bundestagswahl im September.

Tina Schöpfer und Markus Tressel, Vorsitzende/r der saarländischen Grünen, waren ganz beglückt, als Annalena Baerbock am 19. April 2021 von Robert Habeck als Kanzlerkandidatin ausgerufen wurde. Sie freuten sich, dass das Grünen-Dreamteam in Berlin diese wichtige Entscheidung »mit einem klaren Zeitplan professionell und vor allem freundschaftlich und im respektvollen Miteinander gelöst hat«. Das »tolle Spitzenduo« habe gezeigt, »dass man die K-Frage auch menschlich, freundschaftlich und mit dem Blick fürs Ganze lösen kann«. Dieser Politikstil »sollte Schule machen«. Er sei »Ausdruck einer hervorragenden politischen Kultur, die uns stolz auf unsere Partei macht«.
Gerade mal vier Wochen später war es jäh vorbei mit der guten innerparteilichen Laune an der deutsch-französischen Grenze. Plötzlich hallten Begriffe der Empörung durchs kleine Land: »Illiberale Demokratie«, »Einschüchterung«, »Nepotismus« und »ich schäme mich, Grüne zu sein« hieß es da.
Wer hatte den Aufruhr ausgelöst, was war geschehen? Es war der »Panzer«. Der heißt mit bürgerlichem Namen Hubert Ulrich (63). Das Attribut haftet ihm wegen seiner brachialen Art an, mit der er seit gut drei Jahrzehnten durchs politische Saarland pflügt, meistens unterwegs, seine innerparteiliche Macht zu festigen oder auszubauen. Seine Hauptbastion ist die Garnisonsstadt Saarlouis mit ihrer hohen Gastronomiedichte. Ulrichs politischer Aufstieg ist der Grünen-Legende nach untrennbar mit der Kultkneipe »Humpen« verbunden. Dort wurde die Aufnahme vieler neuer Parteimitglieder begossen, etliche mussten sich dafür angeblich gar nicht bewegen – sie waren gerade erst im Lokal angeworben worden, von Hubert Ulrich.

Hubert Ulrich – Mitgliederwerbung in der Kneipe Foto: Andreas Engel

Der gelernte Werkzeugmacher und studierte Wirtschaftsingenieur, der sein Wirkungsfeld weniger in der Industrie als in der Politik suchte, startete seine lokale Karriere bereits 1982, zwei Jahre nach Gründung der Grünen. Neun Jahre später, am 16. Juni 1991, wurde er erstmals zum Landesvorsitzenden gewählt. Den Saarlouiser Ortsverband baute Ulrich – gemessen an der Einwohnerzahl – zu einem der größten bundesweit aus. Rund 720 Bewohner der etwa 35.000 Einwohner zählenden Kleinstadt haben heute ein grünes Parteibuch. Zum Vergleich: In Bremen mit 570.000 Einwohnern sind es nur etwas mehr als 1.000.
Just an Ulrichs lokalem Machtzentrum entzündete sich der jüngste innerparteiliche Konflikt, der den Grünen an der Saar bis zur Bundestagswahl im September noch erhebliche Probleme bereiten und, bei einem erwartet sehr knappen Wahlausgang, der Partei auf Bundesebene im schlimmsten Fall sogar den Weg ins Kanzleramt verbauen könnte.
Die letzte dramatische Niederlage der chronisch am politischen Hungertuch nagenden Landes-Grünen liegt vier Jahre zurück. Im Frühjahr 2017 flogen sie aus dem Saar-Parlament. Mit desaströsen vier Prozent belegten sie im bundesweiten Vergleich der Landtagswahlen damals den letzten Platz. Selbst in der Grünen-Diaspora Mecklenburg-Vorpommern hatte die Partei 2016 immerhin 4,8 Prozent erreicht.
Lokalmatador Ulrich übernahm pro forma die Verantwortung für die Schmach und zog sich einstweilen in die Saarlouiser Kommunalpolitik zurück. Tina Schöpfer und der Bundestagsabgeordnete Markus Tressel besetzten als Duo die Vorstandsposten im Landesverband. Vier Jahre später preist die seit 2020 amtierende Saarbrücker Grünen-Bürgermeisterin und Finanzdezernentin Barbara Meyer-Gluche, der Ambitionen für die Landtagswahl 2022 nachgesagt werden, dies als posi­tiven Neustart. Ihr Ex-Chef Hubert Ulrich, für den sie bis 2017 im Landtag als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet hat, habe damals »den Generationswechsel in der Partei eingeleitet«. Auch seine künftige Rolle, erklärte sie der Saarbrücker Zeitung, »sollte sich darüber definieren, den Erneuerungsprozess in der Partei weiter zu unterstützen«. Als hätte er das je ernsthaft getan. Seine Strategie ist eher das Gegenteil: immer weiter so wie vor dreißig Jahren. Meyer-Gluche gilt als Ulrich-Verbündete. Bei der Landtagswahl 2017 bildete sie mit ihm das Spitzenduo. Nach dem politischen Absturz auf Landesebene wurde sie gut aufgefangen: als Referatsleiterin im CDU-geführten saarländischen Finanzministerium.
Jene in der Partei, die damals aufatmeten und hofften, die saarländischen Grünen würden Ulrichs rabiaten Führungsstil endgültig abschütteln, wurden spätestens am 16. Mai 2021 heftig überrascht und ebenso enttäuscht. Der »Panzer« war zurück. Er hatte offenbar nur auf einen günstigen Zeitpunkt gewartet, um wie eh und je durch die Ortsverbände zu rumoren. Seitdem Demoskopen im Gefolge des Baerbock-Habeck-Hypes sogar den auf Landesebene notorisch schwachen Grünen beachtliche Zuwächse voraussagen, wenn auch deutlich unter dem Bundestrend, keimt Hoffnung auf, noch einmal richtig mitmischen zu können. Ulrich inszenierte an diesem Mai-Sonntag in Saarlouis ein bizarres Spektakel, um die Weichen für den Landesparteitag am 20. Juni zu stellen, bei dem über den neuen Landesvorstand und über die Spitzenkandidatur für den Bundestag abgestimmt wird. Gegen ihn, so Ulrichs Maxime, darf nichts Wesentliches geschehen.

