Windkraft, einfach Nein? – Von Abrissbirnen und Vogelflüsterern im Saarland


Von Aline Pabst


Im Saarland formiert sich erneut Widerstand gegen Windräder. Was auf den ersten Blick wie normaler Bürgerprotest wirkt, ist in Wirklichkeit gesteuert durch ein gigantisches Lobby-Netzwerk, das die Energiewende verhindern will, Lügen über den Klimawandel verbreitet – und sogar schon die saarländische Politik beeinflusste.


Die Sonne strahlt an diesem Sommertag Ende August 2024. Im Sulzbacher Wald ist es angenehm kühl, trotzdem kochen die Emotionen hoch. Bürgermeister Michael Adam (CDU) hat zu einer Waldbegehung eingeladen, um die neuen Mitglieder des Stadtrats und interessierte Sulzbacher über Windkraft-Potenzialflächen zu informieren. Viele Stadträte sind der Einladung gefolgt, ebenso eine Landtagsabgeordnete der SPD, aber auch Mitglieder der neuen Sulzbacher Bürgerinitiative (BI) »Wald statt Windräder«. Einige Besucher von auswärts sind gekommen, darunter Ute Weisang aus St. Ingbert, die 2021 für die Querdenker-Partei »Die Basis« für den Bundestag kandidierte. Die Botschaft, die auf ihrem T-Shirt zu lesen ist, gibt gewissermaßen die Richtung dieses Nachmittags vor. Sie lautet »Einfach Nein«.

Adam wird seinerseits von Klimaschutzmanager Jan Henning und zwei Experten des Saarforsts begleitet. Zusammen wollen die Männer eigentlich über die Rechtslage informieren. Die insgesamt vier möglichen Standorte zeigen, erklären, wie diese ausgewählt wurden, aber auch, dass erst nach strenger Prüfung klar sein wird, ob wirklich alle für Windräder geeignet sind und es in dieser frühen Phase noch überhaupt keinen Grund zur Aufregung gibt. 

Sie dringen nicht durch. »Unser Wald!« schluchzt eine Frau, kaum erreicht die Gruppe in der Nähe des Industriegebiets Neuweiler den ersten Standort. Andere ereifern sich lautstark über die von der SPD-Landesregierung kürzlich beschlossene Änderung des Landeswaldgesetzes, die es einfacher macht, Windräder im Wald zu errichten. Für Wutausbrüche sorgt auch das saarländische Gemeindebeteiligungsgesetz, das Betreiber von Wind- oder Solaranlagen seit neustem verpflichtet, den Standort-Kommunen einen Teil des Erlöses abzutreten. Die Landesregierung sprach von einer »Akzeptanzabgabe«. Bürger im Sulzbacher Wald haben dafür ein anderes Wort, das sie den überrumpelten Stadträten entgegen schleudern: Korruption.

Schlechte Stimmung bei den Teilnehmern der Waldbegehung in Sulzbach. Foto: Aline Pabst

Die einzelnen Potenzialflächen liegen weit auseinander. Die Saarforst-Mitarbeiter fahren sie nacheinander ab, gefolgt von einer langen Autokolonne. Darunter ist ein riesiger SUV mit Heckaufklebern wie »Dieselpower« und »Ich spare Strom ich fahre Verbrenner«. Ebenso überdimensioniert sind auch die Windräder auf dem Foto, das ein Teilnehmer aufgeregt herumzeigt. Das Bild hat er vor seinem Haus aufgenommen, die Rotoren selbst hineinmontiert. Je tiefer es in den Wald geht, desto mehr wächst die Wut. Spätestens an Standort 3 kippt die Stimmung komplett. Als Klimaschutzmanager Jan Henning über die Energiewende redet und dabei den Klimawandel erwähnt, erntet er spöttisches Gelächter. Plötzlich geht alles durcheinander. Mitglieder der BI fordern Bürgermeister Adam auf, sich endlich klar zu positionieren: Ist er für oder gegen Windräder in Sulzbach? Als Bürgermeister sei er neutral, entgegnet Adam, seine Aufgabe sei es, zu informieren. »Sie schwätzen nur drumrum!« keift ein Mann. Eine Frau fragt, ob Adam den Mut habe, zur nächsten Bürgerveranstaltung jemanden einzuladen, der auch über die negativen Seiten der Windkraft informiert. Zwei Männer am Rand der Gruppe tuscheln auffällig miteinander, ein BI-Mitglied redet auf eine entnervte Teilnehmerin ein, die lieber dem Bürgermeister zuhören würde.   

Adam bemüht sich an diesem Tage redlich, die Wogen zu glätten. Hinterher ist der CDU-Politiker aber erschüttert: über die Heftigkeit der Vorwürfe, die Kompromisslosigkeit mancher Teilnehmer. Ein paar davon hat der Bürgermeister noch nie zuvor gesehen. Wo kommen diese Leute plötzlich her, wieso mischen die bei dem Protest mit – und warum wirkt das alles so seltsam orchestriert?  

Teile der Antwort sind in seiner eigenen Partei zu finden.

Bühne frei für Lobbyisten

Saarbrücken, ein paar Wochen später. »Ist unsere Energiepolitik noch auf einem vernünftigen Kurs oder müssen wir umsteuern?« lautet der Titel des Vortrags im Hause der CDU-nahen Union Stiftung. Es referiert Dr. Christoph Canne aus Saarlouis, Pressesprecher der »Bundesinitiative Vernunftkraft« – laut Ankündigung der Stiftung »ein gemeinnütziger Verein, der den Zweck verfolgt, Wissen über ökologische, ökonomische und technische Zusammenhänge zu vermitteln und somit sachgerechte und fundierte Einschätzungen der Auswirkungen umwelt- und energiepolitischer Maßnahmen auf die Allgemeinheit und die Natur zu befördern«. Canne selbst beschreibt den Verein als »unabhängig« und »parteipolitisch neutral«, seine Aufgabe sei es, »Bürgerinitiativen fachlich zu unterstützen« und »zuerst Fakten darzustellen«. 

Was die Zuhörer nicht erfahren: Vernunftkraft ist nichts anderes als die Speerspitze der deutschen Anti-Windkraft-Lobby – und steht deshalb seit Jahren unter massiver Kritik. Dieser Umstand kann der Union Stiftung kaum entgangen sein: Direkt der zweite Treffer bei Google führt auf die Website »Lobbypedia«, die sich dem Verein ausführlich widmet. Betrieben wird das Online-Nachschlagewerk von »Lobbycontrol«, einem Verein, der für Transparenz und gegen undemokratische Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit kämpft – durch Wirtschaftsverbände, aber eben auch vermeintlich harmlose Organisationen wie Vernunftkraft.  

»Vernunftkraft spielt eine zentrale Rolle bei der Leugnung wissenschaftlicher Fakten zur Klimakrise und trägt damit gezielt dazu bei, Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland auszubremsen«, sagt Lobbycontrol-Sprecherin Christina Deckwirth. Der Verein sei eng mit Unternehmen und Branchen verbunden, die ein finanzielles Interesse am Erhalt klimaschädlicher Geschäftsmodelle haben. »Die Union Stiftung sollte deswegen dringend auf Abstand zu Akteuren wie Vernunftkraft gehen – zumal solche Initiativen gerade durch den Aufstieg der AfD weiter an Zuspruch gewinnen.«

»Vernunftkraft spielt eine zentrale Rolle bei der Leugnung wissenschaftlicher Fakten zur Klimakrise und trägt damit gezielt dazu bei, Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland auszubremsen.«
Christina Deckwirth
Sprecherin von Lobbycontrol

Auch Simone Peter ist Vernunftkraft ein Begriff. Die ehemalige saarländische Umweltministerin (Grüne) und Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien spricht von »härtesten Windkraftgegnern mit völlig schrägen Argumenten«. Auf X (ehemals Twitter) hatte sie die Union Stiftung wegen Cannes Vortrag, auf den sie durch eine Zeitungsanzeige aufmerksam geworden war, scharf kritisiert. Darauf angesprochen klingt Peter noch Wochen später fassungslos. Neben Klimaschutz nennt sie auch wirtschaftliche Aspekte: CDU und SPD hätten sich viel zu lange an fossilen Brennstoffen festgehalten, aber wüssten doch eigentlich inzwischen, dass es so nicht weitergeht. »Wenn man einen Standort wie das Saarland voranbringen will, kann man sich nicht so gegen die Transformation stellen.« Und sollte Gegnern der Energiewende keine Bühne bieten.

