Stalins Schatten an der Saar


Die Kommunistische Partei Saar – KPS 1935–1955

Von Erich Später

Am Anfang war Versailles

Der Friedensvertrag von Versailles zwischen den alliierten Siegermächten und dem Deutschen Reich vom Juni 1919 beendete den Ersten Weltkrieg. Deutschlands Status als Großmacht blieb trotz Gebietsverlusten, der Abrüstung und der Auferlegung von Entschädigungszahlungen erhalten. Der Vertrag legte fest, dass das neu zu bildende »Saargebiet« 15 Jahre lang einer Regierungskommission des neugeschaffenen »Völkerbundes«, einem Vorläufer der UNO mit Sitz in Genf, unterstellt blieb. Als ökonomische Kompensation für die fast völlige Zerstörung seiner nördlichen und östlichen Départments, wo der Krieg an der Westfront von 1914 bis 1918 mit unvorstellbarer Gewalt ausgetragen wurde, erhielt Frankreich die dem preußischen Staat gehörenden Saargruben mit etwa 70.000 Beschäftigten.

Das am 10. Januar 1920 in Kraft tretende Saarstatut schuf das »Saargebiet« als ein neues politisches Gebilde. Das Industriegebiet und die Siedlungsräume der Arbeiterschaft wurden vom preußischen und bayerischen Teil des Deutschen Reiches abgetrennt. Das Gebiet umfasste fast 2.000 km² mit 800.000 Einwohnern. Es waren die sozialen Umwälzungen der Agrarrevolution und der Industrialisierung, die das Gebiet seit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 zum Saarrevier transformierten. Es entstand ein industrielles Ballungsgebiet, in dem Arbeiterparteien und Gewerkschaften bis 1918 unerwünscht waren. Der preußische Militärstaat und die Eigentümer der großen Hüttenwerke, die Familienclans der Stumms und Röchlings, bekämpften Gewerkschaften und die SPD mit allen Mitteln der sozialen und politischen Repression. Das Land wurde als »Saarabien« bezeichnet, um den Despotismus und die staatliche Unterdrückung der Bevölkerung zu kennzeichnen. Die Einübung von Gehorsam und Unterordnung unter die Herren, eine Kultur der Angst und des Konformismus, durchzogen die gesellschaftliche Struktur des Saargebiets über Generationen. Die Familienclans der Röchlings und Stumms hatten während des Krieges zur Fraktion der radikalen Imperialisten gehört, die den Griff Deutschlands nach der Weltmacht forderten. Dieser scheiterte mit dem militärischen Zusammenbruch der deutschen Armeen und dem revolutionären Sturz der Hohenzollernmonarchie im November 1918. Die saarländische Bevölkerung erkämpfte sich das Recht, Gewerkschaften und Parteien zu bilden. Die kommunale Selbstverwaltung und das Frauenwahlrecht wurden eingeführt. Bis 1935 blieb die katholische Zentrumspartei mit fast 50 Prozent der WählerInnen-Stimmen die führende politische Kraft im Saargebiet. Die Kommunisten und Sozialdemokraten repräsentierten nie mehr als etwa 30 Prozent der Bevölkerung.

Klassenkampf fürs Vaterland

Die KP des Saargebiets verfügte 1932 über 5.000 Mitglieder und erzielte bei den letzten freien Landesratswahlen 1932 über 23 Prozent der Stimmen. Das war auch im Vergleich zu KP-Hochburgen in Deutschland ein Spitzenergebnis. Dazu sicher beigetragen hatten die radikalen nationalistischen Forderungen der Partei, mit denen sie im Wahlkampf auf Stimmenfang ging. Der Kampf gegen den »Raubvertrag von Versailles«, Hass auf Frankreich, Feindschaft zum Völkerbund und ein auf das Bekenntnis zur Sowjetunion reduzierter Internationalismus waren populäre Denkmuster. Die Streikkämpfe und Kampagnen, die die Partei gegen die wachsende Verelendung der Bevölkerung in der seit 1929 herrschenden Weltwirtschaftskrise führte, wurden als »Klassenkampf für das Vaterland« geführt. Die saarländische Sozialdemokratie und autonomistische Gruppen, die für die Verständigung mit Frankreich eintraten und an die vollständige Zerstörung eines Teils des Landes durch deutsche Truppen während des Krieges erinnerten, wurden als besonders gefährliche Faschisten bekämpft. Man genierte sich nicht, für das Selbstbestimmungsrecht Elsass-Lothringens einzutreten und dessen Recht auf Lostrennung vom imperialistischen Frankreich zu propagieren. »Wenn auch die völkischen ›Blut und Boden‹-Begründungen fehlten«, urteilt der Historiker Klaus-Michael Mallmann, »so hatte die KP im Saargebiet damit doch in großen Zügen das spätere Programm der Deutschen Front im eigenen Lager hoffähig gemacht.« Volk und Nation – nicht Demokratie und Republik – waren zum Bezugspunkt geworden.

