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Esse est percipi

Die prägnante Formel des Bischofs Berkeley, die ich als junger Mann in einem Essay Samuel Becketts aufgeschnappt habe: esse est percipisein ist wahrgenommen werden, hat bereits im 18. Jahrhundert ebensoviel Spott auf sich gezogen wie Leibniz’ These von der besten aller Welten. Ist es nicht Wahnsinn zu behaupten, dem Laternenpfahl, mit dem mein Kopf kollidiert, sei Existenz nur zuzusprechen, weil er wahrgenommen wird? Wenn man indessen von der Welt der wohl doch eher selbstgenügsamen Dinge absieht und sich den Menschen und ihren Werken zuwendet, gewinnt Berkeleys Statement, das von Beckett auch als Motto zu Film verwendet wurde, erheblich an Plausibilität. Richtig patent aber wird der Satz vom Sein als Wahrgenommenwerden erst bei strikter Säkularisierung, das heißt, wenn man die verrückte Seinsgewißheit des frommen Bischofs in aller Gemütsruhe zum Teufel gehen läßt. Dem esse est percipi lagert sich dann ein Hof von Bedeutungen an, in dem manches Platz findet, von Kommunikationsparadoxien, wie sie Watzlawick analysiert hat, über ästhetische Positionen wie bei Duchamp oder bei Warhol und Beuys bis hin zu medialen Chimären wie dem Ex-Verteidigungsminister.

Wer in diesem Meer von Mimikry und Mummenschanz nach dem festen Ufer absoluter Gewißheit Ausschau hält, ist ein Träumer. Ein Zyniker ist dagegen, wer nur noch das Lügen für gewiß hält. In der Grauzone dazwischen bewegen sich Menschen, welche nach Antworten suchen, die zumindest vorläufig als Wahrheiten zustimmungsfähig sein könnten. Als Medium für solche Antworten – jedenfalls soweit sie Kultur und Gesellschaft hierzulande betreffen – verstehen sich die Saarbrücker Hefte, deren Überleben nicht nur vom anhaltenden Interesse unserer Leserinnen und Leser sowie von der Unterstützung durch unsere Förderer abhängt, sondern fast mehr noch von Autorinnen, Autoren und Interviewpartnern, die öffentlich Stellung beziehen. Ausschlaggebend erscheint mir, daß dieses Blatt von allen Beteiligten als das wahrgenommen wird, was es im besten Fall sein kann: als ein Werk nicht von Dienstleistern, sondern von Überzeugungstätern.

Seit mehr als 15 Jahren nehme ich an den Sitzungen der Hefte-Redaktion teil, und ich bin immer davon ausgegangen, unsere Zeitschrift zeichne sich gerade dadurch aus, daß sie bewußt am Rande der Professionalität angesiedelt ist, sich zwar äußerlich von vergleichbaren Printmedien kaum unterscheidet, wohl aber in ihren Inhalten, internen Abläufen und nicht zuletzt auch in der Finanzierung. Am Redaktionstisch saßen über viele Jahre fast ausschließlich Leute, die man im besten Wortsinn als dilettanti bezeichnen kann. Die Redaktion der Saarbrücker Hefte arbeitet auch heute noch ehrenamtlich, das Machen der Hefte ist also eine – außerordentlich zeitaufwendige – Freizeitbeschäftigung engagierter Bürgerinnen und Bürger. Aber nicht jeder in der Redaktion teilt meine Skepsis gegenüber Forderungen nach stärkerer Orientierung an Standards des ›Professionellen‹. Ich räume ein, daß für jemanden, der professionelles Arbeiten gewohnt ist, der Umgang mit Amateuren sehr anstrengend sein kann. Dennoch bin ich der Meinung, daß sich in vielen, wenn nicht den meisten Fällen die Anstrengung lohnt.

Es war mir ein Anliegen, beim Ausscheiden aus der Redaktion meine Sicht der Dinge darzulegen, und ich bin dankbar, daß ich dies an dieser prominenten Stelle tun kann. Ich erhoffe mir, daß die Saarbrücker Hefte auch in Zukunft wahrgenommen werden können als eine Zeitschrift, die jedermann (und jeder Frau) Anlaß gibt, Anstoß zu nehmen, denn darin sehe ich die fruchtbarste Art der Ausgewogenheit eines kritischen Me­diums. Und ich bitte die Leserinnen und Leser ebenso wie die Förderinnen und Förderer, den Heften gewogen zu bleiben. Sie unterstützen damit eine gute Sache.

