Liebe Leserinnen, liebe Leser,
die Entstehung dieser Ausgabe der Saarbrücker Hefte war keine einfache Sache. Nachdem erst unser Redakteur Julian Bernstein seinen Wohnsitz vorübergehend nach Kanada verlagert hatte, führte Anfang dieses Jahres auch das langjährige Redaktionsmitglied Herbert Temmes seine berufliche Laufbahn weg aus dem Saarland. Da die beiden sich nicht mehr so intensiv wie gewohnt um die Hefte kümmern konnten, wurde eine Redaktionserweiterung nötig. Und wir hatten Glück. Zu Hilfe kamen zu meiner besonderen Freude auch weibliche Mitglieder. Mit dabei sind ab dieser Nummer neben dem früheren langjährigen Redakteur und Autor Josef Reindl auch wieder Iris Schumacher, die schon einmal kurz mit von der Partie war, sowie als neue Mitarbeiterin und Autorin Laura Weidig. Unser erstes Ziel war, ein Heft in der ersten Jahreshälfte herauszubringen. Weitere Herausforderungen stehen uns bevor.
Was haben wir in diesem Heft anzubieten? Manche von Ihnen werden sich an das Ereignis erinnern: Am 9. März 1999 wurden durch einen lauten Knall viele Saarbrücker morgens gegen 4.40 Uhr aus dem Schlaf gerissen. Die zwei Kilogramm Sprengstoff, die der Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« in der Volkshochschule am Schloss galten, wurden, so die Recherche von Erich Später, möglicherweise vom NSU-Terroristentrio gelegt. Während in mehreren Landtagen Untersuchungsausschüsse um Aufklärung bemüht waren, fragte im Saarland allerdings niemand danach, ob der NSU Verbindungen zum Saarland hatte und ob sich der saarländische Verfassungsschutz am Aufbau rechtsextremer Strukturen im Saarland eventuell beteiligt hat. Alle bislang durchgeführten Ermittlungen zum Bombenanschlag wurden ergebnislos eingestellt. Im letzten Jahr forderte der Abgeordnete der Linken im saarländischen Landtag, Dennis Lander, die Landesregierung auf zu klären, auf welche Strukturen und Personen und auf welches Unterstützerumfeld sich die NSU-Terroristen im Saarland hätten stützen können. Ergebnis offen.
Um Vergangenheitsbewältigung geht es auch in der Recherche um die zweite Karriere des früheren Saarbrücker Oberbürgermeisters Hans Neikes. Während sein damaliger Chef in Berlin, Alfred Speer, als Kriegsverbrecher verurteilt wurde, firmiert Neikes – als Leiter der Rechtsabteilung von Speers Generalbauinspektion ein mustergültiger NS-Schreibtischtäter – bis heute als Namensgeber einer Straße und einer Turnhalle. Die Stadt Saarbrücken hat im Januar dieses Jahres am Beispiel der Umbenennung des nach dem NS-Arzt Hans Dietlen benannten Wegs gezeigt, wie einfach und rasch es gehen kann. In diesem Tempo kann die Stadt gerne weitermachen, bis alle NS-Täter aus dem Straßenbild verschwunden sind.
Einem ebenfalls wenig erfreulichen Thema – der saarländischen Erinnerungskultur – widmen wir uns in einer Zusammenfassung der Ereignisse in Riegelsberg 2015. Die rechte Interessengemeinschaft »IG Hindenburgturm« wollte Wehrmachts- und SS-Angehörige ehren – ein Vorhaben, das nur knapp scheiterte. Noch während am Artikel gearbeitet wurde, beschloss der Bezirksrat Dudweiler einstimmig, ein Kriegsdenkmal für 95.000 Euro zu erneuern. Mitten in der Dudweiler Fußgängerzone soll also demnächst im neuen Glanz ein Monument erstrahlen, das die folgende Inschrift trägt: »TREU BIS IN DEN TOD FÜR’S VATERLAND UNSEREN HELDEN 1914-1918 1939-1945.« Und das in einem Stadtteil Saarbrückens, der die Universität des Saarlandes und in näherer Zukunft auch eine internationale Schule beherbergt, in der – so wird gehofft – der Nachwuchs der ins Saarland strömenden IT-Experten unterrichtet werden soll (mehr zur Digitalisierung ab Seite 38). Bislang war jedoch keine öffentliche Kritik an der geplanten Neuinvestition in Kriegerverehrung zu vernehmen. Auch nicht von der erst im vorigen September gegründeten Landesarbeitsgemeinschaft Erinnerungsarbeit im Saarland. Ich frage mich: Wieso findet sich die Sanierung eines Kriegsdenkmals auf der Prioritätenliste einer – zu allem Überfluss auch noch armen und verschuldeten – saarländischen Stadt, und keiner stört sich daran.
Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte soll ab 2020 eine neue Leitung bekommen. Zuvor beschäftigen wir uns noch einmal mit seinem amtierenden Generaldirektor Meinrad Grewenig und seinen vermeintlichen Verdiensten. Sehr zu empfehlen ist auch die von Josef Reindl verfasste Rezension der Recherchen zur Zwangsarbeit in der Völklinger Hütte, die die Historikerin Inge Plettenberg niedergeschrieben hat. Mit dem auf ARTE ausgestrahlten Dokumentarfilm »Der Stahlbaron« (Nina Koshofer, 2019) über Hermann Röchling befasst sich Julian Bernstein. Während die Familie Röchling im Saarland sehr präsent ist, verhält es sich mit der Familie Stumm etwas anders. Klaus Gietinger erzählt die Geschichte von zwei bislang wenig bekannten Stumms, die, ähnlich wie ihr Verwandter, der Stahlmagnat Carl-Ferdinand von Stumm-Halberg, in der Weltgeschichte mitmischten.
Über die Entstehung der Hochschule der Bildenden Künste Saar und ihre Höhen und Tiefen schreibt Professor Rolf Sachsse. Ein von Albert Weisgerber gemaltes Porträt des Dichters Ludwig Scharf inspirierte unseren Autor Stefan Ripplinger zu einer poetischen Erzählung über die Freundschaft der beiden Männer. Auf die Spuren einer anderen Freundschaft, die Antoine de Saint-Exupérie dazu brachte, sein weltberühmtes Buch »Der kleine Prinz« einem gewissen Léon Werth zu widmen, ist unser Autor Georg Bense auf einer seinen Reisen durch Lothringen gestoßen.
In der Galerie präsentieren wir einige Werke der in Südwales geborenen Künstlerin Sig Waller, die nach ihren Lebensstationen in London und Berlin zurzeit in Saarbrücken lebt. In unserem Literaturteil finden Sie Beiträge von Stefan Schön, Andreas Dury und Bernd Nixdorf. Und das ist noch nicht alles. Ich hoffe, Sie finden einiges Interessantes, bleiben uns verbunden und unterstützen unsere ehrenamtliche Arbeit, die das eine Ziel garantiert nie aufgeben wird: Den mutigen Journalisten und ihren unabhängigen Recherchen den Weg in die Öffentlichkeit zu ermöglichen.
Sadija Kavgić
Nazis an der Saar
Erich Später
Die Bombe in der Saarbrücker Volkshochschule
Vor zwanzig Jahren verübten rechte Terroristen einen Bombenanschlag auf die Ausstellung »Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht«
Rene Anders
Das Ende der Schuld
Saarländische Erinnerungskultur am Beispiel des Skandals um ein Wehrmachtsdenkmal für Riegelsberg
Dirk Amsel
Im Saarland nicht weiter beachtet
Die zweite Karriere des Saarbrücker Oberbürgermeisters Hans Neikes bei Albert Speer
Hochschulgeschichte
Rolf Sachsse
Vom Centre des Métiers d’Art zur HBKsaarUnterricht in Kunst und Design an der Saar
Technisierung
Laura Weidig
Big Bouillon is watching you
Josef Reindl
Schöne neue digitale Welt
Autonomie und/oder Kontrolle
Porträts
Stefan Ripplinger
Der Selbstmordattentäter aus BlieskastelVor 80 Jahren starb der Dichter Ludwig Scharf
Georg Bense
Die Wüste ist nicht da, wo man glaubt
Gedanken zu einer berühmten Widmung: Antoine de Saint-Exupéry für Léon Werth
»Großprojektanten«
Sadija Kavgić
Der Fall Grewenig
Sadija Kavgić
Heavy Metall – Boltanski in Völklingen
Beobachtungen anlässlich der Einweihung der Kunstinstallation zur Erinnerung an die Zwangsarbeiter der Völklinger Hütte
Industriemagnaten an der Saar
Sadija Kavgić
Bernd Rausch gegen Verharmlosung
Julian Bernstein
Zu weit gegangen fürs Vaterland
Der Dokumentarfilm »Der Stahlbaron« über den Industriellen und NS-Kriegsverbrecher Hermann Röchling
Klaus Gietinger
Zwei laute Stumms
Thomas Meier-Castel»Adieu Herr von Stumm« inspiriert durch den Abbau der Eisenhütte Neunkirchen
Galerie
Sig Waller
Goodbye To Love
Literatur
Stefan Schön
Wohnen
Andreas Dury
Käfer und andere Idioten
Bernd Nixdorf
Afrika, immer wiederAus »Hoppers letztes Idyll«
Nachruf
Ralph Schock
Er war einer der liebenswürdigsten Menschen, denen ich je begegnet bin
Nachruf auf Roger Bichelberger
Rezensionen
Josef Reindl
Ein Buch, das nicht erscheinen soll
Harald Glaser
Materialreiche Annäherung an Hermann Röchling
Georg Bense
Himmlische Höhen
Josef Reindl
Ein unglaubliches Leben: Karl Marx und die Seinen
Dirk Amsel, Dipl. Soziologe, lebt und arbeitet in Saarbrücken.