Die Union Stiftung weist die Vorwürfe zurück. »Dr. Christoph Canne wurde als Experte in energiepolitischen Fragestellungen eingeladen«, erklärt Geschäftsführer Michael Scholl auf Nachfrage der Saarbrücker Hefte. Man wolle ein breites Spektrum an Meinungen darstellen, ohne dabei eine »eindeutige Positionierung« der Stiftung zu implizieren. »Standpunkte von vorneherein auszugrenzen, auch der Versuch, ohne Anhaltspunkte Referenten zu versuchen zu diskreditieren, wird zwar immer häufiger im Diskurs eingesetzt, schadet unserer Meinung nach aber einem offenen Austausch, der für eine demokratische Gesellschaft so essentiell ist.« In der Vergangenheit habe die Stiftung auch Veranstaltungen zu Geothermie angeboten. Die Kritik an Vernunftkraft und deren Netzwerk teile die Stiftung »in dieser pauschalen Form« nicht. »Wir fördern den Austausch über klimapolitische Themen und Energiewende-Strategien und sehen die Diskussion kontroverser Themen als wesentlicher Bestandteil der Meinungsbildung an.« Das bedeute nicht, dass die Stiftung alle Positionen der eingeladenen Gäste teile oder gutheiße. »Die Union Stiftung bietet Klimawandelleugnern keine Bühne.«

Das Netzwerk der Klimafaktenleugner

Gegründet wurde die »Bundesinitiative Vernunftkraft« bereits 2013. Zu ihren Kernforderungen gehören die Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), sämtlicher Förderungen für Wind- und Solarkraft und der Weiterbetrieb von Kohle- und Atomkraftwerken. Vor allem aber versteht sich der Verein als ein Art Dachverband der deutschen Windkraftgegner-Gruppen. Wo immer sich in Deutschland BIs gründen, ist Vernunftkraft zur Stelle: Der Verein vermittelt vermeintliche »Experten«, die auf öffentlichen Veranstaltungen auftreten, auf Windkraft-Klagen spezialisierte Juristen, liefert Flyer, Plakate und Logos – und massenhaft Argumente gegen Windräder. Tenor: Die Energiewende ist wirtschaftlicher Wahnsinn, eine Gefahr für Tier und Mensch, zerstört Landschaft und Natur und hat keinen Einfluss auf das Klima. 

All das unterfüttert Vernunftkraft mit Zahlen und Grafiken. Auf Laien mag das einen seriösen Eindruck machen. Spätestens bei der Frage, ob der menschengemachte Klimawandel existiert oder nicht, sollten jedoch alle Alarmglocken schrillen. Vernunftkraft gibt sich hier auf seiner Website betont neutral. Allerdings unterhält der Verein beste Beziehungen zum »Europäischen Institut für Klima und Energie«. Der Name gaukelt wissenschaftliche Seriosität vor, tatsächlich handelt es sich bei EIKE aber um keine offizielle Einrichtung der EU, sondern einen deutschen Lobby-Verein aus Jena. EIKE lehnt Klimapolitik kategorisch ab, verbreitet Verschwörungsmythen, um Zweifel am wissenschaftlichen Konsens zur globalen Erwärmung zu streuen und Klimaforscher zu diffamieren. »Experten«, auf die EIKE sich beruft, sind oftmals Wissenschaftler im Ruhestand, die nie zu Klima oder Meteorologie publiziert haben. EIKEs jährliche »Klima- und Energiekonferenz« gilt als eines der wichtigsten Vernetzungstreffen der internationalen Klimafaktenleugner-Szene und bietet dabei auch rechtslibertären und offen demokratiefeindlichen Rednern eine Bühne. 

EIKE wurde 2007 gegründet und sucht seitdem immer wieder die Nähe zur Politik. Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung war 2009 und 2010 Mitveranstalter der EIKE-Konferenz. 2019 traten EIKE-Referenten beim Thüringer Landesverband des Wirtschaftsrats der CDU auf, die WerteUnion in Bayern berief sich in ihrem 2020 veröffentlichten »Klima-Manifest« auf den Verein. Besonders augenfällig sind die Verbindungen zur AfD: Michael Limburg, Vizepräsident von EIKE, war 2013 außerdem Mitglied im Bundesfachausschuss Energiepolitik der AfD. Er arbeitete am Parteiprogramm mit und prägte maßgeblich die Positionen der AfD zum Klimawandel. Horst-Joachim Lüdecke gehörte ebenfalls zum Fachausschuss. Der Physiker für Strömungsmechanik ist Pressesprecher von EIKE – und war bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2008 Professor an der HTW Saar. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass der damalige Parteichef Alexander Gauland 2019 Kritik an »der sogenannten Klimaschutzpolitik« neben dem Euro und Migration zum dritten großen Thema für die AfD erklärte. 

Internationale Unterstützung erhält EIKE durch Klimafaktenleugner-Organisationen wie dem amerikanischen »Heartland Institute«. Der libertäre Thinktank ist die weltweit bedeutendste Organisation, die den menschengemachten Klimawandel leugnet. Der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen in der ersten Amtszeit Donald Trumps geht auch auf ihren Einfluss zurück. Heartland finanziert sich durch Spenden, deren Ursprung weitgehend im Dunkeln liegen. Gesichert ist jedoch, dass jahrelang auch ExxonMobil zu den Finanziers zählte. Der Öl-Riese weiß durch Warnungen konzerninterner Wissenschaftler nachweislich seit 1977, das Treibhausgas-Emissionen aus fossilen Brennstoffen verheerende Auswirkungen auf das globale Klima haben. Statt die Menschheit zu warnen, startete Exxon eine beispiellose Desinformationskampagne. Organisationen wie Heartland und EIKE führen dieses Werk bis heute fort.

All diese Informationen sind Dank Recherchen von Journalisten und NGOs inzwischen öffentlich. Davor wurde EIKE selbst in seriösen Medien immer wieder zitiert. Erst 2022 wurde dem Verein die Gemeinnützigkeit entzogen: Ein Gutachter stellte fest, dass die EIKE-Publikationen jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrten.

Windkraft bedroht fossile Geschäftsmodelle

Mit den Jahren haben die Klimafaktenleugner ihre Taktik immer wieder angepasst – auch, weil die offene Leugnung der globalen Erhitzung inzwischen kaum noch anschlussfähig ist. Gängige Diskursstrategien zielen heute eher darauf ab, Klimaschutzmaßnahmen zu verzögern, indem mögliche Lösungen als zu schwierig, zu teuer, gefährlich oder wirkungslos diffamiert werden. 

Die Energiewende trifft das besonders. Derzeit ist Wasserkraft weltweit noch die bedeutendste Quelle erneuerbarer Energien, allerdings sind dem weiteren Ausbau natürliche Grenzen gesetzt. In Deutschland machte Wasserkraft im Jahr 2024 mit 20,5 Terrawattstunden nur fünf Prozent an der öffentlichen Nettostromerzeugung aus, die Werte haben sich seit Jahrzehnten kaum verändert. 

Ganz anders bei Windkraft. Seit einigen Jahren verläuft der Ausbau auf globaler Ebene exponentiell – und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Von dieser Entwicklung profitiert ausgerechnet ein Sorgenkind der saarländischen Wirtschaft: die Stahlindustrie. Einen Großteil der Grobbleche, die Dillinger produziert, kommt bei gigantischen Offshore-Windparks in der Nordsee zum Einsatz. Die Nachfrage zog nach dem Corona-Krisenjahr 2020 deutlich an und war einer der Hauptgründe, wieso Dillinger wieder schwarze Zahlen schrieb. Die Menge an Grobblechen stieg laut Unternehmensangaben von 1,41 Millionen Tonnen im Jahr 2020 auf 1,84 Millionen im Jahr 2023. 