Deutsch ist die Saar

Die Zeit der Völkerbunds-Verwaltung wurde im Versailler Vertrag auf 15 Jahre festgelegt. Nach Ablauf dieser Zeit sollte eine Volksabstimmung über die weitere Zugehörigkeit des Landes entscheiden. Zur Abstimmung standen drei Möglichkeiten: Anschluss an Frankreich oder an Deutschland oder die Beibehaltung der Völkerbunds-Verwaltung, »Status Quo« genannt. Bis 1933 war bei fast allen Parteien das zukünftige Votum für die demokratische bürgerliche Republik von Weimar unumstritten.

Dies änderte sich radikal mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten und ihren Führer Adolf Hitler am 30. Januar 1933. Der einsetzende Massenterror gegen die Arbeiterbewegung veränderte die politische Situation schlagartig. Es war der Führer der kleinen, militanten saarländischen Sozialdemokratie Max Braun, der sich von Anfang an Nazi-Deutschland entgegenstellte und das Saargebiet als letzte Bastion der Demokratie und Menschenwürde verteidigen wollte. Braun war in großen Teilen der Bevölkerung verhasst, weil er und die saarländischen Sozialdemokraten zur Versöhnung und Freundschaft mit Frankreich aufriefen, sich dem wachsenden Hass auf die jüdischen Saarländer entgegenstellten und nicht zu Zugeständnissen an den radikalen deutschen Nationalismus an der Saar bereit waren.

Die Führung der KPS zog wie die Mutterpartei zunächst keinerlei politische Konsequenzen aus der vernichtenden Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung und der Demokratie im Frühjahr 1933. Die Zerschlagung der KPD, die Inhaftierung Tausender und die Ermordung Hunderter Kommunisten, die trotz des militanten Auftretens und der revolutionären Rhetorik ohne nennenswerte Gegenwehr erfolgten, war für die KPD kein Anlass, ihre Revolutionsstrategie zu überdenken, in der die Sozialdemokraten und die bürgerliche Republik als Haupthindernis auf dem Weg nach »Sowjetdeutschland« mit allen Mitteln bekämpft wurden. Noch Ende Mai 1933, als die Herrschaft der Nazis in Deutschland bereits gefestigt war, erklärte die Parteiführung der KPD, dass von einer Niederlage nicht die Rede sein könnte. Auch die Bezirksleitung Saar folgte weiter den Berliner und Moskauer Direktiven und leugnete die tödliche Bedrohung der saarländischen Arbeiterbewegung und der Demokratie angesichts des wahrscheinlichen Anschlusses des Landes an Hitler-Deutschland im Jahr 1935. Die saarländischen Kommunisten forderten die Bevölkerung noch Mitte 1933 dazu auf, angesichts der bevorstehenden Abstimmung »Für ein rotes Saargebiet in einem sozialistischen Rätedeutschland« einzutreten. Die Wahlempfehlung hatte den kleinen Nachteil, dass sie nicht auf dem Wahlzettel vertreten war.

Mobilisierung der deutschen Nationalisten in der Tageszeitung der KP Landesverband Saar im Landtagswahlkampf 1952.

Bildung der Einheitsfront

Wegen dieser Realitätsverweigerung kam es zum Massenexodus aus der Partei. Etliche Funktionäre und kommunale Mandatsträger erklären 1933 und 1934 ihren Übertritt zur Deutschen Front. Dieses Abbröckeln der Widerstandsfront traf auch die Sozialdemokraten. Aber aufgrund ihrer internationalistischen Tradition unter Max Braun nicht in diesem Ausmaß. Angesichts dieser politischen Katastrophe revoltierte die verbliebene militante Anhängerschaft in den kommunistischen Hochburgen. In Dillingen und Dudweiler schlossen die Kommunisten im Dezember 1933, ohne sich um die Parteilinie zu kümmern, antifaschistische Bündnisse mit der SPD. »Die Kommunisten werden 1935 mit allen Mitteln dagegen kämpfen, dass der Hitler-Terror in das Saargebiet kommt«, erklärte der Vorsitzende des stärksten KP-Ortsvereins Dudweiler, August Hey, im Dezember 1933, »man mag uns dabei Separatisten oder Vaterlandsverräter schimpfen.«

