Chaos bei der Ausländerbehörde in Lebach


42.000 unbearbeitete Verfahren

Von Bernhard Dahm

CDU-Innenminister Bouillon ließ Anfang des Jahres die Ausländerbehörde in der Landeshauptstadt ohne Vorwarnung schließen und verkündete den Umzug der Behörde nach Lebach. Bernhard Dahm berichtet, dass die Behörde seit längerer Zeit unterbesetzt ist, was dazu geführt hat, dass Menschen zum Teil länger als ein Jahr auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten müssen. 42.000 unbearbeitete Fälle sind bislang aufgelaufen. Für die betroffenen BürgerInnen des Saarlandes ohne deutschen Pass bedeutet dies eine rechtliche und finanzielle Katastrophe.

Foto: Sadija Kavgić

Am 30. November 2021 hat sich der Innenausschuss des Saarländischen Landtags mit der Situation bei der Ausländerbehörde in Lebach befasst. Das Ergebnis: Derzeit gibt es dort 42.000 unbearbeitete Verfahren. Mit steigender Tendenz. In der letzten Ausgabe der Saarbrücker Hefte hatten wir über die vom Saarländischen Innenministerium veranlassten Umstrukturierungen der Behörde berichtet. Diese werden bekanntlich mit der »Effizienzsteigerung«, der »Optimierung von Arbeitsabläufen«, dem »Abbau von Doppelstrukturen« sowie mit »Synergieeffekten« begründet. Deshalb sei auch zu Jahresbeginn die Behördenstelle in Saarbrücken geschlossen und die dortigen Akten und MitarbeiterInnen nach Lebach verlagert worden.

Angesichts der eingetretenen Katastrophe verstärkt sich allerdings der Eindruck, dass die sogenannte Reform völlig misslungen ist und nun vom Hause Bouillon zu einem Erfolg umgedeutet werden soll. Aus der betroffenen Behörde selbst ist zu hören, dass hohe Ausfallzeiten wegen Schwangerschaften und Erkrankungen die Ursache für die aufgetretenen Rückstände seien. Für diese Fälle müsste es bei einer gut aufgestellten Institution jedoch personelle Reserven geben, mit denen entsprechende Ausfälle kompensiert werden könnten. Solche Reserven gibt es jedoch nicht. Im Gegenteil: Ergebnis der Anhörung im Innenausschuss des Landtages ist, dass bei der Behörde 13 Planstellen unbesetzt sind. Hinzu kommen dann noch die erwähnten Schwangerschaften und Erkrankungen.

Für die betroffenen Menschen haben diese vom Innenminister zu verantwortenden Missstände verheerende Folgen. Anträge auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis oder einer Duldung werden mit großer Zeitverzögerung – mit Bearbeitungszeiten von bis zu einem Jahr und länger – bearbeitet. Das hat dann oftmals gravierende Konsequenzen für die AntragstellerInnen. So wird Leistungsbeziehenden vonseiten der Jobcenter und Sozialämter die Einstellung bzw. Kürzung von Leistungen angedroht, weil sie nicht in der Lage sind, einen gültigen Aufenthalts­titel vor­zulegen. Ihnen wird eine Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht vorgeworfen, obwohl sie überhaupt nichts dafürkönnen, dass sie nicht im Besitz der erforderlichen Dokumente sind. Damit droht ihnen die vollkomme Mittellosigkeit.

Die Betroffenen berichten, dass sie ständig versuchen, die Ausländerbehörde in Lebach telefonisch oder per Mail wegen der Verlängerung ihrer Aufenthaltstitel zu erreichen. Jedoch ohne Erfolg. Die Telefonanrufe werden nicht entgegengenommen. Die Mail-Schreiben bleiben unbeantwortet. Menschen, die eine Arbeitsstelle haben, droht wegen der nicht funktionierenden Verwaltung der Verlust ihres Arbeitsplatzes. Die Arbeitgeber wollen nämlich vorrangig solche Personen beschäftigen, bei denen sie sich sicher sind, dass sie auf längere Sicht als Arbeitskraft zur Verfügung stehen. Menschen, bei denen die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ungewiss ist, sind für den Arbeitsmarkt uninteressant.