Quelle: Our World in Data

Auf dem Weltmarkt hat sich dagegen längst China an die Spitze gesetzt. Ausgerechnet das Land, auf dessen hohe Emissionen Kritiker der deutschen Energiewende immer wieder verweisen bricht bei erneuerbaren Energien einen Rekord nach dem anderen. Laut einer Studie der NGO Global Energy Monitor plant China derzeit, fast doppelt so viele Kapazitäten für Solar- und Windenergie auszubauen wie der Rest der Welt zusammen. 

In Deutschland stieg der Anteil der Windenergie an der öffentlichen Nettostromerzeugung innerhalb von zehn Jahren von 10,5 auf aktuell 26,8 Prozent an Land beziehungsweise 0,27 auf 6,2 Prozent Offshore. Keine andere Energiequelle, egal ob fossil oder erneuerbar, hatte im Jahr 2024 einen größeren Anteil. Im Jahresverlauf zeigt sich, wie gut sich Solar und Wind ergänzen. Die CO2-Emissionen pro Kilowattstunde Strom sanken laut Umweltbundesamt von 764 Gramm im Jahr 1990 auf 380 Gramm im Jahr 2023. Für 2024 liegen noch keine abschließenden Zahlen vor. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass der deutsche Strom in diesem Jahr so sauber war wie noch nie. Gleichzeitig sind die sogenannten Stromgestehungskosten, also der durchschnittliche Kosten pro erzeugter Kilowattstunde Strom, laut einer aktuellen Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme bei Windkraft (sowie Solar) deutlich niedriger als bei Kohle, Gas und Atom.  

Quelle: Energy-Charts.info

Wo Energie durch Wind erzeugt wird, sinkt die Nachfrage nach konventionellen Energieträgern – und das bedroht die Geschäftsmodelle derer, die mit der Förderung und dem Verkauf fossiler Brennstoffe in den vergangenen Jahrzehnten Billionen verdient haben. Dass Lobby-Organisationen wie EIKE mit Windkraftgegnern gemeinsame Sache machen, ist daher nicht überraschend.

Astroturfing und Greenscamming

Vernunftkraft empfiehlt das Buch »Strom ist nicht gleich Strom« von EIKEs Vizepräsidenten Michael Limburg, EIKE-Sprecher Horst-Joachim Lüdecke gehört zu den Unterzeichnern des »Johannisberger Appells für eine vernünftige Energiepolitik«, der von Vernunftkraft 2016 veröffentlicht wurde. Referenten von Vernunftkraft treten bei EIKE-Veranstaltungen auf und umgekehrt. Und auch sonst hat Vernunftkraft wenig Berührungsängste mit Klimafaktenleugnern: Zu den größten Unterstützern des Vereins zählt Fritz Vahrenholt. Der SPD-Politiker war in den Neunzigern Umweltsenator von Hamburg, wurde dann aber Manager bei Shell und RWE. Vahrenholt, der regelmäßig von BILD und rechtspopulistischen »Alternativmedien« wie Tichys Einblick zitiert wird, behauptet unter anderem, dass nicht CO2, sondern die Sonne Schuld am Klimawandel sei. Prognosen zur globalen Temperaturentwicklung, die er 2012 in seinem Buch »Die kalte Sonne« aufstellte, erwiesen sich innerhalb weniger Jahre als falsch. Obwohl Vahrenholt mit seinen Ansichten in der Fachwelt völlig alleine dasteht, nutzt Canne ihn in seinem Vortrag in Saarbrücken als Quelle. 

Von 2012 bis 2019 war Vahrenholt Alleinvorstand der »Deutschen Wildtier Stiftung«, die unter seiner Führung hauptsächlich gegen Windräder hetzte – besonders, wenn diese im Wald errichtet werden sollten. Als RWE den letzten Rest des Hambacher Forsts für Braunkohle roden wollte, protestierte die Stiftung nicht, was Beobachtern verdächtig vorkam und letztendlich Vahrenholts Verbindungen zum Energiekonzern zutage förderte. Beim »Bürgergipfel«, einem Treffen rechtslibertärer, verschwörungsideologischer und klimaleugnender Akteure im September dieses Jahres in Stuttgart, trat Vahrenholt als Redner auf – und besuchte Vernunftkraft am Infostand des Vereins. 

Der Name »Deutsche Wildtier Stiftung« ist (zumindest zu Vahrenholts Zeiten) ein Beispiel für »Greenscamming«: Organisationen oder Produkte erhalten Bezeichnungen, die umweltfreundlich klingen, obwohl sie es nicht sind. Das Blog Tech4Future, den Canne in seinem Vortrag überschwänglich lobt, gehört ebenfalls dazu: Er hat, anders als der Titel vermuten lässt, keine Verbindungen zur Klimabewegung. Der Autor schreibt fast ausschließlich über die vermeintlich positiven Seiten der Atomkraft. Zur Frage, ob der Klimawandel das Ende der Menschheit bedeuten könnte, zitiert Tech4Future nicht etwa Klimawissenschaftler, sondern einen Philosophen, der das (jedenfalls im Jahr 2020) für nahezu ausgeschlossen hielt

Im Umfeld von Vernunftkraft gibt es weitere Beispiele wie den »Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern« (VLAB) oder der »Bundesverband Landschaftsschutz« (BLS). Beide schieben ihr Engagement für Naturschutz lediglich vor, um die Energiewende auszubremsen, während im Hintergrund Unternehmen die Fäden ziehen. Der Rechtsanwalt Thomas Mock, der im Umfeld von Vernunftkraft immer wieder auftaucht, beriet und vertrat für BLS Anti-Windkraft-Initiativen, während er gleichzeitig Cheflobbyist der Hydro Aluminium Deutschland GmbH war und sich als Vorsitzender der Initiative »Unser Revier – Unsere Zukunft an Rur und Erft« für die weitere Förderung und Nutzung von Braunkohle einsetzte. Diese Methode nennt sich »Astroturfing«: Bürgerbewegungen werden künstlich nachgeahmt, um zu verschleiern, dass eigentlich Unternehmen oder Lobbyverbände hinter dem Protest stecken. 

Nostalgiepolitik statt Renaissance

Auch die Kerntechnische Gesellschaft, eine Lobby-Organisation der Atomwirtschaft, unterhält gute Beziehungen zu Vernunftkraft. Das erklärt vielleicht, wieso es in Cannes Vortrag bei der Union Stiftung nur am Rande um Wind, dafür viel um Atom geht. Bei seiner gnadenlosen Abrechnung mit der deutschen Energiewende nimmt er es mit den Fakten nicht so genau: Die Präsentation ist gespickt mit irreführenden Grafiken, dubiosen Quellen und falsch interpretierten Daten. So zitiert Canne die »Wirtschaftsweise« Veronika Grimm, die 2022 höhere Strompreise durch den Atomausstieg prognostizierte. Eineinhalb Jahre, nachdem die letzten drei deutschen AKWs vom Netz gingen, liegen allerdings längst aktuelle Zahlen vor, die das Gegenteil zeigen. Immer wieder lobt Canne die Energiepolitik Frankreichs, die ganz auf Atomkraft setzt, ohne zu erwähnen, dass die französischen Strompreise durch Subventionen gedrückt werden und der Energiekonzern EDF 2022 verstaatlicht werden musste, weil er tief in den roten Zahlen steckt. Er kritisiert, dass Deutschland abhängig von Stromimporten sei, bauscht die Zahlen jedoch auf und lässt unter den Tisch fallen, dass Deutschland auch Uran, Kohle, Öl und Gas importieren muss. Der Gipfel der Falschbehauptungen: Laut Canne fordern mehrere französische Parteien inzwischen einen Stopp der Stromexporte nach Deutschland, weil unser Nachbarland die fehlgeleitete deutsche Energiepolitik nicht länger ausbaden wolle. Richtig ist, dass vor allem die französischen Rechten darüber fantasieren, komplett aus dem europäischen Stromhandel auszusteigen. In diesem (sehr unwahrscheinlichen) Fall drohen laut Ansicht von Experten Blackouts und höhere Preise – nicht in Deutschland, sondern Frankreich. 