Grüne Saarlouis – frierend auf dem Parkdeck. Foto: Wilfried Voigt

Grüne Dystopie im Parkhaus

Obwohl er erst wenige Wochen zuvor wegen einer kleineren Präsenzveranstaltung der Grünen im Saarlouiser Theater am Ring für Negativschlagzeilen gesorgt hatte, weil ein Teilnehmer mit Corona infiziert war und damit alle Beteiligten in Quarantäne zwang, lud Ulrich auf ein zugiges, dunkles und kaltes Parkdeck des örtlichen Kaufhauses Pieper ein. An die 130 Mitglieder, darunter wenig junge, verharrten stundenlang auf weißen Plastikstühlen, eingehüllt in Decken oder dicke Windjacken. Da für sie keine Mikrofone vorhanden waren und sie wegen Corona in großen Abständen fast über das gesamte Parkdeck verteilt waren, kamen keine Diskussionen zustande, was offensichtlich so gewollt war. Eine Szene wie in einer schwarzen Satire über das Ende der ehemals bunten und streitbaren grünen Basis. Eine kleine Lautsprecheranlage war nur am Vorstandstisch installiert, von dem aus zwei Parteigänger aus Saarbrücken die Veranstaltung moderierten. Monoton verlasen sie Namenslisten, auf denen die vom Vorstand ausgewählten Kandidaten handschriftlich eingetragen werden mussten.
Während manche sich verärgert wunderten, dass für die Versammlungsleitung keine Saarlouiser Grünen eingesetzt wurden, hatten Mitglieder, die schon länger dabei sind, ein Aha-Erlebnis: Einer der Moderatoren im Pieper-Parkhaus spielte mal für die FDP eine prominente Rolle: Sebastian Pini. In der im März 2012 von CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer aufgelösten Jamaika-Koalition war er Gesundheitsstaatssekretär. Nach dem Scheitern, für das Kramp-Karrenbauer vor allem die Freien Demokraten verantwortlich machte, trat er in die SPD ein. Nun tauchte er – für viele überraschend – bei den Grünen auf. Pini war bis 2015 Vizepräsident beim 1. FC Saarbrücken. Nach heftigen internen Querelen gab er das Amt in dem Verein auf, in dem sein früherer liberaler Parteifreund Hartmut Ostermann noch immer Präsident ist. Ostermann betreibt neben einer Reihe von Hotels (Victors) rund 120 Senioren- und Pflegeheime in Deutschland (Pro Seniore, rund 9.000 Beschäftigte).
Vor der Landtagswahl 2009 spendierte er den saarländischen Grünen 47.500 Euro, im Jahr davor waren es 9.500 Euro. Auf Betreiben von Ulrich entschied sich die Partei gegen eine (mögliche) rot-rot-grüne Koalition und für Jamaika. Seine Ablehnung eines links-grünen Bündnisses begründete er mit dem Hinweis auf die angeblich mangelnde Verlässlichkeit von Oskar Lafontaine.
Später kam heraus, dass der Grünen-Chef von 2001 bis 2009 auf der Gehaltsliste der Saarbrücker IT-Beratungsfirma think and solve mbH stand, an der damals auch Pflegeheim-Mogul Ostermann mit 25 Prozent beteiligt war. Hochgerechnet erhielt Ulrich von der Firma in dieser Zeit insgesamt rund 235.000 Euro brutto.1

Alte Geschichten. Neue Männerfreundschaften?

Das Bündnis zwischen Hubert Ulrich und dem noch bis 20. Juni amtierenden Landesvorsitzenden und Grünen-Bundestagsabgeordneten Markus Tressel, der lange als »Ulrich-Mann« galt, ist jedenfalls zu Ende. Tressel kündigte im Februar 2021 überraschend an, er werde nicht wieder für das Parlament und den Vorstandsposten kandidieren. Er wolle mehr Zeit für die Familie haben, die sei in den zwölf Jahren Bundestag zu kurz gekommen. So lautete die offizielle Begründung.