Aber erst nachdem die sowjetische Partei ihre Zustimmung gegeben hatte, weil das Land selbst nun ein Bündnis mit den Westmächten suchte, 1934 spektakulär in den Völkerbund eintrat und Hitler-Deutschland als Feind der Sowjetunion bezeichnete, konnten im Juni 1934 Max Braun und der neu ernannte Vorsitzende der KP, Fritz Pfordt, die antifaschistische Einheitsfront gegen den Anschluss an Nazi-Deutschland schließen. Am 4. Juli 1934 verabschiedeten beide Parteien einen gemeinsamen Aufruf »An das Saarvolk«, der zur Verteidigung der Demokratie und der Eigenständigkeit des Saargebiets aufrief.

Auch ein kleiner Teil des politischen Katholizismus unter der Führung des Journalisten Johannes Hoffmann, der eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten ablehnte, forderte die SaarländerInnen auf, am 13. Januar für den »Status Quo« zu stimmen.

Die vernichtende Niederlage

Die saarländische NSDAP, die bei den Wahlen 1932 nur 8 Prozent der Stimmen erzielte, wurde nach dem 30. Januar 1933 zur dominierenden politischen Kraft. Das katholische Zentrum und die liberalen Parteien, die evangelische Kirche und die kulturellen Organisationen des »Deutschtums« schlossen sich der von den Nazis kontrollierten »Deutschen Front« an, die auf dem Höhepunkt ihrer Mobilisierung fast 600.000 Mitglieder zählte. Darunter als Funktionäre die späteren saarländischen Ministerpräsidenten Heinrich Welsch, Hubert Ney, Egon Reinert und Franz-Josef Röder. Im Verlauf des Jahres 1934 reduzierte sich die Anhängerschaft der militanten Antifaschisten trotz Einheitsfront und großer internationaler Unterstützung auf den organisatorischen Kern der Arbeiterparteien und den kleinen Kreis der Hoffmann-Anhänger.

90 Prozent der Saarländerinnen entschieden sich am 13. Januar 1935 dafür, zukünftig als Deutsche in Adolf Hitlers Volksgemeinschaft zu leben. Nur 50.000 Menschen, 9 Prozent der Wähler, votierten gegen Hitler und für den Erhalt der Demokratie, der Menschenwürde und der Selbstständigkeit des Landes. Die Arbeiterparteien hatten zwei Drittel ihrer Wähler von 1932 an die »Deutsche Front« verloren. Deren Anhänger verwandelten sich nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses in vielen saarländischen Gemeinden in Pogrommeuten, die alle Feinde Deutschlands mit dem Tod bedrohten. Galgen werden errichtet, an denen Puppen mit den Namen von Pfordt und Braun hingen.

Unmittelbar bedroht waren auch die 5.000 saarländischen Jüdinnen und Juden, die zum großen Teil das Land verließen und von denen etwa 2.000 Menschen in den Jahren 1942 bis 1945 der Shoah zum Opfer fielen. Allein in Auschwitz wurden dreihundert SaarländerInnen ermordet.

Exil und Widerstand

Fast 6.000 Menschen flüchteten 1935 aus dem Land und fanden zumeist menschenwürdige Lebensbedingungen in der französischen Republik. Die SaarländerInnen erhielten einen rechtlich abgesicherten Status als politische Flüchtlinge, den sogenannten Nansen-Pass des Völkerbundes. Max Braun, der das Abkommen mit der französischen Regierung aushandelte, musste wie Johannes Hoffmann nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 in Frankreich erneut fliehen. Er konnte London erreichen. Hoffmann gelang die Flucht nach Brasilien. Hunderte Sozialisten und Kommunisten lebten nach der deutschen Besetzung Frankreichs im Untergrund, schlossen sich dem französischen Widerstand an und beteiligten sich 1944 vor allem an der Befreiung von 28 Départements des südlichen Frankreichs durch Formationen der Résistance. Viele starben an den Fronten des antifaschistischen Krieges, im Untergrund, in Gefängnissen und Konzentrationslagern und erlebten die Zerschlagung der Nazi-Herrschaft im März 1945 in ihrem Land nicht mehr. Max Braun starb in London am 3. Juli 1945 kurz vor seiner Rückkehr nach Saarbrücken.