Die Quintessenz von Cannes Vortrag: Atomkraft erlebt weltweit eine Renaissance, nur die Bundesrepublik ist bei diesem Thema ideologisch verblendet. Uwe Leprich, Professor für Volkswirtschaftslehre und -politik und Energieexperte an der HTW Saar, kann darüber nur lachen. Er zitiert Zahlen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA): Demnach gibt es auf der Welt aktuell nur 415 Atomreaktoren. Die Tendenz ist seit Jahren fallend, auch wenn derzeit 63 neue Reaktoren geplant sind. »29 davon in China«, erklärt Leprich. »Und in China bedeuten 29 Atomkraftwerke ein einstelliger Prozentbereich an der Stromerzeugung.« In Europa dagegen? »All diese Verlautbarungen der letzten Jahre, von Polen, Tschechien, Schweden, Holland – das ist alles bisher nur heiße Luft. Da ist nichts, aber auch gar nichts zu sehen.« Jetzt noch auf Atom zu setzen sei »reine Nostalgiepolitik«, zumal nur 31 von rund 200 Ländern überhaupt Atomkraft nutzen.

In europäische Projekte wie Hinkley Point (Großbritannien) und Flamanville (Frankreich) wurden Milliarden versenkt. Erst vor wenigen Tagen ging der neue französische Reaktor endlich ans Netz – zwölf Jahre später und mit 13,2 Milliarden Euro rund viermal teurer als geplant. Schon 2026 werden erste Reparaturarbeiten nötig: Die französische Atomenergiebehörde hat Schwachstellen am Stahl der Reaktorabdeckung entdeckt. Leprich ist sicher: Auf Frankreich mit seinen veralteten Meilern kommen in Zukunft große Probleme zu.

Mit Vernunftkraft hat Leprich, der selbst bei einer Veranstaltungsreihe in Baden-Württemberg über Windenergie informierte, schon Bekanntschaft gemacht. »Die tauchten da immer auf, hatten aber ein extrem schlechtes Standing, weil sie keine Alternative nennen konnten«, erzählt er. Das sei bei den Entscheidungsträgern nicht gut angekommen. Die harmlose Darstellung des Vereins durch die Union Stiftung findet der HTW-Professor »unterirdisch«.  

Interessant ist vor allem, was in Cannes Vortrag fehlt. Den Klimawandel – immerhin der Hauptgrund für die Energiewende – erwähnt er nur am Rande. Stromspeicher, die derzeit einen beispiellosen Boom erleben, handelt er knapp als zu teuer und unrealistisch ab, stellt dafür aber in Aussicht, dass »Small Modular Reactors« (SMR), also Miniatomkraftwerke, bald in Serie produziert und ans Netz gehen könnten. Die hohe Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas, die auf fatalen Fehlentscheidungen aus Groko-Zeiten beruht und maßgeblich für den Energiepreisschock infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine verantwortlich war, erwähnt Canne mit keinem Wort. 

Wind bringt Geld in die Kassen der Kommunen

Zeitsprung. Vor 31 Jahren war das Saarland noch Kohleland. Tausende Bergleute schufteten in den saarländischen Gruben, fünf Kraftwerke produzierten Strom, Schadstoffe und CO2. Und doch markiert der 20. November 1993 einen stillen Wendepunkt: An diesem Tag setzten Umweltschützer auf dem Trautzberg in Freisen den Spatenstich für die erste saarländische Windkraftanlage. Mit einer Nabenhöhe von 32 Metern und einer Leistung von 224 Kilowatt sollte sie jährlich 400.000 Kilowattstunden Strom liefern, was damals rechnerisch für 130 Haushalte reichte. Im Vergleich zu heute ist das fast niedlich: Die vier Windräder, die 2023 im Windpark Wintersteinchen (Mettlach) ans Netz gingen, haben jeweils 3,6 Megawatt Leistung. Jedes einzelne soll künftig fast 9 Millionen Kilowattstunden sauberen Strom pro Jahr produzieren. 

Diesen technischen Fortschritt konnte damals keiner der Anwesenden vorhersehen. Jo Leinen war einer davon. Der heute 76-Jährige war 1993 saarländischer Umweltminister unter Oskar Lafontaine, hat das Projekt in Freisen von Anfang an begleitet und als Anteilseigner mitfinanziert. »Die Stimmung für Windkraft war mal sehr positiv«, erinnert sich der SPD-Politiker und ehemalige Europaabgeordnete. »Ich glaube, das liegt auch daran, wie es gemacht wird.« Freisen war eine Art Bürgerwindpark, an dem sich auch die Gemeinde beteiligte. »Insofern gab es eine Verzahnung mit den Leuten vor Ort.« Der Nutzen der Windkraft sollte in den Kommunen bleiben, findet Leinen, dann klappt es auch mit der Akzeptanz. 

Eben diesen Ansatz verfolgt Heinrich Strößenreuther aus Berlin. Der Mitbegründer der »KlimaUnion« erregte Aufsehen durch seine »Osttour«, bei der er ab Sommer 2023 Kommunen in Ostdeutschland besuchte, um über die Vorteile der Energiewende aufzuklären. Er begleitete Bertram Fleck (CDU), Landrat a.D. aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis, der früh den Ausbau erneuerbarer Energien forcierte. Inzwischen erzeugt dieser Landkreis dreimal mehr Strom, als er selbst verbraucht und steht finanziell glänzend da. »Wir erzählen, wie man Klimapolitik verkauft, ohne das Wort Klima in den Mund zu nehmen, nämlich über das Thema lokale Wertschöpfung«, berichtet Strößenreuther. Viele bis dahin skeptische Lokalpolitiker konnte er so überzeugen – und zugleich beweisen, dass die Energiewende nicht am Parteibuch scheitern muss. Das aktuelle Liebäugeln der Union mit Atomkraft sieht Strößenreuther kritisch. »Wie kann man als Unternehmerpartei Unternehmen teuren Atomstrom zumuten, wenn es billigen Wind- und Solarstrom gibt? Mehr gibt es dazu doch nicht zu sagen.« 

Wenige Wochen nach diesem Gespräch zog Strößenreuther die Reißleine: Kurz vor dem Jahreswechsel verließ er die CDU und kündigte an, Bündnis90/Die Grünen beizutreten, denen er bereits 2015 angehörte. «In dem Ausmaß, wie CDU-Spitzenkräfte von Friedrich Merz über Jens Spahn bis Markus Söder zuletzt gegen Klimapolitik und gegen die Grünen gewettert haben, wurden rote Linien überschritten«, erklärte er gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Kanzlerkandidat Merz warf er in einem Focus-Interview vor, sich durch Öl-, Kohle- und Gasunternehmen beeinflussen zu lassen und bezüglich Kernkraft »Märchenschlösser« zu bauen.

Jo Leinen hat eine andere Erklärung dafür, wieso Windkraftgegner so oft Atomenergiefans sind. »Das ist ein Ablenkungsmanöver.« Das Gespräch findet zufällig in der Pause einer Videokonferenz statt, an der Leinen teilnimmt. Er ist Mitglied des Nationalen Begleitgremiums, das die Suche nach einem Atommüll-Endlager begleitet und sich regelmäßig online berät. 

»Die Abrissbirne der Energiewende«

Wenige Jahre nach dem historischen Spatenstich in Freisen kippte die Stimmung. Anti-Windkraft-Gruppen in der gesamten Bundesrepublik begannen, oft unterstützt von Vernunftkraft, Druck auszuüben. Politiker über fast das gesamte Parteienspektrum hinweg ließen sich davon beeindrucken, aber im Saarland war es vor allem einer, der für Windkraftgegner mehr als nur ein offenes Ohr hatte: Peter Altmaier, CDU.

