Liebe Leserinnen, liebe Leser,
ich freue mich, Sie zu der Vorstellung der 129. Ausgabe der Saarbrücker Hefte einzuladen. Diese findet am 27. Mai um 19 Uhr im Kultur- und Werkhof Nauwieser 19 statt.
Was hat das neue Heft zu bieten? Redakteur Wilfried Voigt schreibt über die Machenschaften des ehemaligen GIU-Geschäftsführers Martin Welker, der mit falschen Anschuldigungen gegen zwei Stadtverordnete eine Ermittlungslawine der Saarbrücker Staatsanwaltschaft lostrat. Er berichtet auch über das Baustellen-Chaos, wodurch sich das Ludwigspark-Stadion immer wieder in eine Seenlandschaft verwandelt.
Beim Verfassen dieses Editorials wird das ganze Saarland auch mal wieder von einem »Jahrhunderthochwasser« heimgesucht. Warum in den meisten saarländischen Städten und Gemeinden die Bedrohung durch den Klimawandel nicht ernst genommen wird und das »Weiter so« populär ist, beschreibt unsere Autorin Aline Pabst. Sie sieht in der Kommunalwahl am 9. Juni die Gelegenheit für die BürgerInnen, Einfluss auf die lokale Klimapolitik zu nehmen.
Apropos Beeinflussung: Hefte-Autor Uwe Loebens beobachtet seit Jahren die Entwicklung der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz. Er findet, dass die Politik zu viel Macht in einer der wichtigsten Kulturinstitutionen des Landes ausüben kann. Dies ermöglichte es dem Kuratorium der Stiftung und seiner Vorsitzenden, Ministerin Christine Streicher-Clivot, so seine These, eine geplante Ausstellung der Künstlerin und politischen Aktivistin Candice Breitz in der Modernen Galerie kurzfristig abzusagen.
»Wenn jemand eine Meinung äußert«, so der saarländische Antisemitismus-Beauftragte Roland Rixecker im Gespräch mit Hefte-Redakteur Klaus Gietinger, »die nicht verhetzend und ausgrenzend ist«, dürfen ihm dadurch keine Nachteile entstehen. Welche politischen Ansichten Breitz verkündet und ob es stimmt, dass sie in Deutschland »geteert und gefedert« wird, analysiert Gietinger in seinem Beitrag.
»Wehret den Anfängen«, rief Breitz bei ihrem Auftritt im vollbesetzten Saarbrücker Filmhaus am 15. Mai, dem Tag der Gründung des Staates Israel. Sie meinte damit, dass der deutsche Staat, repräsentiert durch die saarländische Kultusministerin, nun beginne, Jüdinnen wie sie zu verfolgen. Wie es in den 1930ern die Nazis taten, so die Künstlerin. Ob es ihr gelingt, mit ihrer Hybris die saarländische Kunst- und Kulturszene bei ihren angekündigten Protestaktionen im Saarland hinter sich zu versammeln, wird sich zeigen.
Protestiert haben Tausende SaarländerInnen in den letzten Monaten gegen die AfD und ihre Pläne zur Abschiebung ganzer Bevölkerungsgruppen. Über die Grabenkämpfe innerhalb der saarländischen AfD und ihre Skandale schreibt unser Autor Simon Ohliger.
Dabei gehörten der rechtsextreme Hass und die Gewalt lange Zeit zum saarländischen Alltag. Einer der Höhepunkte war der Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in Saarlouis am 19. September 1991, bei dem Samuel Yeboah verbrannte. Erst 30 Jahre später wurden die Täter vor Gericht gestellt. Das damalige Staatsversagen und das Schweigen größter Teile der Gesellschaft lasten bis heute auf dem Land. Über die Hintergründe der Tat und den Verlauf des ersten Gerichtsprozesses berichten die Saarbrücker Hefte seit Jahren. Andreas Morlo hat den gerade stattfindenden zweiten Prozess vor dem OLG Koblenz besucht und schildert für die Hefte seine Eindrücke. Diese Prozesse haben auch dazu geführt, dass der Landtag in einem Akt später Selbstkritik am 20. September 2023 die Einsetzung eines Entschädigungsfonds für Opfer rassistischer Gewalt im Saarland beschlossen hat. Darüber schreibt unser Autor Roland Röder.