Rene Anders, geb. 1980, Studium der Germanistik und Geschichte, lebt und arbeitet in Saarbrücken.
Georg Bense, geb. in Köln, aufgewachsen in Stuttgart, Fernsehjournalist, Autor, Regisseur und Kameramann zahlreicher Filme für ARD, ZDF und arte.
Julian Bernstein, geb. 1981 in Saarbrücken, Studium der Geschichte, der Interkulturellen Kommunikation und der franz. Literatur, M.A., als freier Journalist u.a. tätig für DLF, WDR, SRF, SR, Ö1, Der Standard, FAZ, NZZ.
Andreas Dury, geb. 1961, lebt seit 1998 in Saarbrücken, arbeitet als Schriftsteller, Dozent in der Erwachsenenbildung, Softwareentwickler. – Der neueste Roman »Der Chor der Zwölf« erschien 2017 bei Conte, St. Ingbert. – Außerdem gibt es noch »ich und Ben«, Roman, Conte-Verlag, Saarbrücken 2012, »Oh Tapirtier«, Roman, Conte-Verlag, Saarbrücken 2010, »Schachtelkäfer«, Roman, Edition Topicana, Saarbrücken 2003, »Als ich in die Stadt kam«, Erzählungen, Plöger-Verlag, Annweiler 1999.
Klaus Gietinger, Autor, Regisseur und Sozialwissenschaftler – mehrere Kinofilme, zahlreiche TV-Movies, Serien und 7 Tatorte (Buch und Regie), diverse internationale Preise. Nominiert für den Grimmepreis 2018 für den Dokumentarfilm »Wie starb Benno Ohnesorg – Der 2. Juni 1967«. Zahlreiche Sachbücher und zwei Romane. – Zuletzt erschienen: »Blaue Jungs mit roten Fahnen – Die Volksmarinedivision 1918/19«, Münster 2019. Mehr Infos: www.gietinger.de
Harald Glaser, Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Germanstik, Staatsexamen, M.A., historische und museumsdidaktische Projekte zur Völklinger Hütte und zur Alten Schmelz St. Ingbert, Veröffentlichungen und Ausstellungen zur Industriegeschichte, z.Zt. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dokumentationszentrum der Arbeitskammer des Saarlandes.
Jörg W. Gronius, geb. 1952 in Berlin, studierte Theaterwissenschaften, arbeitete als Dramaturg und Regisseur. Er schreibt Texte über und für das Theater, vor allem Dramen und Libretti. Für die autobiographisch motivierte Romantrilogie »Ein Stück Malheur« (2000), »Der Junior« (2005) und »Plötzlich ging alles ganz schnell« (2007) erhielt er den Ben-Witter-Preis. Außerdem: »Traumwohnungen & Götter. Gedichte & Anrufungen«, PoCul-Verlag, Saarbrücken 2014, »Daheim und wieder da draußen«, PoCul Verlag, Saarbrücken 2017. – Letzte Veröffentlichung: »Guten Abend die Nachrichten oder Informationsfluxus«, Wehrhan Verlag, Hannover 2018.