Uwe Leprich nennt Altmaier »die Abrissbirne der Energiewende«, andere bezeichneten ihn schon als »Bremser«, »Saboteur« oder »Totengräber«. In seiner kurzen Amtszeit als Bundesumweltminister (2012 bis 2013) warnte er mehrfach vor einem zu schnellen Ausbau erneuerbarer Energien, strich die EEG-Förderung für Solarstrom zusammen und verursachte so den berüchtigten »Altmaier-Knick«. Schätzungen zufolge gingen so ab 2013 70.000 Arbeitsplätze in der deutschen Solarindustrie verloren. In seiner Amtszeit als Bundeswirtschaftsminister (2018 bis 2021) brach der Windkraft-Ausbau völlig ein: Wurden 2017 noch 1792 neue Anlagen in Betrieb genommen, waren es 2019 nur 325. In der Branche und bei Klimaschützern sorgte diese Entwicklung für helle Panik. 

Vernunftkraft hat beim Bundeswirtschaftsministerium schon lange einen Fuß in der Tür. Vereinsvorsitzender Nikolai Ziegler ist dort seit 2010 als Referent beschäftigt, zunächst in der Abteilung »Digital- und Innovationspolitik«, die nichts mit Energie zu tun hat. Allerdings vertrat er ab 2018 – also während Altmaiers Amtszeit – zeitweise den Referenten des parlamentarischen Staatssekretärs Thomas Bareiß (CDU), der unter anderem die Abteilung »Energiepolitik – Strom und Netze« unter sich hatte. Laut Recherchen von Greenpeace aus dem Jahr 2021 nutzte Ziegler für seine Vereinsarbeit sogar seinen Arbeitsrechner. Langfristige Konsequenzen hatten diese Enthüllungen für Ziegler offenbar nicht. 

2019 lud Altmaier zu einem »Windgipfel« im Wirtschaftsministerium um die Frage, wie sich die Akzeptanz für Windräder in der Bevölkerung erhöhen ließe. Zu diesem Treffen waren allerdings gleich mehrere Windkraftgegner eingeladen, die alle mit Vernunftkraft in Verbindung standen. Darunter auch der Saarländer Jacob Fuhrmann, der im Namen des Vereins eine Keynote halten durfte. Die zentrale Forderung – mehr Abstand zwischen Windrädern und Wohnbebauung – fand sich nur wenige Wochen später in mehreren Publikationen des Wirtschaftsministeriums wieder, konkret war von 1000 Metern Mindestabstand die Rede. Eine Vorgabe, die auf Bundesebene nie umgesetzt wurde, den Zubau aber massiv gebremst hätte.

Jacob Fuhrmann war und ist eine Schlüsselfigur der regionalen Anti-Windkraft-Szene. Wer im Saarland nach Infos über Windräder sucht, wird schnell über sein 2016 gegründetes Aktionsbündnis »Gegenwind Saarland« stoßen. Auf dem Blog nennt und verlinkt Fuhrmann insgesamt 28 regionale Initiativen. Viele davon sind offenbar nicht mehr aktiv, die zu Anfang erwähnte Sulzbacher BI ist der jüngste Zugang. Daneben teilt er regelmäßig Artikel, die sich fast ausnahmslos negativ mit der Energiewende auseinandersetzen. Besonders problematisch: Unter dem Reiter »Klimawandel« finden sich massenhaft Relativierungen, Fehlinterpretationen, kurz: Desinformation zur globalen Erhitzung. Gegenwind Saar kann für Saarländer, die sich wegen eines Windkraftprojekts in ihrer Gemeinde Sorgen machen, leicht zum Einfallstor in die krude Welt der Klimafaktenleugner werden. 

Altmaiers »Windgipfel« war nicht das erste Aufeinandertreffen zwischen dem CDU-Politiker und Fuhrmann. Unter der Überschrift »Kaffeekränzchen beim Minister« berichtete die taz bereits im März 2020 über das auffällig enge Verhältnis zwischen Altmaier und Windkraftgegnern. »Im Juli 2017 empfing Altmaier, damals Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts, ein halbes Dutzend Rotorgegner ganz ohne offizielles Tamtam«, heißt es dort. »Das Treffen wenige Wochen vor der Bundestagswahl stieg in Altmaiers Garten in Rehlingen-Siersburg.« 2018 kam es zu einem weiteren Besuch in Altmaiers Wahlkampfbüro. Dieses Mal war auch Detlef Ahlborn dabei, FDP-Politiker aus Hessen und zweiter Vorsitzender von Vernunftkraft. Und noch ein Mann lächelt von den Bildern, der wie kaum ein zweiter Windkraftgegner von der saarländischen Politik hofiert wird: Ulrich Leyhe.

Saarländische Naturschutzmedaille für Windkraftgegner

Leyhe hat sich als Vorsitzender des NABU Saarlouis/Dillingen mit seinem »Ökosee«-Projekt überregional einen Namen gemacht. In der saarländischen Naturschutzszene ist er inzwischen aber praktisch isoliert. Ein Grund dafür ist Leyhes Hass gegen Windräder und ihre Befürworter, die er immer wieder in den sozialen Medien auslebt. Ein Facebook-Disput mit Uta Sullenberger (damals Vorsitzende der saarländischen Grünen) um einen windkraftkritischen Text schaffte es 2022 sogar in die BILD Saarland. Seine Ausfälle spielen sich nicht nur auf seinem privaten Facebook-Account oder dem des NABU Saarlouis/Dillingen ab, der von Leyhe betreut wird: Er ist Admin der Gruppe »Die Saarbrücker Zeitung und ihre kritischen Leser«. Die Artikel, die dort – meist von Leyhe selbst – in der Vergangenheit zerrissen wurden, hatten fast ausschließlich Windkraft zum Thema. 

Auch der BUND wurde Ziel seiner Attacken – weil der Umweltverband im Saarland pro Windkraft eingestellt ist. »Natürlich unter Beachtung ökologischer Leitplanken«, betont Landesvorsitzender Christoph Hassel, der BUND habe sich deshalb in der Vergangenheit auch schon gegen Windkraft-Projekte ausgesprochen. Leyhe habe sich dadurch aber nicht besänftigen lassen: »Er warf uns vor, dass an unseren Händen das Blut von unzähligen toten Rotmilanen klebt.« Dabei haben Windräder laut Hassel zumindest im Saarland keinen negativen Einfluss auf die Vogelart: Der Bestand hat sich in den letzten Jahren sogar erholt, andere Faktoren wie die Landwirtschaft oder der Verkehr seien zudem eine viel größere Bedrohung für den Artenschutz. 

Bis heute ist Leyhe stimmberechtigtes Mitglied des Saarlouiser Beirats für Nachhaltigkeit, Ökologie und Verkehr (sowie dem Beirat für Stadtplanung und Bauen), durfte auf dem Deutschen Naturschutztag im September 2024 in Saarbrücken den Ökosee präsentieren und erhielt 2023 die Paul-Haffner-Naturschutzmedaille des saarländischen Umweltministeriums. Eine Entscheidung, die den BUND so ärgerte, dass der Verein der Verleihung fernblieb.

»Er warf uns vor, dass an unseren Händen das Blut von unzähligen toten Rotmilanen klebt.«
Christoph Hassel
Vorsitzender des BUND Saar

Leyhe pflegt auch Beziehungen zu anderen CDU-Politikern im Saarland. Unter der Überschrift »CDU Landtagsfraktion lud zum Auftaktgespräch« teilte Leyhe am 10. März 2023 auf seinem NABU-Account bei Facebook ein Bild, das ihn, Jacob Fuhrmann und weitere Windkraftgegner inmitten ranghoher saarländischer Christdemokraten zeigt. Zu sehen sind Marc Speicher, inzwischen Oberbürgermeister der Stadt Saarlouis, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Roland Theis, Julian Martin, Ute Mücklich-Heinrich und Stefan Thielen. Bis auf Speicher und Martin sitzen alle CDU-Politiker in Ausschüssen des Landtags, die sich mit Klima oder Energie befassen. Laut Leyhe ging es bei dem Besuch um die Frage, wie sich Klimaschutz umweltverträglich gestalten lässt. 