Wenig gewürdigt wird bis heute auch die Sozialistin und Feministin Angela Braun-Strattmann. Sie kämpfte für die Rechte der saarländischen Frauen, gegen Hitler und für ein europäisches Saarland. Ihre Biografie hat die Historikerin Bärbel Kuhn geschrieben und mithilfe der Stiftung Demokratie Saarland (SDS) publiziert. Wer jetzt die Hefte abonniert, kann das Buch als Geschenk erhalten.
Fast geschenkt wird einem auch die Fahrt von Saarbrücken nach Luxemburg, wo seit vier Jahren der öffentliche Nah- und Fernverkehr nichts mehr kostet. Unser neuer Autor Julian Dörr schreibt über diese Verkehrsrevolution.
Auch der Künstler Luan Lamberty, der die Galerie in diesem Heft gestaltet, stammt aus Luxemburg. Er ist der erste Preisträger des nach der verstorbenen Künstlerin Andrea Neumann benannten Kunstpreises.
Wir freuen uns zudem, dass Autor Klaus R. Ecke nach seiner Erzählung »Das Motorrad« im Heft Nr. 103 nun in dieser Ausgabe mit der »Felswand« vertreten ist.
Sehr angetan ist unsere Autorin Kerstin Krämer vom jährlich stattfindenden FreeJazz-Festival. Verwundert ist sie darüber, dass dieses international anerkannte Treffen der FreeJazzer wenig Unterstützung im Saarland findet.
Auch deshalb ist es in seiner Existenz bedroht.
Für das Verschwinden der Gaststätten im Sulzbachtal ist das Ende des Bergbaus verantwortlich. Das beschreibt unser Chronist Ekkehart Schmidt bei seiner Tour. Hoffnung macht ihm allerdings, dass einige Lokale das große Schließen überlebt haben oder unter neuen Pächtern wiedereröffnet werden.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
oft werde ich gefragt, warum die Hefte nur zweimal im Jahr erscheinen. Dass viele Menschen gerne mehr Hefte lesen möchten, freut mich. Eine vierteljährige Erscheinungsweise der Hefte ist eine gute Idee. Und wir hätten genug Motivation, Themen und AutorInnen dafür. Jedoch fehlen hierfür alle Voraussetzungen. Selbst die zwei Ausgaben im Jahr sind nicht abgesichert. Nicht zuletzt durch den Erfolg der Zeitschrift in den letzten Jahren sind die Grenzen der kaum bezahlten Arbeit erreicht. Und es sieht nicht danach aus, als würde es uns gelingen, eine unbedingt nötige festbezahlte Stelle einzurichten.
Ich wünsche Ihnen eine entspannte Lektüre der 129. Ausgabe der Saarbrücker Hefte.