Die saarländischen Antifaschisten und ihr Staat

Am 11. Juli 1945 hissten französische Truppen die Trikolore auf dem Saarbrücker Rathausturm. Sie ersetzten die amerikanischen Truppen, die Hitlers Wehrmacht in erbitterten Kämpfen um die »Saarfestung« zerschlagen und das zerstörte Saarbrücken am 21. März 1945 besetzt hatten. Der deutsche Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug der Jahre 1939 bis 1945 hatte Zehntausenden Saarländern das Leben gekostet. »Deutsch bis zum Grab«, so die gern gesungene Strophe aus der Hymne der Nazis »Deutsch ist die Saar« hatte sich bewahrheitet. Der französische Verzicht auf Demontagen der Schwerindustrie sowie die Lebensmittelrationen, die denen der französischen Bevölkerung entsprachen, machten es für den Massenanhang der »Deutschen Front« leichter, sich nun als »Saarfranzosen« zu kostümieren und auf bessere Zeiten zu warten. Die Führungsfunktionen der 1946 neu zugelassenen Parteien – Sozialdemokratische Partei Saar (SPS), Christliche Volkspartei (CVP) und Kommunistische Partei Saar (KPS) – wurden fast ausschließlich von militanten Widerstandskämpfern besetzt.

Zum ersten Ministerpräsidenten des Landes wählte eine Koalition von SPS und CVP 1947 Johannes Hoffmann. Das Justizministerium wurde von Heinz Braun, dem Bruder von Max, übernommen. Arbeits- und Sozialminister wurde der Sozialdemokrat Richard Kirn, der von der »Roten Armee« 1945 aus dem Zuchthaus Brandenburg befreit worden war.

Die am 15. Dezember 1947 verabschiedete saarländische Verfassung war die Antwort der sozialistischen und katholischen Widerstandskämpfer auf Deutschlands politischen und moralischen Bankrott an der Saar. Der deutsche Staat existierte nicht mehr. Die oberste Regierungsgewalt lag in den Händen der Siegermächte. Ein Programm staatlicher Autonomie, die Schaffung einer demokratischen und sozialen Republik und die enge ökonomische Anbindung an das republikanische Frankreich sowie die politische Utopie, das Saarland zu einer Keimzelle der damals noch kaum vorstellbaren Europäischen Union zu machen, zeigen den Wunsch der saarländischen Antifaschisten nach einem radikalen politischen Neubeginn. Dieser musste sich allerdings der Tatsache stellen, dass Hitler an der Saar nicht politisch besiegt wurde. Für eine politische und juristische Abrechnung aus eigener Kraft mit dem NS-Regime und seinem Massenanhang fehlte den Antifaschisten an der Saar die politische und militärische Macht.

Die Neugründung der KP 1946

Auch die überlebenden saarländischen Kommunisten kehrten aus dem französischen Exil, den Zuchthäusern und Lagern im Verlauf des Jahres 1945 zurück. Von den etwa 2.000 Mitgliedern der Partei im Jahr 1934 wurden mindestens 567 in den Jahren 1935 bis 1945 verhaftet und zu Zuchthaus und Konzentrationslager verurteilt. Mindestens 110 KP-Mitglieder kamen gewaltsam ums Leben. Nicht mitgezählt sind in dieser Bilanz die Mitglieder der Vorfeldorganisationen, wie etwa der Jugendverband.

»Die Kommunisten, die 1945 aus Haft oder Exil Heimgekehrten fanden oft in jeder Beziehung nur noch Trümmer vor … vielfach waren sie völlig verarmt, besaßen keinerlei Hausrat und kaum Kleidung, leben notdürftig in Wohnungen internierter Nazis oder in ›Wellblechhütten‹«, bilanziert Mallmann. »Vor allem die KZ-Häftlinge unter ihnen kamen oft als Krüppel oder Todkranke zurück, die nur noch eine geringe Lebenserwartung besaßen.« Den Glauben an die historische Mission der Arbeiterklasse hatten viele verloren. Die Revolution verschwand von der historischen Tagesordnung. Frankreich tolerierte 1945 die Aktivitäten der Partei und erlaubte schnell ihre Wiederzulassung. Auf der Gründungsversammlung der KP am 10. Januar 1946 wählten die Delegierten den langjährigen Parteifunktionär Fritz Nickolay, der in Lyon aufseiten der Résistance gekämpft hatte, zu ihrem Vorsitzenden.