Für Henry Selzer ist Leyhe ein rotes Tuch. Selzer ist Gründungsmitglied der Saar-Grünen, verließ die Partei allerdings vor über 20 Jahren mitsamt dem Kreisvorstand Merzig-Wadern aus Protest gegen Hubert Ulrich. Selzer gründete die »Grüne alternative Liste« (GAL), vertritt sie im Gemeinderat Weiskirchen, ist außerdem Gründer und Vorsitzender der Bürgerenergiegenossenschaft Hochwald – und stieß in der Vergangenheit mehrfach mit Windkraftgegnern zusammen. Laut Selzer hat Peter Altmaier persönlich dafür gesorgt, dass Jacob Fuhrmann einen Sitz im (inzwischen abgeschafften) saarländischen Energiebeirat erhielt. »Vor sechs, sieben Jahren konnte man kurzfristig den Eindruck bekommen, dass es eine massive Antibewegung gibt«, sagt Selzer. Während seine Genossenschaft inzwischen über 1100 Mitglieder zähle, bestünde die Gegenseite nach Selzers Beobachtung aus immer denselben, wenigen Leuten, die zu Vorträgen und Bürgerinformationsveranstaltungen auftauchen. Leyhe, den Selzer noch aus den Anfangszeiten der Grünen kennt, mische meistens mit. Zwar habe Leyhe durchaus Verdienstvolles geleistet, sein konservativer Naturschutz-Begriff sei aber »fast sektiererisch«. 

Die Klimakrise hat in Leyhes Weltbild offenbar keinen Platz. Leyhe leugnet den anthropogenen Einfluss auf die globale Erhitzung, beharrt darauf, dass sich das Klima schon immer geändert habe und spricht von »Klimahysterie«. Das hinderte ihn nicht daran, im April 2019 bei einer Kundgebung von Fridays for Future in Saarlouis aufzutreten. »Wer von uns Naturschützern das Maul aufmacht, kann erleben, wie schnell man sogar in die rechte Ecke gestellt wird«, klagte Leyhe, sie würden »diskriminiert, attackiert, nicht ernst genommen, zurückgepiffen, totgeschwiegen«.

Selzer dagegen erinnert sich an eine Podiumsdiskussion zum Windkraftprojekt Hoxberg, die 2019 von den Freien Wählern in Saarwellingen veranstaltet wurde. Als Referenten sprachen neben Leyhe auch Fuhrmann und der 2010 in den Ruhestand verabschiedete Chef der TÜV Saarland, Jürgen Althoff. Althoff war zu dem Zeitpunkt AfD-Mitglied, gehört zu den Unterzeichnern des von Vernunftkraft initiierten »Johannisberger Appells« und bestritt auf der Bühne einen Zusammenhang zwischen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre und der globalen Temperatur. Schon während der Veranstaltung regte sich unter den Zuschauern Protest, doch als Selzer das Mikro ergreifen wollte, wurde es kurzerhand abgestellt und die Diskussion für beendet erklärt. »In der Beziehung sind die gnadenlos«, so Selzer trocken.

Eine weitere Veranstaltung blieb Selzer lebhaft im Gedächtnis – dieses Mal organisiert von der Linke-Fraktion des Landtags. 2016 trat Oskar Lafontaine zusammen mit Enoch zu Guttenberg im Saarlouiser Theater am Ring auf. Titel der Infoveranstaltung: »Naturschutz auf Kosten der Natur – Wie die saubere Energie unsere Umwelt zerstört«. Der inzwischen verstorbene Guttenberg hat einst den BUND mitgegründet, dann aber im Streit um Windräder verlassen. Vernunftkraft nennt ihn bis heute neben Vahrenholt als wichtigen Unterstützer des Vereins. Vor vollbesetztem Haus wetterte Guttenberg über das »perverse Thema«, das sich »wie ein eiserner Ring um seine Seele legt«, sprach von »schreienden Unrecht« und »Verbrechen des Staats«, rief zum »politischen Widerstand« auf und attackierte die Grünen und den BUND. »Das war schon heftig«, sagt Selzer noch acht Jahre später. Vernunftkraft äußerte sich in einem Bericht entzückt über die »vernünftigen Demokraten«, die »über alle weltanschaulichen Unterschiede hinweg« den Schulterschluss suchten.

Der Ursprung von Lafontaines Abneigung gegen Windräder ist für Ex-Genossen wie Jo Leinen kein Geheimnis. »Der Herr Lafontaine wohnt in Merzig-Silwingen und geht da oft spazieren«, berichtet Leinen. »Das ist natürlich ein gutes Gelände für Windanlagen, weil es wenig besiedelt ist und da oben durch die Höhe auch die Windhöffigkeit groß ist.« Auf Bundesebene ist Lafontaine bei seiner damaligen Partei mit diesem Thema schon 2014 angeeckt. Im Saarland hatte er aber die Linke hinter sich:  Windkraft wurde zum Kernstück des Landtagswahlkampfs 2017. Wenig überraschend: Auch Ehefrau Sahra Wagenknecht hat sich mit ihrer selbstbetitelten Partei inzwischen gegen Windkraft ausgesprochen. 

Vernunftkraft mischt im Wahlkampf mit

Als Kontaktperson für das Saarland nennt Vernunftkraft Horst Siegwart. Der Geschäftsführer der Delwo Metall GmbH (Neunkirchen) wohnt in Heusweiler und führt dort den Anti-Windkraft-Verein »Fröhner Wald«, der 2014 aus der gleichnamigen Bürgerinitiative hervorging. Die Website bietet neben pathetischen Zitaten (unter anderem von Mahatma Gandhi) längst widerlegte Infos zu gesundheitlichen Gefahren durch Windräder und verlinkt Organisationen mit ähnlicher Zielsetzung. Darunter auch die »Naturschutz-Initiative« mit Sitz in Quirnbach bei Kusel (Rheinland-Pfalz), die 2016 von ehemaligen Mitgliedern des BUND gegründet wurde, weil ihnen innerhalb des BUND der Einfluss der »Windkraft-Lobby« zu groß wurde. Der Verein führte Siegwart bis mindestens März 2024 als einen der Verantwortlichen für das Saarland. Inzwischen hat der Verein seine Website überarbeitet, Siegwarts Name taucht dort nun nicht mehr auf. 

Zweite Vorsitzende von »Fröhner Wald« ist Doris Luksic, die bis 2019 für die FDP im Gemeinderat Heusweiler saß – gemeinsam mit ihrem politisch deutlich ambitionierteren Sohn. Oliver Luksic trat im Jahr 2000 in die FDP ein, ist seit 2011 Vorsitzender der FDP Saar und schaffte dreimal den Sprung in den Bundestag. 2021 wurde er unter Volker Wissing Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, trat jedoch nach dem Scheitern der Ampel-Koalition im November dieses Jahres zurück.

Es ist wahrscheinlich, dass sich Luksic und Vernunftkraft-Sprecher Christoph Canne persönlich kennen. Denn: Der »parteipolitisch neutrale« Canne war in den Neunziger Jahren für die FDP Wallerfangen aktiv und bekleidete bis nach der Jahrtausendwende verschiedene Ämter bei den Liberalen im Landkreis Saarlouis. Ein Tweet, den Canne am 8. November 2024 absetzte, legt nahe, dass er bis mindestens Ende 2021 FDP-Mitglied blieb.  