Ihre Sadija Kavgić
Editorial
Sadija Kavgić
Titel
Wilfried Voigt
Welkers Lüge – Ein politischer Rufmord
Rasen im Ludwigspark – GIU-Chaos an der Baustelle
Klima
Aline Pabst
Global denken, lokal zerstören – Warum die Kommunalwahl am 9. Juni auch eine Klimawahl ist
Kulturpolitik
Uwe Loebens
Der Balzplatz der Ignoranz – Wenn in der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz Kunst auf Politik trifft
Klaus Gietinger
»Meinungsfreiheit bedeutet ja nicht, dass man auch von Kritik frei ist.« Ein Gespräch mit Roland Rixecker, Präsident des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes und Beauftragter für jüdisches Leben im Saarland und gegen Antisemitismus
Klaus Gietinger
Blacklisted? Candice Breitz im Kontext postkolonialer »Arschbomben«
Rechtsradikale
Simon Ohliger
Rechte gegen Rechts – Die Zustände in der AfD Saar
Andreas Morlo
Mordfall Samuel Yeboah – Gerichtsprozess Teil 2: Grenzen der Aufklärung
Roland Röder
Entschädigungsfonds für Opfer rassistischer Gewalt
Endlich im Saarland
Luca Zarbock
Ein Herz für Reaktionäre – Der Don-Bosco-Schulverein Saarbrücken und seine fundamentalistischen Gotteskrieger
Gedenken
Bärbel Kuhn
Angela Braun-Stratmann – Kämpferin für Frauenrechte, Antifaschistin, Europäerin
Eberhard Wagner
Gedenkstätte eingeweiht – In St. Wendel wird namentlich an die ermordeten Jüdinnen und Juden, Widerstandskämpfer und andere Opfer der NS-Herrschaft erinnert
Verkehr
Werner Ried
Ende des Stillstands? Die saarländische S-Bahn kommt
Werner Ried
Stahlschiene am seidenen Faden
Julian Dörr
Verkehrswende made in Luxemburg – Wie das Großherzogtum zwischen Bevölkerungswachstum und Pendlerströmen die Mobilität der Zukunft plant
Literatur
Klaus R. Ecke
Felswand
Galerie
Luan Lamberty
Musik
Kerstin Krämer
Erfolgreich und gefährdet – Das international renommierte Saarbrücker Free-Jazz-Festival
Barbara Kutsch
Das Kammermusikorchester der Großregion
Mit Leidenschaft für Klassik und Europa
Film
Wolfgang Kerkhoff
Frédéric Back: Der Oscar-Preisträger aus St. Arnual
Lokalitäten
Ekkehart Schmidt
Zweierlei Untergang – Bergbau und Gasthäuser
im Sulzbachtal
Autorinnen und Autoren
Julian Dörr ist Politikredakteur bei der luxemburgischen Tageszeitung Tageblatt in Esch-sur-Alzette. Zuvor hat der studierte Kommunikations- und Filmwissenschaftler als freier Journalist in Berlin gearbeitet, war Redakteur der SPEX und der Süddeutschen Zeitung in München. Er lebt in Saarbrücken.
Klaus R. Ecke, geb. 1954 in Darmstadt, Maschinenbaustudium an der TH Darmstadt und Studium Organisationspsychologie an der TU Dortmund, Diplom-Ingenieur, Industrietätigkeit bis 2011, lebt seit 1991 in Saarbrücken, schriftstellerische Arbeit seit 2001, Erzählungen und Texte über Künstler.
Klaus Gietinger, Autor, Regisseur und Sozialwissenschaftler. Kinofilme, TV-Movies, Serien, Kinder-, Dokumentarfilme, Drehbücher, Tatorte (Buch und Regie). Drei Romane und 15 Sachbücher. Zuletzt zusammen mit Norbert Kozicki: »Freikorps und Faschismus – Lexikon der Vernichtungskrieger«, Stuttgart 2022. Für seine Arbeiten wurde er mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.
Mehr Infos: www.gietinger.de
Sadija Kavgić, Journalistin und Übersetzerin. Geboren in Tuzla, Jugoslawien. Infolge der Belagerung von Sarajevo 1992–1996 kam sie nach Deutschland. Publiziert in Deutschland und Bosnien und Herzegowina. Lebt in Saarbrücken.
Wolfgang Kerkhoff war Redakteur der Saarbrücker Zeitung sowie Texter, Onlineredakteur und Sprecher der Saarländischen Landesregierung. Jetzt arbeitet er als freier Autor; in Vorbereitung: eine Studie über konstruierte Sprachen. Gehört zum Team des Museums St. Arnual.
Kerstin Krämer, geb. 1970 in Quierschied. Freie Kulturjournalistin, Autorin und Fotografin. Arbeitet u. a. seit 2001 regelmäßig für das Kulturressort der Saarbrücker Zeitung. Mitglied in VG Wort, VG Bild-Kunst und dju.
Buchveröffentlichung: »Coronöses Bestiarium. Animalische Limericks und andere Ungereimtheiten zur Pandemie. Lyrik«, BoD 2021.