Zunächst als Kommunistische Partei Saar / Nahe registriert, musste die Partei infolge der Gründung des Saarstaates 1947 sich als formal selbstständige Partei konstituieren und nannte sich nun Kommunistische Partei Landesverband Saar. Die Partei wurde wie die KPD in den Westzonen seit 1948 angeleitet und geführt von der Westabteilung der SED in Ostberlin. Diese traf alle wesentlichen Entscheidungen über den politischen Kurs und die Zusammensetzung des Parteivorstandes der Saarkommunisten. Die KP hatte 1947/48 nach verschiedenen Quellen zwischen fünf und 6.000 Mitgliedern und erreichte bei den ersten freien Wahlen zum verfassungsgebenden ersten Landtag 1947 8,4 Prozent der Stimmen. Die SPS erhielt 32,8, und die CVP errang die absolute Mehrheit mit 51,2 Prozent. Kommunisten und Sozialdemokraten hatten im Vergleich zur Wahl 1932 ihre Stimmanteile fast vertauscht.

Nur die beiden saarländischen KP-Abgeordneten stimmten im Landtag gegen die Ratifizierung der saarländischen Verfassung, deren Präambel den Austritt des Saarlandes aus dem Deutschen Reich und die enge ökonomische und politische Bindung an Frankreich erklärt. Die deswegen 1947 einsetzende nationalistische Agitation gegen die nunmehr wieder Separatisten und bald auch Vaterlandsverräter genannten Politiker von CVP und SPS steht dabei konträr zur Lebens- und Leidensgeschichte vieler saarländischer Kommunisten, die Frankreich als Ort der Zuflucht und Deutschland als Ort der Verfolgung erlebt hatten. Wer allerdings daraus Schlussfolgerungen für die politische Strategie im Saarland ziehen wollte, musste damit rechnen, als Parteifeind ausgeschlossen zu werden.

Schweigen und verdrängen

Tabu war auch die an Kollaboration grenzende Politik der KPD während des deutsch-sowjetischen Pakts von August 1939 bis Juni 1941, der nicht nur den Antifaschismus politisch zertrümmerte, sondern auch für viele Kommunisten desaströse Folgen hatte. Im Frühjahr 1941 kam aus Moskau die Order an die deutschen Kommunisten in Frankreich, dass: »Alle Freunde, die nur wegen leichter Gründe emigriert waren, zu ersuchen, sich nach Deutschland repatriieren zu lassen.« Viele folgten dieser Aufforderung aus politischer Verzweiflung, und am 5. Mai 1941 setzte sich der Zug mit saarländischen Kommunisten und ihren Angehörigen aus Südfrankreich Richtung Saarbrücken in Bewegung. Beim Halt in Paris wurden die Spanienkämpfer von der Gestapo aus dem Zug geholt, und in Saarbrücken kam es nach der Ankunft des Zuges zur Festnahme fast aller Rückkehrer. Nahezu alle Parteimitglieder wurden zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt oder gleich in ein Konzentrationslager eingeliefert.

Einen Monat vor Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion hegte die KPD-Führung die Illusion, den Spielraum der Partei durch die Auslieferung der eigenen Genossen erweitern zu können. Widerstand gegen eine solche irrsinnige Politik war von den in Moskau lebenden KPD-Führern Walter Ulbricht, Wilhelm Pick und Herbert Wehner nicht zu erwarten. Sie hatten während der »Großen Säuberung« in den Jahren 1936 bis 1938 eifrig mitgewirkt an der Ermordung Hunderter KPD-Funktionäre, die in der Sowjetunion Zuflucht gesucht hatten. Es wird geschätzt, dass sich 1936 in der UDSSR 4.600 Exilanten aufhielten. Nicht alle waren Kommunisten. Viele kamen als Ingenieure und Facharbeiter, um bei der Industrialisierung des Landes zu helfen. Für die Kommunisten endete die Flucht in der Menschenfalle Moskau. In dem Land, für das man sein Leben riskiert hatte, war die Verfolgung seit 1936 brutal und tödlich.