Wenn Luksic über »grüne Verbotspolitik« wettert, in seinem Buch »Die Angst-Unternehmer« (2019) Klimaaktivisten totalitäre Tendenzen unterstellt oder das Umweltbundesamt kritisiert, klingt er nicht gerade wie ein passionierter Naturschützer. Bei Windkraft dagegen könnte man laut eines Berichts der Saarbrücker Zeitung aus dem Gemeinderat Heusweiler aus dem Jahr 2016 »fast glauben (…), FDP-Fraktionsvorsitzender Oliver Luksic strebe eine zweite Karriere als Vogelflüsterer an«. 2014 sprach er von »massiven, dauerhaften Eingriffen in die Landschaft« und machte Windenergie in Heusweiler zum Hauptthema der Kommunalwahl im selben Jahr. Unter seiner Führung trommelte die Saar-FDP auch zur Landtagswahl 2017 gegen Windräder. Zwar wolle die FDP langfristig erneuerbare Energien ausbauen, heißt es im damaligen Wahlprogramm. Windkraftanlagen sollten jedoch nur dort zugelassen werden, »wo dies auf Zustimmung der ansässigen Bevölkerung stößt«. Die Partei forderte »landeseinheitliche Abstände bis zum 10fachen der Nabenhöhe bei der Ausweisung neuer Gebiete«. Eine ähnliche Regelung hat im nur halb so dicht besiedelten Bayern den Windkraft-Ausbau ab 2014 fast vollständig zum Erliegen gebracht. Inzwischen hat der Freistaat im Ländervergleich einen immensen Nachholbedarf, was für die regionale Wirtschaft immer mehr zum Standortrisiko wird.

Die FDP-nahe Stiftung Villa Lessing rollte Windkraftgegnern gleich mehrfach den roten Teppich aus. 2015 gab sich Jochen Bellebaum von der Deutschen Wildtier Stiftung die Ehre. Mit auf dem Podium: Oliver Luksic. Unter dem Titel »Windkraft außer Kontrolle! Wie die Energiewende unsere Heimat zerstört« war im März 2017 sogar Fritz Vahrenholt persönlich als Referent in der Villa zu Gast – zusammen mit Detlef Ahlborn. Ahlborn war 2015 schon bei »Fröhner Wald« aufgetreten und besuchte das Saarland auf Einladung der FDP rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2017 erneut. In Wadgassen, wo damals die »Bürgerinitiative zum Schutz des Wadgasser Waldes« aktiv war, sprach er zusammen mit Landesvorsitzenden Luksic. Wenige Tage zuvor hatte die BI an einer Mahnwache teilgenommen, die von Gegenwind Saar anlässlich eines Wahlkampfauftritts des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz in Saarlouis veranstaltet wurde. Ein Bild, das bis heute auf der Website der BI abrufbar ist, zeigt Luksic lächelnd vor einem großen Transparent (»Keine Stimme für Windkraft-Befürworter!«). Auch auf dem Foto: Ulrich Leyhe.

Windkraftgegner im saarländischen Landtag

Der permanente Druck der Windkraftgegner zeigte in mehrfacher Hinsicht Wirkung. Der BUND-Vorsitzende Hassel berichtet, wie er selbst zur Zielscheibe von Hass und Hetze wurde. Windkraftgegner wünschten ihm in den sozialen Medien den Tod, bei einer Anti-Windkraft-Veranstaltungen wurde er öffentlich als »stinkender Bär« beleidigt. »Das hat man mir jedenfalls glaubhaft versichert«, sagt Hassel, er selbst besuche solche Veranstaltungen nicht. Als er sich für Windräder im Ostertal einsetzte, sei er sogar persönlich bedroht worden: »Ich soll aufpassen, wenn ich alleine mit meinem Rad unterwegs bin – es gäbe genug Leute, die mich ‚wegknipsen‘ wollen.«

Vor der Landtagswahl am 26. März 2017 gaben vier Prozent der Saarländer an, dass sie ihre Wahlentscheidung von der Position der Parteien zu Windkraft abhängig machen wollen. Die windkraftkritische CDU errang mit 40,7 Prozent der Stimmen die Mehrheit und bildete mit der SPD (29,6 Prozent) eine Koalition. Letztere war bis dato zwar pro Windkraft eingestellt, musste in den Koalitionsverhandlungen aber Zugeständnisse machen. Um das Aufregerthema »Windräder im Wald« auszuräumen, einigten sich beide Parteien im Koalitionsvertrag auf eine Änderung des Landeswaldgesetzes, um unter anderem den Ausbau im »historisch alten Staatswald« zu unterbinden. Bevor es soweit war, stand allerdings eine Expertenanhörung vor dem Ausschuss für Umwelt und Verbraucherschutz an, bei der sich die Windkraftgegner laut Protokoll gegenseitig die Klinke in die Hand gaben.

Der Biologe Klaus Richarz vertrat Fritz Vahrenholts Deutsche Wildtier Stiftung und begrüßte den Gesetzesentwurf »außerordentlich«. Als nächstes sprach Harry Neumann, Landesvorsitzender der Naturschutz-Initiative, der erklärte, dass nicht nur »der sogenannte Klimaschutz« von öffentlichem Interesse sei. Als Vertreter von Gegenwind Saar trat Ulrich Leyhe auf, der den Gesetzesentwurf im Namen der Initiative »uneingeschränkt« unterstützte. 

Unter den schriftlichen Stellungnahmen findet sich auch eine von Michael Elicker. Der Rechtsanwalt vertritt regelmäßig die AfD im Saarland und im Bund, wurde 2023 Vorsitzender der zweiten Kammer des Landesschiedsgerichts, wird sowohl von Vernunftkraft als auch EIKE als Experte zitiert und trat mehrfach als Rechtsbeistand für Anti-Windkraft-BIs in Erscheinung – mitunter begleitet von großem Getöse. So lud im Frühjahr 2016 die Bürgerinitiative gegen Windkraft in Lautenbach (Stadt Ottweiler) zu einer Pressekonferenz, auf der Elicker als Rechtsberater eine Strafanzeige unter anderem gegen Ottweilers Bürgermeister Holger Schäfer (CDU) ankündigte. Der Vorwurf: Bei der Änderung des Flächennutzungsplans sei es zu Vorgängen gekommen, die den Tatbestand der Bestechlichkeit oder Vorteilsnahme erfüllen. Haltlos, befand die Staatsanwaltschaft Saarbrücken und stellte die Ermittlungen ein.  Für die BI wurde dieser öffentlichkeitswirksame Auftritt allerdings zum Bumerang: Rund ein Jahr später wurde einem entlassenen Mitarbeiter des Umweltministeriums Geheimnisverrat vorgeworfen, da er vertrauliche Protokolle des Ministeriums zum Thema Windkraft an die BI weitergereicht haben soll. Im Zuge der Affäre wurde auch die Wohnung des BI-Vorsitzenden durchsucht.

In seinem scharf formulierten Statement zum Landeswaldgesetz schreibt Elicker von einer »subventionsgetriebenen Windradindustrie«, plädiert für eine Ausweitung des Verbots auf den gesamten saarländischen Wald und lehnt Ausnahmeregelungen (beispielsweise bei besonders windhöffigen Standorten) kategorisch ab. 

Kritisch äußerten sich Branchenvertreter wie die ABO Wind gegenüber dem Gesetzesentwurf, aber auch der saarländische BUND. Die Argumente: Das Gesetz gefährde die Klimaziele, stelle eine eindeutige Benachteiligung von Windkraftanlagen dar, während andere Bauvorhaben wie Straßen oder auch die Erweiterung eines Golfplatzes weiterhin erlaubt seien und werfe die Frage auf, wieso nur Wald im Landesbesitz besonders geschützt werden müsse, Wald in kommunaler Hand oder im Privatbesitz aber nicht. Zudem sei der Begriff »historisch alter Wald« irreführend: Er bezieht sich auf Gebiete, wo laut Aufzeichnungen im Jahr 1817 Wald stand. Dabei wurde jedoch nicht berücksichtigt, ob dieser ökologisch wertvoll ist oder wie er in der Zwischenzeit bewirtschaftet wurde. Das Gesetz schütze sogar Fichten-Monokulturen oder Waldstandorte, die in den letzten 200 Jahren mehrfach gerodet und wieder aufgeforstet wurden, betonten die Experten. 