Sadija Kavgić, ist freiberuflich als Journalistin, Fotografin und Übersetzerin tätig. Sie wurde in Tuzla, Jugoslawien geboren. Nach dem Journalistik-Studium an der Universität in Sarajevo arbeitete sie bei der Tageszeitung Večernje Novine in Sarajevo. Während der Belagerung von Sarajevo 1992–1996 kam sie 1993 nach Deutschland. Sie publiziert in Deutschland sowie in Bosnien und Herzegowina. Sie lebt in Saarbrücken.
Bernd Nixdorf, seit 1961 in Saarbrücken. Mitarbeiter im Saarländischen Künstlerhaus. Vorstandsmitglied des VS-Saar. – Buchveröffentlichungen: »Salli Palli« (1993), »Salli Palli 1+2« (2016) und »Eine intime Vertraute« (TOPICANA Band 33, 2018).
Josef Reindl, Sozialwissenschaftler und Mitglied des COGITO-Instituts für Autonomieforschung.
Stefan Ripplinger, geb. 1962 in St. Ingbert. Freier Autor. Zuletzt erschienen von ihm die Essaybände »Kommunistische Kunst« (konkret texte 2019) und »Mallarmés Menge« (Matthes & Seitz 2019).
Rolf Sachsse, geb. 1949 in Bonn, Fotografenlehre, Studium Kunstgeschichte, Kommunikationsforschung und Neuere Deutsche Literatur, Promotion zur Architekturfotografie, freier Fotograf, Kurator und Autor mit mehr als 400 Veröffentlichungen, bis Oktober 2017 Professor für Designgeschichte und Designtheorie sowie Prorektor für Lehre und Wissenschaft an der HBKsaar, lebt in Bonn. Mehr Infos: www.rolfsachsse.de
Ralph Schock, geb. 1952 in Ottweiler (Saarland). Autor, Herausgeber und Literaturredakteur. Germanistik- und Philosophie-Studium. 1973 – 1974 Ersatzdienst. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität des Saarlandes (1977 – 1984). 1984 Dissertation über Gustav Regler: »Literatur und Politik (1933 – 1940)«. Von 1987 bis 2017 Literaturredakteur beim Saarländischen Rundfunk. Zahlreiche Gesprächssendungen mit Autoren. – Letzte Veröffentlichungen: Joseph Roth, »Die Rebellion«, Roman. Nach dem Manuskript ediert und mit einem Nachwort, Göttingen 2019; »Nach Kolchis. Faszination Georgien – Reiseimpressionen«, Verbrecher-Verlag, Berlin 2019.
Stefan Schön, geborener Saarbrücker, ehemaliger Mitarbeiter des Festivals »Schichtwechsel« im Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Chefdramaturg und Regisseur am Landestheater Schwaben in Memmingen. Im deutschsprachigen In- und Ausland seit 1987 als freischaffender Regisseur (Saarbrücken, Wien, Bern, Zürich, Aachen, Osnabrück, Trier, Bamberg und Ingolstadt etc.). In Saarbrücken und in Augsburg, wo er bis 2018 zwanzig Jahre lebte, als Rezitator und Literaturinterpret bekannt. Organisiert Kunstaktionen aller Art in vieljähriger Zusammenarbeit mit der Regio Augsburg Tourismus GmbH, Kunstsammlungen und Museen der Stadt Augsburg. In Saarbrücken mit dem Kulturzentrum am Eurobahnhof und dem Ministerium für Bildung und Kultur Saar. – Bisherige Veröffentlichungen: Eigen-Beiträge in über 60 von ihm redigierten Programmheften des Landestheaters Schwaben und in Vorworten zu Leseprogrammen.
Erich Später, geb. 1959, Buchhändlerlehre, Studium in Saarbrücken und Berlin, arbeitet für die Heinrich-Böll-Stiftung Saar. Er publiziert in der Monatszeitschrift konkret schwerpunktmäßig zu den Themen Massenverbrechen der Deutschen vor und während des Zweiten Weltkriegs, zu den sogenannten »Vertriebenenverbänden« sowie zur saarländischen Regionalgeschichte. – Letzte Buchveröffentlichungen »Villa Waigner. Hanns Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag«, Konkret Literatur Verlag Hamburg; »Der dritte Weltkrieg – die Ostfront 1941–45«, Conte Verlag St. Ingbert.
Laura Weidig, geboren 1984 in Saarbrücken, Studium der Germanistik und Literaturwissenschaft (B.A.), der historischen Anthropologie sowie der Kultur- und Mediengeschichte.