Von den 68 Spitzenfunktionären der KPD, die sich in der Sowjetunion (SU) aufhielten, wurden 41 ermordet. Davon zählten sieben zur engsten Führungsgruppe der Partei, dem politischen Büro. Auch die meisten Angehörigen der Kommunisten, Frauen und Kinder, wurden in die Straflager des Gulag deportiert. Von den 1.675 kommunistischen Funktionären, die im biographischen Handbuch Deutscher Kommunisten aufgeführt sind, wurden 256 in NS-Deutschland und 208 in der SU ermordet. Während der »deutschen Operation« des sowjetischen Geheimdienstes NKWD im Sommer 1937 wurden auch fast alle Nichtkommunisten hingerichtet oder deportiert. Hunderte, die in den Gefängnissen und Straflagern inhaftiert waren, wurden während des deutsch-sowjetischen Pakts an die Gestapo übergeben, darunter der aus Ottweiler stammende Kurt Antes. Er starb 1942 im Konzentrationslager Neuengamme.

Zu ihrem Glück fanden nur wenige saarländische Kommunisten Exil in der SU. Einige seien hier genannt: Ernst und Emilie Stölzel aus Dudweiler gelten seit ihrer Festnahme im März 1938 als verschollen. Hans Schiff, 1928 Chefredakteur der Arbeiterzeitung der KPS, wurde im November 1937 erschossen und 1964 rehabilitiert. Auch Carl Höflich, Geschäftsführer des Saarbrücker KP-Parteiverlags, verschwand im Mai 1937 im Inferno der »Großen Säuberung«. Beide waren Kader der KPD und wurden reichsweit eingesetzt.

Ihr Aufenthalt und ihre Tätigkeit im Saargebiet waren zeitlich befristet und haben wenig Spuren hinterlassen. Die Ermordung der eigenen Genossen konnte weder in der KPS noch in der westdeutschen KPD thematisiert werden. In der sowjetischen Besatzungszone 1945 bis 1949, dann DDR rückten die Überlebenden und Profiteure des Terrors wie Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck in die oberste Partei-und Staatsführung auf. Bis zum Untergang der DDR durfte über das Thema unter Androhung strafrechtlicher Verfolgung weder geforscht noch publiziert werden. Die Überlebenden, die meist erst 1955 und später aus dem Gulag zurückkehrten, wurden meistens unter massive Drohungen zum Schweigen gebracht.

Die Saar ist deutsch

Seit 1947 griff die KP Saar immer stärker zu nationalistischen Parolen, um ihre politische Basis zu verbreitern. So feierte man bereits 1947 den nationalistischen Hirtenbrief des Trierer Bischofs Bornewasser als Bestätigung der eigenen Position.1 Dieser hatte bereits 1934 mit seiner geistlichen Autorität die Saarkatholiken für die »Deutsche Front« und Adolf Hitler mobilisiert. Der Kalte Krieg zwischen der USA und der Sowjetunion und die Gründung von BRD und DDR im Jahr 1949 steigerten den nationalistischen Furor. Mitglieder, die diesen Kurs nicht mittragen wollten, wurden als Parteifeinde und Verräter ausgeschlossen, oder sie verließen die Partei, wie der KP-Landtagsabgeordnete Karl Hoppe. Er verließ am 14. Oktober die KP-Fraktion im Landtag und erklärte seinen Austritt aus der Partei. Vier Ausgaben widmete die Parteizeitung Neue Zeit (NZ) unter dem Titel »Ein Seekranker über Bord« der Entlarvung des ehemaligen Résistance-Kämpfers. Auch der Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft Eduard Welter, Abschnittsleiter der illegalen KP und ebenfalls Mitglied der Résistance, folgte zusammen mit dem einzigen Mitglied der saarländischen Verwaltungskommission, dem für Ernährung zuständigen Kommunisten Robert Neufang. Sie wurden in der NZ als Parteifeinde und korrupte Existenzen gebrandmarkt. Eine politische Auseinandersetzung fand nicht statt.

Stimmungsmache der KP Saar gegen »undeutsche« Kultur und Ausländer im Saarland.