Dass offenbar auch Konflikte in der Führungsriege eine Rolle spielten, wurde deutlich, als auch sein Bruder Thomas Tressel, Geschäftsführer des Grünen-Landesverbandes, aufgab und kündigte. Ende April begründete er seine Entscheidung in einer internen Mail damit, »das Klima, die Kommunikationskultur und der zwischenmenschliche Umgang im Lavo (Landesvorstand, Anm. d. Verf.) und zum Teil auch darüber hinaus haben sich bedauerlicherweise verschlechtert«.
So hätten »sage und schreibe 9!« Vorstandsmitglieder einen Brief an Markus Tressel unterschrieben, in dem es um die »Klärung einer völlig belanglosen Terminfrage« gegangen sei. Die VorständlerInnen hatten nach Informationen der Saarbrücker Hefte unter anderem moniert, dass Tressel als Bundestagsabgeordneter ohne Absprache mit den Saarbrücker Grünen Verabredungen mit Personen außerhalb der Partei vereinbart habe. Der Ex-Geschäftsführer: »Ich sage das nicht öffentlich, aber hier in diesem Kreis deutlich: Wenn wir anfangen, uns für Banalitäten Briefe im engsten Führungskreis der Partei zu schreiben, dann ist das mehr als ein Alarmsignal!« Die Art und Weise dieser Kommunikation sage »sehr viel aus darüber, was da möglicherweise zukünftig zu erwarten ist«.
Wie schnell Ulrich ehemalige Bündnispartner fallen lässt, demonstrierte er mit der von ihm vorgegebenen Delegiertenliste für den Landesparteitag. Der Noch-Vorsitzende Markus Tressel stand nicht darauf, ein Affront und bitterer Abgang für einen der einst wichtigsten Grünen im Land. »Das sagt alles«, reagierte er pikiert.
Wegen des Bundes-Frauenstatuts hätte Tressel allerdings diesmal ohnehin keine Chance gehabt, noch einmal als Kandidat aufgestellt zu werden. Denn das Bundesschiedsgericht der Partei hatte im Oktober 2019 entschieden, dass 2017 an seiner Stelle eigentlich eine Frau auf Platz eins für die Bundestagswahl hätte gesetzt werden müssen. Damals bewarb sich Andrea Schrickel für diese Position. Der Landesparteitag ignorierte jedoch die Bundessatzung und wählte Tressel, auch mit den Stimmen vieler Frauen.
Angesichts dieser turbulenten Vorgeschichte kommt für die Bundestagswahl im September nur eine Frau an der Spitze der Liste infrage. Ihren Anspruch darauf hat die derzeitige Co-Landesvorsitzende Tina Schöpfer angemeldet. In der Partei kursierten in den letzten Wochen Spekulationen darüber, was Ulrich vorhat. Über eigene Pläne wollte er sich »derzeit« nicht äußern. Insider halten es für möglich, dass er in letzter Minute eine Frau aus seinem Ortsverband Saarlouis gegen Schöpfer in Stellung bringen wird.
Frauen, die ihn kritisieren, müssen damit rechnen, von ihm gemobbt zu werden. Schroff behandelt wurden am Parkdeck-Sonntag Marita Mayers, Mitglied des Landesvorstandes, und Andrea Konter vom Grünen-Kreisvorstand Saarlouis. Als sie Zutritt zu der Versammlung wollten, wies Ulrich sie wegen angeblicher Corona-Sicherheitsvorschriften brüsk zurück. Insider gehen davon aus, er habe sie gestoppt, weil sie nicht zu seinem Lager gehören. Konfidenten aus Saarbrücken wie Sebastian Pini, die als Verbündete bei Parteitagen nützlich werden könnten, waren dagegen willkommen.