Am Ende änderte der Landtag das Landeswaldgesetz trotzdem. 

Verlorene Jahre für den Klimaschutz

Es kam genau so, wie es die Gegner der Gesetzesänderung vorhergesagt hatten. Das Gesetz, das eigentlich die Natur schützen sollte, wurde zum Bremsklotz für die Energiewende. Den Regionalverband Saarbrücken traf es besonders hart, weil er eine Sonderrolle innehat: Normalerweise entscheiden die saarländischen Städte und Gemeinden selbst, ob und wo sie Flächen für Windräder ausweisen, nur der Regionalverband übernimmt diese Flächennutzungsplanung für die zehn ihm unterstehenden Kommunen (darunter auch die Stadt Sulzbach). 

Keine leichte Aufgabe, da der Regionalverband groß und dicht besiedelt ist. In einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2015 wird die Windkraftplanung als »eines der größten Planungsprojekte in der über 40-jährigen Geschichte des Regionalverbandes« bezeichnet. Der scheidende Regionalverbandsdirektor Peter Gillo (SPD) spricht im Rückblick von einem »wirklich sehr, sehr aufwändigen Verfahren«, das sich über Jahre hinzog. Dabei wurde Kartenmaterial gewälzt, ökologische Gutachten eingeholt, Untersuchungen angestellt, Anhörungen angesetzt, langwierige Diskussionen zu Mindestabständen und Lärmschutz geführt. Wertvolle Biotope kamen als Standorte ebenso wenig in Frage wie die Umgebung rund um den Flughafen Saarbrücken-Ensheim. »Wir wollten einfach einen rechtssicheren Plan verabschieden und haben das auch geschafft«, sagt Gillo heute. »Und dann, kaum fertig, hat uns die Änderung des Landeswaldgesetzes einen Strich durch die Rechnung gemacht.« Rund die Hälfte der möglichen Flächen im Regionalverband waren plötzlich tabu. Ein Großteil der Arbeit wurde so mit einem Schlag zunichte gemacht.

Gillo, der am 31. Dezember 2024 in den Ruhestand geht, war 15 Jahre lang Verwaltungschef des größten saarländischen Landkreises. Doch die Entscheidung der neuen Landesregierung habe ihn und den Regionalverband 2017 »kalt erwischt«. Zu keinem Zeitpunkt sei er um seine Einschätzung gebeten worden. Aus seiner Sicht habe sich die CDU damit Ärger vom Hals schaffen wollen. »Aber so geht das nicht.« Natürlich stelle der Bau eines Windrades einen Eingriff in die Natur dar, Zielkonflikte müssten immer sorgfältig abgewogen werden. Aber die Gesetzesänderungen seien »völlig willkürlich« gewesen. Davor hätten im Regionalverband 17 bis 23 Windkraftanlagen errichtet werden können, danach nur noch zehn bis 14. In den sieben Jahren, die seitdem vergangen sind, wurden davon erst vier Anlagen gebaut. »Das kommt ja noch dazu: Nur, weil man eine geeignete Fläche für Windräder hat, kann man nicht davon ausgehen, dass ein Projekt auch realisiert wird«, sagt Gillo. Dabei sei inzwischen doch deutlicher denn je, dass Deutschland, Europa und die Welt »dieser Wahnsinns-Klimaentwicklung« mit dem Ausbau erneuerbarer Energien etwas entgegensetzen müssen.  

Der Windkraft-Ausbau brach nach 2017 völlig ein. Wurden in dem Jahr noch 36 Anlagen im Saarland errichtet, waren es 2018 nur 21, 2019 sogar nur zwei.

Quelle: Bundesverband Windenergie

Erst 2024 hat die SPD-Landesregierung die Fehlentscheidung der Groko korrigiert: Der Passus »historisch alter Wald« wurde durch Kriterien zum Schutz von Wäldern ersetzt, die tatsächlich einen hohen ökologischen Wert besitzen. Windenergieanlagen werden im Gesetzestext nicht mehr erwähnt. 

Das geschah jedoch nicht »nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit«, wie es auf einem Flyer der Sulzbacher BI heißt, sondern wurde von heftigen Debatten im Landtag und ausführlicher Berichterstattung begleitet. Es sind Falschbehauptungen wie diese, die eine konstruktive Diskussion um die tatsächlichen Herausforderungen der Energiewende bis heute behindern. Bürger haben in unserer Demokratie das Recht, sich einzubringen. Ihr Protest sollte aber auf Fakten basieren – und nicht gesteuert werden durch Lobbygruppen mit ganz eigener Agenda. 

Bei allem Ärger in der Vergangenheit klingt Henry Selzer heute dennoch gelassen. Er ist überzeugt: Die Energiewende ist nicht mehr aufzuhalten. »Die Zeit arbeitet gegen die Windkraftgegner.« Und was den erbitterten Widerstand mancher Parteien gegen erneuerbare Energien angeht, hat HTW-Professor Uwe Leprich seine eigene Theorie. »Die wollten halt immer nur Atom und Kohle«, sagt er, »und haben nicht verwunden, dass sie in diesem Kampf verloren haben.«

Dieser Text erschien in gekürzter Form in Ausgabe 130 der Saarbrücker Hefte (Winter 2024/2025). Das Heft kann hier bestellt werden. Mit einer Spende an Saarbrücker Hefte e.V. unterstützen Sie eine der ältesten noch aktiven saarländischen Zeitschriften und leisten einen Beitrag zur Pressevielfalt in der Region.

Quellen (Auswahl):

Medienberichte:

ARD: Kampf ums Klima

Bayrischer Rundfunk: Wie zwei Wissenschaftler einen kapitalen Fehler entdeckten

Correctiv: Die Heartland-Lobby

Frankfurter Rundschau: Das Geschäft mit der Angst

Kontext-Wochenzeitung: Gekränkte Randfiguren

Kontext-Wochenzeitung: Kohle für Wildtierschützer

MDR: Aktiv gegen Klimaschutz – die Klimawandel-Leugner aus Thüringen

NZZ: Der Klimakrieg: Ein internationales Netz von Klimaskeptikern greift Forscher an

Quarks: Bringen Windräder Tod und Krankheit? Der Fall „Vernunftkraft“

Quarks: Der Fall EIKE: So dreist tricksen Klimawandel-Leugner:innen

Spektrum.de: Gibt es eine Renaissance der Kernkraft?

Spiegel: Die Anti-Windkraft-Bewegung

Spiegel: Wie ExxonMobil Zweifel an Klima-Forschung streute

Süddeutsche Zeitung: Wenn der Wind sich dreht

Tagesspiegel: Das Netzwerk der Klimaleugner

taz: Kaffeekränzchen beim Minister

taz: Keine Auskunft zum Windkraftgegner

taz: Sammelbecken der Klimaskeptiker

WDR: Klimawandel und Sommerhitze: Die Gegner machen mobil

Zeit Online: Viel Lärm um nichts

Zeit Online: Die große Flaute

Andere:

Lobbypedia: Bundesinitiative Vernunftkraft

Lobbypedia: Europäisches Institut für Klima und Energie (EIKE)

Lobbypedia: Heartland Institute

Energiewende.eu: Das Netzwerk zur Verhinderung der Energiewende in Deutschland

Greenpeace: Die Gegner der Energiewende (PDF)

Umweltbundesamt: Und sie erwärmt sich doch (PDF)

Klimafakten.de: Nicht ich. Nicht jetzt. Nicht so. Zu spät. Mit welchen Argumentationsmustern Klimaschutz ausgebremst wird

Eva Stegen: Marionetten der Fossilwirtschaft (PDF)

Irma Kreiten: Die unerträgliche Zufälligkeit der Kernkraftbefürwortung

Volksverpetzer: Das Fake-Klimainstitut EIKE & die AfD

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