Bärbel Kuhn war bis März 2024 Professorin für Didaktik der Geschichte an der Universität Siegen. Neben Veröffentlichungen zu geschichtsdidaktischen und kulturgeschichtlichen Themen hat sie zur Geschichte des Saarlandes gearbeitet.
Barbara Kutsch lebt als Journalistin in Mettlach. Frühere taz-Korrespondentin in Paris, hat das deutsch-französische Fernsehmagazin diagonale des Saarländischen Rundfunks betreut, zehn Jahre freies Theater in Bad Kreuznach organisiert und war als Fernsehreporterin beim SWR tätig. Freie Mitarbeiterin der Saarbrücker Zeitung.
Luan Lamberty, gęb. 1988, lebt und arbeitet in Luxemburg. Diplom der freien Kunst, Hochschule für Künste Bremen und Meisterschülerstudium bei Prof. Heike Kati Barath. Erster Preisträger des Kunstpreises Andrea Neumann.
Mehr Infos: www.luanlamberty.com
Lisi Linster, promovierte in Kunstgeschichte an der University of Glasgow (2022). Sie lebt und arbeitet in Luxemburg.
Uwe Loebens, geb. 1958 in Völklingen, Künstler und Journalist mit Schwerpunkt Kultur.
Andreas Morlo lebt in Saarbrücken und arbeitet für die Heinrich-Böll-Stiftung Saar.
Simon Ohliger studierte Politik und öffentliches Recht. Für die Saarbrücker Hefte schreibt er regelmäßig über die saarländische Politik.
Aline Pabst ist Redakteurin der Saarbrücker Zeitung. Dort schreibt sie hauptsächlich über Klima- und Umweltthemen. Für die von ihr entwickelte »Klimaseite«, die seit Juli 2021 wöchentlich erscheint, erhielt sie den K3-Preis für Klimakommunikation in der Kategorie »Journalismus«.
Werner Ried, Eisenbahner und Diplomgeograph Dr. phil., Dissertation zum Schienenverkehr SaarLorLux. Er arbeitet für die Digitale Schiene Deutschland bei DB Netz AG. Ehrenamtlich ist er im Saarland Vorstandsvize des Verkehrsclubs Deutschland (VCD).
Roland Röder. Der Autor wird für die Aktion 3. Welt Saar e. V. im Opferfonds mitwirken. Parteiisch für die Opfer und nicht neutral. Er ist Geschäftsführer dieses Vereins und an der Aufklärung des Mordfalls Yeboah und der Prozessbeobachtung am OLG Koblenz aktiv beteiligt. Mehr Infos: www.a3wsaar.de
Ekkehart Schmidt, geb. 1964. Volkswirt und Journalist, aufgewachsen in Teheran und Köln, seit 1994 im Saarland, bis 2008 wissenschaftlicher Angestellter für Migrationsfragen beim isoplan-Institut, seitdem beim Verein etika in Luxemburg in der nachhaltigen Finanz tätig. Seit 2019 im Vorstand von Transition Town Saarbrücken.
Wilfried Voigt, geb. 1951, zehn Jahre Redakteur bei der Frankfurter Rundschau, 18 Jahre Spiegel-Korrespondent (Inland), Wächterpreisträger 1986, freier TV-Journalist, mehrere Buchveröffentlichungen (u. a. »Die Jamaika Clique – Machtspiele an der Saar«).
Eberhard Wagner, geb. 1950, Vorsitzender des Vereins »Wider das Vergessen und gegen Rassismus e. V.«. Veröffentlichungen: »Marpingen und der Kreis St. Wendel unter dem Hakenkreuz – ein alternatives Heimatbuch«, »Du hast mich nicht vergessen, hoffe ich! – Liebesbriefe aus dem Wartesaal zum Tod«, zusammen mit Beate Klarsfeld. Mehr Infos: www.widerdasvergessen.de
Luca Zarbock studiert im Master Demokratische Politik und Kommunikation an der Universität Trier und forscht hauptsächlich zu Antisemitismus, Islamismus sowie zur Neuen Rechten. Außerdem arbeitet er seit 2021 bei der Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung Trier.