Ulrich bremst Journalisten aus

Draußen bleiben sollte auch die Presse. Ebenfalls mit Hinweis auf die Corona-Verordnung. Als die Reporter nachhakten, sah der Chef des Saarlouiser Ordnungsamtes, der am Eingang des Parkhauses Stellung bezogen hatte, dagegen keinen zwingenden Hinderungsgrund (sofern der Veranstalter dem zustimme). Von ihm aus könnten die Reporter rein. Nach längerem Hin und Her ließ Ulrich die Versammlung darüber entscheiden. Bis die Journalisten endlich Zugang bekamen, war mehr als eine Stunde verstrichen, und die mit Spannung erwarteten Punkte Frauenstatut und Wahl eines neuen Saarlouiser Ortsverbandsvorstandes waren von der Tagesordnung abgesetzt worden. Wegen der stundenlangen Abstimmungen über die Delegierten-Listen blieb keine Zeit mehr dafür.
Sein Hauptziel hatte Hubert Ulrich an diesem Tag dennoch erreicht. Er brachte die Delegiertenliste durch. Wie ein Getriebener patrouillierte er zwischen den Mitgliedern. Wer Fragen hatte, und das war häufig der Fall, dem eilte er flugs zu Hilfe. So agierte Ulrich schon vor Jahrzehnten. Bei einer digitalen Konferenz, wie sie von einigen Mitgliedern beantragt wurde, wäre diese spezielle persönliche »Betreuung« nicht möglich gewesen. Er hätte dann keine direkte Kontrolle mehr über das Abstimmungsverhalten gehabt.
Schon zu Beginn der 1990er-Jahre hatte es wegen Ulrichs Mitglieder-Akquise und -Betreuung heftige Diskussionen gegeben. Viele wundern sich bis heute, wie eine so große Mitgliederzahl in einer so kleinen Stadt zustande kommt, und beklagen fehlende Transparenz. Woher kommen all diese Parteigänger, wie viele zahlen überhaupt Beiträge, wie groß ist der Anteil derjenigen, die gar nichts aufbringen müssen. Auf eine schriftliche Anfrage der Saarbrücker Hefte unter anderem zur Mitgliederzahl und zur Beitragssituation in Saarlouis reagierte er nicht.
Im Vorfeld der Vorstandswahl 1991, bei der er erstmals zum Landesvorsitzenden gewählt wurde, monierte die damalige Vorstandssprecherin Ulrike Voltmer, dass in Saarlouis 22 Beitrittserklärungen »nicht rechtens« seien, da die neuen Mitglieder gar nicht dort wohnten. Ulrich habe außerdem darauf gedrängt, »dass 57 neue Mitglieder anerkannt werden«. Auch die Delegiertenwahl in der Ulrich-Hochburg sei »nicht rechtmäßig gewesen, weil dort Nicht-Mitglieder abgestimmt« hätten und sogar als Delegierte gewählt worden seien. Die brisante Geschichte wurde laut internem Protokoll unter Verschluss gehalten: »Gegenüber der Presse sollen organisatorische Gründe für die Verschiebung der LDK (Landesdelegiertenkonferenz, Anm. d. Verf.) angegeben werden. Es sollen keine Interna nach außen dringen.«
Trotz solcher fragwürdigen Aktionen und der massiven Kritik an seinen Methoden kassierte Ulrich bereits zu D-Mark-Zeiten eine deutlich höhere Aufwandsentschädigung für seine Vorstandsarbeit als die anderen Mitglieder dieses Gremiums. Während sie 200 D-Mark monatlich erhielten, gestand die Partei ihm 1.000 D-Mark zu: nicht zuletzt wegen seiner hohen Erfolgsquote bei der Mitgliederwerbung.
Ulrich war gerade mal sechs Monate Parteichef, da kam es zum Eklat. Die damalige Co-Vorsitzende Christa Jenal erklärte am 10. Dezember 1991 ihren Rücktritt – wegen seines Macho-Verhaltens. In ihrer langjährigen Arbeit als Lehrerin an einem Gymnasium, bei der sie »öfter problematischen Menschen begegnet« sei, habe sie niemand »derart unqualifiziert angepöbelt und permanent unterbrochen« wie der Saarlouiser Grüne. Dabei sei es gerade Ulrich gewesen, der sie »vor meiner Wahl wegen eines anfänglichen Zögerns mehrmals zu Hause sowie auf dem Kinderspielplatz aufgesucht hat, um mich zu überzeugen, dass die Grünen Saar ohne meine Kandidatur für den Landesvorstand ›verloren‹ seien, gerade wegen meines pragmatischen Politikverständnisses«.
Wenn er etwas wolle, könne er »durchaus charmant« sein, beschreibt eine Angehörige des Saarlouiser Grünen-Ortsverbandes den Zampano. Kaum habe er sein Ziel erreicht, schlage die Stimmung schnell in Missachtung um.
Nur einmal war eine Frau seit den 1990er-­Jahren bei Landtagswahlen als Spitzenkandidatin erfolgreich für die Saar-Grünen: Die frühere Umweltministerin Simone Peter. Gemein­sam mit Hubert Ulrich zog sie 2012, nach der wegen des Scheiterns der Jamaika-Koalition vorgezogenen Landtagswahl, mit fünf Prozent ins Landesparlament ein. Aber auch sie hielt es nicht lang an seiner Seite aus: Im September 2013 wurde Peter neben Cem Özdemir zur Vorsitzenden der Bundespartei gewählt und entschwand nach Berlin. Für sie rückte ein Mann nach: Klaus Kessler aus Saarlouis, lange Jahre Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Saarland und in der Jamaika-Koalition Bildungsminister.
Zu jener Zeit profitierte Kessler noch von Ulrichs Unterstützung. Jetzt liegt auch dieses ehemalige Zweckbündnis in Trümmern. Nach der Parkhaus-Aufführung ging der frühere Weggefährte endgültig auf Distanz und griff Ulrich in der Saarbrücker Zeitung massiv an: »Mich stört das Demokratieverständnis von Hubert Ulrich.« Scharf kritisierte er, dass kein Versuch unternommen wurde, aus den 720 Mitgliedern des Ortsverbandes eine Versammlungsleitung zu rekrutieren: »Das war wohl notwendig, damit das abgekartete Spiel auch glattläuft.« Kessler: »Ich will nicht die Ulrich-Partei sein.«
Zu den unerschrockenen internen Kritikerinnen von Ulrich gehört Petra Port, Beisitzerin im Landesvorstand und Mitglied in der Landesarbeitsgemeinschaft Feminismus und Gleichstellung. Sie bewarb sich im Parkhaus vergeblich um einen Delegiertenplatz für den Landesparteitag. In einer Mail an den Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner beklagte sie sich kurz darauf: »Die Vorgehensweise eines Hubert Ulrich hat neue Dimensionen erreicht.« Bei Wahlen seien »überwiegend Neumitglieder anwesend«, die »er dann beeinflussen kann«. Petra Port: »Was für ein Desaster. Ich habe mich geschämt, Grüne zu sein!«
Es war nicht das erste Mal, dass sie mit Ulrich aneinandergeriet. Im November 2019 trat Petra Port direkt gegen ihn an und bewarb sich als Ortsverbandsvorsitzende in Saarlouis. Erfolglos. Ulrich setzte sich wieder einmal durch. Dabei hätte er nach Ansicht von Juristen erst kandidieren dürfen, wenn sie nicht gewählt worden und auch keine andere Frau angetreten wäre. Das von ihr angestrengte Parteischiedsverfahren kommt jedoch nicht voran. Der Vorsitzende des Schiedsgerichts ist zugleich Anwalt von Hubert Ulrich. Deshalb erklärte er sich für befangen. Seitdem ist nichts passiert. Der Fall ist brisant: Sollte Petra Port sich durchsetzen und würde Ulrichs Wahl aufgehoben, wären eventuell auch Entscheidungen, die seit 2019 im größten Ortsverband des Saarlandes getroffen wurden, unwirksam.