Probleme ergeben sich auch für Menschen, welche die Zusammenführung ihrer Familie betreiben. Eine Voraussetzung für die Zusammenführung mit den sich noch im Ausland aufhaltenden EhepartnerInnen und Kindern ist, dass der in Deutschland lebende »Stammberechtigte«, von dem das Recht auf Zusammenführung abgeleitet wird, über eine gültige Aufenthaltserlaubnis verfügt. Die bei den Deutschen Botschaften der Herkunftsländer der Betroffenen angesiedelten Verfahren dauern bereits ein bis zwei Jahre. Läuft in diesem Zeitraum die Gültigkeit des Aufenthalts­titels des »Stammberechtigten« ab und verzögert sich deren Verlängerung, verzögert sich auch die Erteilung des Einreisevisums für die Familienangehörigen. Dies führt oftmals zu großen Belastungen in den Beziehungen der Familien. Die im Ausland weilenden Angehörigen verstehen nicht, dass der oder die in Deutschland lebende EhepartnerIn alles getan hat, um die Zusammenführung zu erreichen, dass dies aber letztendlich an einer nicht funktionierenden Behörde scheitert. Wie gravierend die Problematik ist, zeigt sich insbesondere, wenn es um die Zusammenführung mit sich in Krisenländern aufhaltenden Familienangehörigen geht.

Aktuelles Beispiel ist Afghanistan. Nach der Machteroberung durch die Taliban am 15. August dieses Jahres müssen Frauen, deren Partner sich als anerkannte Flüchtlinge in Deutschland aufhalten, befürchten, getötet zu werden. Für die Taliban sind die Afghanen, die sich im westlichen Ausland aufhalten, »gottlos«. Dies gilt auch für deren Partnerinnen im Land. Die verzögerte Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bringt die in Afghanistan lebenden Angehörigen in eine tödliche Gefahr.

Was offenbaren die beschriebenen Zustände in der Ausländerbehörde Lebach? Zum einen ist es im Saarland anscheinend schwierig, erforderliche Stellen bei einer Behörde zu besetzen. Wobei bei 42.000 nicht bearbeiteten Verfahren 13 Stellen kaum zur Lösung der Probleme beitragen dürften. Der hohe Krankenstand deutet darauf hin, dass die Arbeitsbedingungen bei der Behörde nicht zufriedenstellend sind. Dies ist vor dem Hintergrund, dass behördenintern Chaos herrscht, auch nicht überraschend. So finden sich zahlreiche im vergangenen Jahr an die damals noch existierende Saarbrücker Behördenstelle gesandte Schreiben nicht in den Akten der Betroffenen. Ende Juni 2021 teilte die Behörde in einem beim Verwaltungsgericht Berlin anhängigen Verfahren mit, die vom Gericht angeforderte ausländerrechtliche Akte könne nicht versandt werden, da das Archiv nach der durchgeführten Umstrukturierung mit Schließung der Saarbrücker Behörde nicht funktionsfähig sei. Teilweise werden Schreiben versandt, auf denen sich weiterhin die Adresse der zum 1. Januar 2021 aufgelösten Saarbrücker Behörde befindet.

Als Erklärung für diesen unerträglichen Zustand wird auch die Pandemie angeführt. Die MitarbeiterInnen seien im Homeoffice gewesen. Diese Begründung musste selbst im Frühjahr und Sommer herhalten, als die Inzidenz-Zahlen niedrig waren. Die Pandemie dient dazu, das Unvermögen des Ministeriums zur Aufrechterhaltung einer funktionierenden Behördenstruktur zu rechtfertigen.

Offensichtlich sind der Minister Klaus Bouillon und die Landesregierung am Schicksal der ihrem bürokratischen Chaos ausgelieferten Menschen nicht interessiert. Dieses Verhalten ist ein grober Verstoß gegen die Verfassung und bedeutet politisch, dass die Regierung Teile der im Saarland lebenden Menschen als BürgerInnen zweiter Klasse behandelt. Einerseits wird von den Betroffenen die Integration in die bestehenden sozialen Verhältnisse verlangt, andererseits wird nichts getan, damit eine solche Integration auch gelingen kann.

Diesen Beitrag teilen