Politische Wellen schlug der Ausschluss des führenden Saarbrücker Funktionärs und Beigeordneten der Stadt, Heinrich Detjen, der für eine Demokratisierung der Partei eintrat. »Parteifeind und Provokateur« titelt die NZ am 10. Juli 1951 über den Altkommunisten. Als Jugoslawien im Sommer 1948 mit der Sowjetunion brach und Tito auf der Unabhängigkeit des Landes bestand, begannen eine maßlose Kampagne und militärische Provokationen gegen den Verräter. Es folgten Schauprozesse gegen »Titoisten« und brutale Repressionswellen in Ungarn, Bulgarien, Rumänien und der DDR. Verfolgt wurden dort hauptsächlich alle Kommunisten, die im westlichen Exil waren, jüdische Kommunisten und Sozialdemokraten, die 1946 bei der Vereinigung von KPD und SPD in der Ostzone Mitglied der SED geworden waren. Allein die SED schloss 1949 300.000 Mitglieder aus, darunter viele ehemalige Sozialdemokraten, sinnigerweise unter dem Vorwurf »Sozialdemokratismus«.

Die NZ beschäftigte sich das ganze Jahr 1949 mit den »titoistischen Verrätern« in Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Jugoslawien und titelte auf dem Höhepunkt der Hetze »Die KP Jugoslawien in der Hand von Mördern und Verrätern«2. Die KPS-Führung begrüßte die Todesurteile gegen die führenden Kommunisten der Bruderparteien, die, so die Anklage im Sold der Gestapo und westlicher Geheimdienste gestanden haben sollen. Auch die KPS säubert die »Titoisten« aus ihren Reihen. Glück für die Ausgeschlossenen, dass ihr Leben im Saarland sicher ist. Während der Jagd auf die »Verräter« erklärt sich die KPS zur einzigen deutschen Partei an der Saar. Schwarz-Rot-Gold wurden seit 1950 die neuen Parteifarben. Die USA wurden 1949 zum Feind der Menschheit erklärt und Churchill im Nazi-Jargon zum Kriegshetzer und Weltbrandstifter. Wie in den Dreißigerjahren war der grundlegende Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital für die Partei nebensächlich. Die Kampflinie verlief zwischen der »versklavten deutschen Nation« und den ausländischen Kolonialherren. Auch die deutsche Kultur und Sprache sah die Partei in Gefahr. Auf einer Sonderseite der NZ, betitelt mit »Schützt unsere nationale deutsche Kultur« finden sich Zwischenüberschriften wie »Amerikanische Gangsterfilme«, »Schmutz in der Literatur«, »Ausländer bei Funk und Fernsehen«, »Ausländer leiten die Universität«.3 Die Kandidaten der Kommunistischen Partei für die zweite saarländische Landtagswahl am 30. November 1952 wurden als »Liste der deutschen Einheit gegen die fremdländischen Kolonialherren«4 vorgestellt. Und am 26. November mobilisierten die KPD und KPS 3.000 ihrer Anhänger unter der Losung »Deutsch ist die Saar« zu ihrer zentralen Wahlkundgebung nach Kaiserslautern. Mit dieser Aufmachung erschien auch die NZ zwei Tage vor der Wahl am 28. November 1952.

Die Geschichte der Kommunistischen Partei an der Saar ist nach wie vor ein Forschungsdesiderat. Die wichtigste Arbeit zur Geschichte der saarländischen Arbeiterbewegung und Gesellschaft im 20. Jahrhundert ist auch dreißig Jahre nach Erscheinen des dritten Bandes von Gerhard Paul und Klaus Michael Mallmann »Widerstand und Verweigerung im Saarland. Eine Verhaltensgeschichte der Gesellschaft im Nationalsozialismus«, Bonn 1995. Die Geschichte der saarländischen Kommunisten wird im Band III behandelt. Leider konnte ich an diese Stelle kaum auf die Politik der Kommunisten in den Gewerkschaften und Betrieben und ihr Verhältnis zum »nationalen Befreiungskampf« näher eingehen. In dem Aufsatz von Hans-Christian Herrmann »Die Saar im Visier der SED« finden sich viele interessante Details zur Geschichte der KPS nach 1945 und Analysen zur »Klassenpolitik« der Partei. Der Aufsatz ist im Band »Der 23. Oktober 1955 und danach« veröffentlicht. Der Band ist beim Herausgeber Stiftung Demokratie Saar kostenlos erhältlich.

Anmerkungen:

1 Neue Zeit, 3. April 1947

2 Neue Zeit, 19. Januar 1950

3 Neue Zeit, 8. November 1952

4 Neue Zeit, 10. November 1952

In der nächsten Ausgabe der Saarbrücker Hefte werden Sie unter anderem erfahren, ob es nach der Landtagswahl den Kommunisten gelingt, die deutsche Fahne auf der Staatskanzlei zu hissen.

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