»Landesverband im Würgegriff«

Protest gegen Ulrich kam auch aus dem Saarbrücker Grünen-Ortsverband Halberg, wo einige der prononciertesten Kritiker von Ulrich zu Hause sind. Der Jurist Stephan Körner, während der Jamaika-Koalition unter Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer Staatssekretär im Kultusministerium, richtete in einer E-Mail am Abend der Parkhaus-Inszenierung eine lakonische Frage an den Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner: »Wie lange sieht sich der Bundesverband dieses Lehrstück einer sog. illiberalen Demokratie noch an?«
Und sein Halberger Parteifreund Frank Lichtlein beklagte, »die obskure Figur« habe es geschafft, dass in der Saarlouiser Mitgliederkartei rund 720 Namen stehen: »Niemand kann davon ausgehen, dass das mit rechten Dingen zugeht.« Aber mit der »daraus abgeleiteten Delegiertenzahl hat er den saarländischen Landesverband fest im Würgegriff«. Die »Machenschaften im saarländischen Landesverband« seien geeignet, »schweren Schaden für die Gesamtpartei zu verursachen«. Lichtlein: »Das Erfolgsrezept ist ein ausgeprägter Nepotismus. Aktuelles Beispiel sei die geplante Besetzung der Dezernentenstelle für Kultur und Bildung in Saarbrücken mit einem »völlig ungeeigneten Menschen«.
Gemeint war Torsten Reif, der Grünen-­Kandidat für das Kulturdezernat in der Landeshauptstadt. Reif ist ein Weggefährte aus alten Tagen. Während des kurzen Intermezzos von Ulrich im Bundestag war er von 2003 bis 2004 in dessen Wahlkreisbüro eingesetzt, von 2004 bis 2017 arbeitete er in der Grünen-­Landtagsfraktion. Verbunden sind die beiden auch über die Saarland Hurricanes, einen American-Football Club, bei dem Reif lange General Manager war. Seit Mai 2017 leitete er gemeinsam mit Yvonne Brück, einer sehr engen Vertrauten von Ulrich, die Grünen-Fraktion im Stadtrat der Landeshauptstadt Saarbrücken. Ohne den Saarlouiser Strippenzieher und Delegierten-Flüsterer läuft angeblich auch bei den Grünen im Ortsverband Saarbrücken-Mitte wenig. Ein grüner Insider: »Ulrich ist dort schon seit Jahren absolut dominierend.« Das Agieren auch außerhalb von Saarlouis wurde ihm sehr erleichtert, nachdem ihn der Landesvorstand zum Kommunalbeauftragten ernannte. Diese Funktion ermöglicht ihm Zugang zu allen Parteigliederungen.
Dass die rot-rot-grüne Rathauskoalition in Saarbrücken nach der Kommunalwahl 2019 beendet wurde, wird auch auf Ulrichs Einfluss zurückgeführt, auch wenn Grünen-Sprecher Björn Heib gegenüber den Saarbrücker Heften auf Nachfrage behauptete: »Eine Neuauflage der Rot-Rot-Grünen-Koalition wurde auf Intervention der SPD hin gar nicht erst sondiert.« Die Sozialdemokraten sahen darin offenbar wenig Sinn, nachdem sich herausgeschält hatte, dass die Grünen vor allem mit den Linken nicht mehr koalieren wollten. Das passte Ulrich offenbar gut in seine Jamaika-Strategie. Der überraschende Sieg des Christdemokraten Uwe Conradt bei der Oberbürgermeisterstichwahl am 9. Juni 2019 – er setzte sich mit einem sehr knappen Vorsprung gegen die sozialdemokratische Amtsinhaberin Charlotte Britz durch – begünstigte den eingeschlagenen Weg der Grünen in eine bürgerliche Koalition. Nur in dieser Konstellation konnten sie ihren Anspruch auf die zweitwichtigste Position im Rathaus durchsetzen: das Bürgermeisteramt, das zuvor mit dem Sozialdemokraten Ralf Latz besetzt war. Die SPD hatte klar signalisiert, dass sie darauf nicht verzichten würde.
Auf die Frage der Saarbrücker Hefte, welche Projekte nur gemeinsam mit CDU und FDP statt mit SPD und Linken zu realisieren seien, nannten Yvonne Brück und Torsten Reif kein einziges konkretes Beispiel. Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Rathaus, Sascha Zehner, reagierte nicht auf Fragen, bestätigte nicht einmal deren Eingang. FDP-Fraktionschef Helmut Isringhaus dagegen nannte gegenüber den Saarbrücker Heften zwei aus seiner Sicht akute Themen: Die Beseitigung der Immobilien-Leerstände in Saarbrücken und eine Verstärkung des kulturellen Angebotes in der Stadt. Isringhaus: Gerade jetzt in der Pandemie, in der insbesondere Künstler durch den fast hundertprozentigen Ausfall von Auftrittsmöglichkeiten »wirtschaftlich extrem belastet« seien, brauche es für das Kulturdezernat »einen besonders kundigen Bewerber, der der städtischen Kulturpolitik eine fundierte Perspektive geben kann«.