Herbert Wender

Georg Bense, geb. in Köln, aufgewachsen in Stuttgart, Fernsehjournalist, Autor, Regisseur und Kameramann zahlreicher Filme für ARD, ZDF und arte.

Julian Bernstein, geb. 1981 in Saarbrücken, schreibt derzeit seine Magisterarbeit im Fach Französische Kulturwissenschaften und Interkulturelle Kommunikation, seit 2007 Veröffentlichungen in der Berliner Wochenzeitung Jungle World.

Mirka Borchardt, geb. 1987 in Gütersloh, seit 2007 Studium der Historisch orientierten Kulturwissenschaften an der Universität des Saarlandes, freie Mitarbeiterin der Saarbrücker Zeitung und Leiterin von Schülerexkursionen zum ehemaligen KZ Natzweiler-Struthof.

Michael Braun, geb. 1958, lebt als Literaturkritiker in Heidelberg. Essays und Rezensionen in Sprache im technischen Zeitalter, Neue Zürcher Zeitung, Tagesspiegel und Frankfurter Rundschau. Veröffentlichte zuletzt Der zertrümmerte Orpheus. Über Dichtung, Heidelberg 2002 und Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Heidelberg 2007.

Hans Emmerling, freier Mitarbeiter von SR und NDR, TV-Porträts u. a. von Raymond Aron, Joseph Beuys, Gisèle Freund, Artur Rubinstein, Dokumentarfilme über Futurismus, europäische Länder, Marokko und Israel, mehrfacher Grimme-Preisträger.

Christoph Flamm, Dr., studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg. 1994–2001 Redakteur des Lexikons Musik in Geschichte und Gegenwart, danach wiss. Angestellter des Deutschen Historischen Instituts in Rom. Nach Habilitation an der Universität des Saarlandes dort als Privatdozent tätig.

Hermann Gätje, geb. 1962, Studium der Germanistik und Soziologie, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsaß an der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek.

Sabine Graf, Dr., geb. 1962 in Zweibrücken, Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität des Saarlandes, Promotion über den Schriftsteller Otto Flake und dessen publizistisches Werk zwischen Selbstverständigung und Selbstinszenierung. Arbeitet als Autorin und Kunstkritikerin.

Joachim Heinz, geb. 1952, Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Jura in Saarbrücken, seit 1990 im Ministerium für Umwelt des Saarlandes beschäftigt. Veröffentlichungen zur Geschichte des Saarlandes und der saarländischen Arbeiterbewegung.

Ulrich Herb, Studium der Soziologie an der Universität des Saarlandes. Promovend in Informationswissenschaft. Seit zehn Jahren in der Open-Access- und Open-Knowledge-Szene. Angestellter der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek, freiberuflicher Journalist, universitäre Lehraufträge.

Gerhild Krebs, geb. 1960 in Völklingen, Historikerin/Filmwissenschaftlerin M. A. (Universität zu Köln), forscht im Bereich der Medien- und der Regionalgeschichte; gründete 1998 das Saarländische Filmarchiv (SFA).

Uwe Loebens, geb. 1958 in Völklingen, Bildender Künstler, journalistische Tätigkeit u. a. für den Saarländischen Rundfunk.

Eva Mendgen, Dr., Promotion in Kunstgeschichte in Bonn; Ausstellungen und Kataloge u. a. für Van Gogh Museum Amsterdam, Museum Villa Stuck München; Leitung verschiedener Forschungsprojekte; Gründung des Kulturnetzwerks »regiofactum«; Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen.

Erich Später, geb. 1959, Buchhändlerlehre, Studium in Saarbrücken und Berlin, arbeitet für die Heinrich-Böll-Stiftung und schreibt für Konkret, letzte Veröffentlichung: »Villa Waigner«: Hanns-Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag 1939–1945, Konkret Literatur Verlag.

Herbert Temmes, geb. 1969, Studium der Geschichte und Germanistik; MBA Gesundheitsökonomie; Geschäftsführer der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft LV Saarland e. V.

Andreas Trabusch, M. A., geb. 1969 in Trier, hat die Evangelische Journalistenschule in Berlin besucht und ist Redakteur bei ARD-aktuell in Hamburg.

Herbert Wender, Dr., geb. 1949, Vorsitzender des Vereins Saarbrücker Hefte e. V.