Bei der Ausschreibung für die 8.000-Euro-Stelle wurde allerdings, auch mit den Stimmen der FDP, ausgerechnet auf besondere Fachkenntnisse für dieses Amt verzichtet. Einen Antrag der SPD, die besondere Qualifikation als wichtigstes Kriterium in die Ausschreibung aufzunehmen, lehnten die Jamaika-Fraktionen ab. Ein deutliches Indiz dafür, dass sie auf den Grünen-Bewerber Torsten Reif zugeschnitten wurde, der sich als Kommunalpolitiker bisher kaum mit dem Thema Kultur und Bildung befasst hat. Die Grünen beharrten dennoch stur auf der Kandidatur von Ulrichs altem Kumpel Torsten Reif.
Im städtischen Ausschuss für Personal und Recht wurde wenige Tage vor der Abstimmung im Stadtrat plötzlich Uneinigkeit in der Jamaika-Riege sichtbar: FDP-Fraktionsvorsitzender Helmut Isringhaus beantragte überraschend die Absetzung der Wahl. Dabei hatte man noch im Mai nach außen Einigkeit demonstriert. Die wurde nun nur noch von CDU und Grünen beschworen, die geschlossen die Wahl des Kandidaten Torsten Reif befürworteten.
Der frühere CDU-Kulturpolitiker Stefan Weszkalnys, der für die Christdemokraten einst im Stadtrat saß und Sachverständiger im Kulturausschuss war, warnte seine Partei in der Saarbrücker Zeitung vor der Wahl des Grünen. Torsten Reif solle offenbar »mit Druck des grünen Diktators Ulrich aus Saarlouis« in das hochdotierte und anspruchsvolle Amt des Kulturdezernenten einer Landeshaupt- und Universitätsstadt gehievt werden – »zum Schaden des Ansehens unserer Stadt und aller Steuerzahler und Steuerzahlerinnen«.
Aber es kam ganz anders. Bereits im ersten Wahlgang scheiterte Torsten Reif am 8. Juni. Er bekam nur 27 von 32 Stimmen der schwarz-grünen Rumpfkoalition. FDP-Fraktionschef Helmut Isringhaus hatte sich zuvor offen gegen den Grünen und für die von der SPD vorgeschlagene parteilose Politikwissenschaftlerin Sabine Dengel ausgesprochen. Sie erreichte bereits im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit von 32 Stimmen. Eine Sensation. Dies war nur möglich, weil es (anonyme) Abweichler bei den Grünen und / oder Christdemokraten gab.
CDU-Oberbürgermeister Uwe Conradt war konsterniert. Das Scheitern von Torsten Reif ist auch eine herbe Niederlage für den Rathauschef. Denn er stand bei den Grünen im Wort. Die haben schließlich bisher im Stadtrat brav alles abgenickt. So unterstützen sie etwa den demonstrativ zur Schau gestellten Reinlichkeitskurs des Rathauschefs. Hauseigentümer sollen laut Koalitionsvertrag durch ein Förderprogramm zum »Schutz vor Schmierereien« und »illegalen Graffitis« zu »mehr Sauberkeit« motiviert werden. Der Kampagnentitel lautet: »Sauberkeit ist schöner« (Siehe Seite 23). Außerdem stimmten die Grünen für eine von Conradt initiierte neue Rathausgazette, die künftig 14-tägig an alle Saarbrücker Haushalte verteilt werden soll und mindestens 180.000 Euro jährlich verschlingen wird.
Nun erwarteten die Grünen den Lohn für ihre Anpassung: die Wahl von Torsten Reif zum Dezernenten für Bildung und Kultur. Für den alten Spezi von Ulrich brach am 8. Juni 2021 seine politische Welt zusammen. Er steht erst mal vor dem Nichts. Weil er sich nicht selbst wählen durfte, verzichtete er auf sein Mandat und katapultierte sich damit selber ins politische Aus. Ein Schock nicht nur für ihn, sondern auch für Jamaika-Fan Hubert Ulrich. Indirekt ist es eine seiner schwersten politischen Niederlagen im Saarland, wo er bei den Grünen bisher weitgehend schalten und walten konnte, wie er wollte – trotz erbärmlicher Ergebnisse bei Landtagswahlen. Dieser schwere Schlag, den ihm jetzt einige anonyme Abweichler versetzten, könnte auch Auswirkungen auf den Landesparteitag am 20. Juni in Saarbrücken haben. Der Ortsverband Saarbrücken-Halberg forderte schon wenige Stunden nach dem Desaster einen politischen Neuanfang und den Rücktritt der Ulrich-Vertrauten Yvonne Brück. Sie sei nicht nur »mit dafür verantwortlich, dass ihr Co-Vorsitzender Torsten Reif jetzt wohl dauerhaft politisch verbrannt ist«. Sie habe mit ihrer »Brachial-Strategie auch die Jamaika-Koalition an die kommunalpolitische Wand gefahren und die Saarbrücker Grünen ins politische Aus befördert«.
Eine brenzlige Lage für Ulrich. Denn obwohl sein Ortsverband Saarlouis mit Abstand die meisten Mitglieder aller saarländischen Kommunen zählt und damit auch einen Großteil der Delegierten auf Parteitagen stellt (derzeit 54 von 161), benötigt Ulrich für eine Mehrheit gerade die Hilfe vom Ortsverband Saarbrücken-Mitte. Der schickt 23 Delegierte zum Parteitag. Gemeinsam mit ihnen fehlen Ulrich nur vier Stimmen zur absoluten Mehrheit von 81 Delegierten.

Barbara Meyer-Gluche (rechts) mit Torsten Reif: Karriere in der Partei. Foto: Sadija Kavgic

Coup gegen Grüne Jugend

Eine robuste Mitstreiterin bei der Stimmenbeschaffung ist unterdessen auch seine Tochter Eva Tina. Sie kandidierte am 15. Mai 2021 im Ortsverband Saarbrücken-Mitte ausgerechnet gegen die Sprecherin der Grünen-Jugend im Saarland, Jeanne Dillschneider – und gewann. Ein herber Schlag für die Nachwuchsorganisation der Partei, zumal Dillschneider auch im Landesvorstand sitzt und der Grünen-Fraktion im Stadtrat der Landeshauptstadt Saarbrücken angehört. Der Überraschungscoup konnte nach Ansicht von Insidern nur gelingen, weil Mitglieder zur Versammlung auftauchten, die bis dahin niemand kannte.
Das gab es immer wieder in der Ära Ulrich: häufiges Wechseln von Mitgliedern zwischen den Ortsverbänden. Seine Gegner kritisierten das schon Anfang der 1990er-Jahre als Einsätze »fliegender Verbände«. So baue sich der Oberstrippenzieher aus Saarlouis schnell passende Mehrheiten zusammen.
Bei Facebook verhöhnte Eva Tina Ulrich ihre unterlegene innerparteiliche Konkurrentin Dillschneider und deren Verbündete von der Grünen Jugend: »Der Kniff bei einer Demokratie ist aber der, dass man tatsächlich auch gewählt werden muss von den restlichen Mitgliedern. Das scheint ihr nicht ganz zu verstehen. Ihr müsst bei einer Kandidatur den Leuten klarmachen, warum sie euch wählen, das habt ihr mal wieder nicht geschafft. Falls ihr ein sehr aktuelles Beispiel braucht, wie das mit dem Kandidieren und Gewähltwerden funktioniert, fragt doch Jeanne. Ich habe am Samstag spontan gegen sie kandidiert und habe es geschafft, die Menschen davon zu überzeugen, mich zu wählen anstatt sie.«
Johannes Klein von der Grünen Jugend konterte auf dem Social-Media-Kanal: »Ich erlebe hier seit Jahren, dass irgendwelche Bekannten von deinem Vater stolz und ohne Scham SMS rumzeigen, in denen drinsteht, wen sie zu wählen haben, während mit der Grünen Jugend gar nicht erst darüber geredet wird.«
Ohne Ulrich namentlich zu erwähnen, kritisierte der Landesvorstand der Grünen Jugend Saar: »Wir sehen mit großer Besorgnis, dass einige AkteurInnen im Grünen Landesverband nicht integrierend und konstruktiv agieren.« Mehrheiten dienten offenbar nur dazu, »sich Machtverhältnisse zu sichern, und nicht dazu, die Vielfalt der Partei und die geleistete Arbeit abzubilden […] Ein Klima der Einschüchterungen lehnen wir ab«.
Auf die Alarmmeldungen aus dem Saarland reagierte der Bundesvorstand intern bisher sehr zurückhaltend. Man sei »bereits aktiv«, könne aber derzeit nicht mehr dazu sagen. Dabei war Bundesgeschäftsführer Michael Kellner schon vor Jahren umfassend über die brennenden Probleme in der Provinz informiert. In einem internen Schreiben vom 13. April 2017 an den Landesvorstand wies er unter anderem auf ein gewaltiges Finanzloch hin: »In Bezug auf die Mitgliedsbeiträge zeigt sich nach wie vor eine große Abweichung. Während im Schnitt der Mitgliedsbeitrag im Monat 2016 bundesweit bei rund 12 Euro lag, liegt er im Saarland bei rund nur 6 Euro. Da scheint größeres Potential nach oben zu sein.« Der Bundesvorstand werde »gern mit Rat und Tat zur Seite« stehen.
Darauf haben die saarländischen Grünen offenbar verzichtet. An den finanziellen Verhältnissen hat sich grundsätzlich nichts geändert. Gegenüber den Saarbrücker Heften nannte ein Sprecher des Bundesvorstandes am 10. Juni brisante Zahlen. Während Grünen-Mitglieder auf Bundesebene im Monat unterdessen durchschnittlich 12,92 Euro abführen (Stand Dezember 2019), sind es im Kreisverband Saarlouis im Vergleichszeitraum gerade mal 6,33 Euro. Auf Landesebene sieht es kaum besser aus. Da zahlen Grüne bescheidene 6,89 Euro.
Noch wichtiger aber als die Verbesserung der Finanzen wäre es, so Kellner in seinem Schreiben 2017, »wenn der Landesverband endlich das Frauenstatut als Teil unserer Regeln umsetzt«. Auf Nachfrage betonte der Sprecher: »Wir erwarten, dass der Landesverband dem Schiedsgericht folgen wird und bei den kommenden Listenaufstellungen entsprechend handeln wird.« Auf Bestrebungen, »diesen Neuanfang infrage zu stellen, blicken wir mit großer Sorge«.
Hubert Ulrich reagierte dagegen nicht auf eine Anfrage der Saarbrücker Hefte zur Mitglieder- und Finanzstruktur in seinem Ortsverband und zu seiner Rolle in der Saarbrücker Kommunalpolitik.
Am Tag der Pressefreiheit forderte die Grünen-Landesvorsitzende Tina Schöpfer Anfang Mai 2021 im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes »einen verbesserten Informationszugang für Journalistinnen und Journalisten im Saarland«. Vielleicht sollte sie zuerst mit Hubert Ulrich darüber reden.

Josef Dörr – Hilfe für Hubert Ulrich

Heide Rühle, ehemalige Sprecherin des Bundesvorstandes und Politische Geschäftsführerin der Grünen, hatte es im Juli 1993 satt, sich länger mit dem saarländischen Landesverband der Partei herumzuschlagen. Die »Querelen« dort hätten die Parteispitze »notgedrungenermaßen seit gut zwei Jahren« beschäftigt. Es ging, wie öfter in der regionalen Machtsphäre von Hubert Ulrich, um intransparente Mitgliederstrukturen, finanzielle Ungereimtheiten, vermutete Manipulationen. Die Lage war zu jener Zeit dermaßen eskaliert, dass der Länderrat der Grünen, das zweithöchste Parteigremium, kurz zuvor beschlossen hatte, einen Bundeszuschuss der Partei an die Saarländer in Höhe von 100.000 D-Mark erst mal zu sperren. Neben einer transparenten Etatgestaltung müsse auch ein »personeller Neuanfang bei der Wahl des Landesvorstandes« erfolgen. Falls dies alles nicht geschehe, solle der Bundesvorstand das Bundesschiedsgericht »mit der Amtsenthebung […] beauftragen«. Dramatischer geht’s nicht.
Auf der Landesdelegiertenkonferenz am 11. Juli 1993 in Saarlouis kam dann aber doch alles ganz anders. Die Drohungen der Bundesspitze liefen ins Leere. Hubert Ulrich erhielt 114 von 170 Stimmen. Zur Seite sprang ihm Josef Dörr, zu jener Zeit Landesschatzmeister der Grünen. Er half Ulrich mit einem dubiosen Verfahrenstrick, Zeit zu gewinnen. Anstatt einen seit Längerem angekündigten Bericht eines Wirtschaftsprüfers endlich vorzulegen, las Dörr ihn nur vor. Damit hatten die Kritiker erst mal nichts in der Hand, an dem sie ansetzen konnten.

Einst ein enges Gespann: Landesschatzmeister Josef Dörr (links), Parteivorsitzender Hubert Ulrich beim Landesparteitag der Grünen im November 1995. Foto: Andreas Engel

Inge Gottstein, Rechnungsprüferin der Partei, beklagte sich nur einen Tag danach in einem Brief an die Mitglieder des Bundesfinanzrates und des Bundesvorstandes über den aus ihrer Sicht gespenstisch verlaufenen Parteitag. Lediglich aufgrund der von Schatzmeister Dörr vorgetragenen »Fragmente« sei der Versammlung »die Entlastung des Vorstandes abverlangt« worden. Gremien der Bundespartei seien laufend »diffamiert« worden. Gottstein fand es »erschreckend, wie in diesem Landesverband Demokratie mit Füßen getreten wird«. Etwa ein Drittel der Delegierten sei »permanent niedergestimmt« worden.
Die Intention des Bundesvorstandes, das fragwürdige Gebaren von Hubert Ulrich und seiner Entourage zumindest aufzudecken oder gar abzustellen, hatte – wieder einmal – keine Folgen. Der Saarlouiser blieb noch lange im Amt, und finanzielle Mittel der Partei flossen weiter an die Saar. Die 100.000 D-Mark wurden schließlich freigegeben.
Josef Dörr gehörte viele Jahre – auch als Schatzmeister des Landesverbandes – zum engen Kreis um Hubert Ulrich und half ihm, seine Position zu festigen. Bevor er zu den Grünen stieß, war der Pädagoge und ehemalige Vorsitzende des Saarländischen Esperantobundes etwa zwanzig Jahre lang CDU-Mitglied. Als Franz-Josef Strauß mit der bundesweiten Ausdehnung der CSU spielte, gründete Dörr 1979 die Christlich Soziale Wählerunion (CSWU) im Saarland. Nachdem die Expansionsidee von Strauß im Archiv gelandet war, wechselte er 1984 zu den Grünen, 2013 trat er in die AfD ein, wo er dem extrem rechten Flügel zugerechnet wird. Bei der letzten Landtagswahl 2017 errang er ein Landtagsmandat und wurde zum Vorsitzenden der AfD-Fraktion gewählt. Im März 2020 setzte der AfD-Bundesvorstand die gesamte Führungsriege der Saar-AfD wegen »schwerwiegender Verstöße gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei« ab. Der Landesvorstand der Partei habe etwa Mitgliederaufnahmen »manipuliert«. Außerdem seien »zielgerichtet Delegiertenwahlen in den Kreisverbänden« beeinflusst worden. Dörr wies die Vorwürfe als »absolut hirnrissig« zurück.

Die Dienstwagenaffäre: Schnäppchenpreise für den Fraktionschef

Den wohl schwersten Einschnitt in seiner Parteikarriere erlebte Hubert Ulrich 1999. Im Februar berichteten der Spiegel und die Saarbrücker Zeitung über merkwürdige Autodeals in der Grünen-Landtagsfraktion. Ulrich hatte demnach seit März 1995 vier Ford Mondeos zu Sonderkonditionen erworben und dabei einen Vorteil genutzt, den der Autokonzern damals den Fraktionen eingeräumt hatte. Sie erhielten Rabatte bis zu 30 Prozent. Voraussetzung: Die Fahrzeuge mussten mindestens sechs Monate auf die Fraktionen zugelassen sein und durften in dieser Zeit nicht weiterverkauft werden.
Daran hielt sich die Fraktion aber nicht und verkaufte die Wagen ohne Aufpreis direkt an den Vorsitzenden. Ein gutes Geschäft für Ulrich. Er profitierte nicht nur von dem Rabatt, sondern hatte zwei weitere Vorteile: Er erhielt zu dieser Zeit monatlich eine Kilometerpauschale von rund 800 D-Mark. Die hätte er laut Spiegel nicht bekommen, wenn er die Mondeos als Dienstwagen genutzt hätte. Außerdem musste er für den geldwerten Vorteil keine Steuern zahlen, da die Autos auf ihn privat zugelassen waren. Ulrich fand nichts dabei. Diese Einkaufspraxis sei mit dem Landesrechnungshof und dem Konzern abgesprochen gewesen. Beide bestritten das. Ulrich trat zwar als Landesvorsitzender der Grünen zurück, behielt aber sein lukratives Landtagsmandat – und sorgte dafür, dass ein Gefolgsmann übergangsweise Sprecher des Landesvorstandes wurde: Christian Molitor. Mit dem Volkswirt hatte Ulrich sieben Jahre zuvor ein konservatives Positionspapier zur Ansiedlungspolitik im Saarland vorgelegt. Der Realo, zeitweise gut bezahlter wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grünen-Landtagsfraktion und Mitglied in Ulrichs Ortsverband Saarlouis, outete sich Anfang der 1990er-Jahre als wirtschaftspolitischer Hardliner. Er plädierte beispielsweise dafür, die Löhne an der Saar müssten mindestens zehn Prozent unter dem durchschnittlichen Niveau in anderen Regionen Westdeutschlands liegen. Nur so sei die Konkurrenzfähigkeit etwa zum benachbarten Lothringen gegeben. Molitor ist heute Geschäftsführer der Finanz­gruppe Sparkassenverband Saar.
Im Herbst 1999 flogen die Grünen aus dem Landtag, sie erreichten nur katastrophale 3,2 Prozent. Ulrich wurde 2001 politischer Geschäftsführer der Saar-Grünen, im Mai 2002 wählten ihn die Grünen erneut zum Landesvorsitzenden. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor ein gegen ihn gerichtetes Ermittlungsverfahren eingestellt.
Ulrich war wieder ganz oben – als sei nichts geschehen.

  1. Quelle: Voigt, Wilfried: Die Jamaika Clique, Conte Verlag 2011 ↩︎
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