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Steine des Anstoßes

»Das Prinzip, Anstoß zu nehmen«, überschrieb die Saarbrücker Zeitung (cis) ihre Rezension des vorigen Heftes unserer Zeitschrift. Sie charakterisierte damit einen der Grundsätze der Saarbrücker Hefte. Die Kritik schloß mit der Feststellung, daß diese Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft auch »weiterhin ihre Berechtigung haben« wird. Vielleicht ja auch ihre Notwendigkeit? Zumindest wir, die Macher, sind dieser Meinung. Denn wer sich die landespolitischen Realitäten des vergangenen Jahres ins Gedächtnis ruft, muß erkennen, daß die sich abzeichnenden Perspektiven keineswegs so klar und offen zu Tage treten, wie es eine intakte Demokratie, auf die wir bekanntlich stolz sind, es vermuten ließe. Demokratie ist ein Wort, ein Begriff, den unsere Gesellschaft mit sich herumträgt, dauernd interpretiert, immer wieder analysiert und ständig in neue Beziehungen setzt. Die Redakteure der Saarbrücker Hefte sind, wie alle Medienarbeiter, in erster Linie neugierig, schauen gerne hinter Kulissen und Fassaden. Beobachten, was aus allen Himmelsrichtungen ins Saarland strömt, sich mit Vorhandenem mischt, es erweitert, ergänzt oder präzisiert. In diesem Sinne ist unser Blick nach innen wie nach außen gerichtet, mehr auf Gegenwart und Zukunft schauend als historisch orientiert. Natürlich wissen wir
um die Bedeutung der Vergangenheit als Katalysator zum Erkennen und Gestalten einer Gegenwart, an deren Horizont immer neue Probleme und Gefahren auftauchen. Diese zu beobachten und zu analysieren, vielleicht auch vor ihnen zu warnen, sehen wir als einen wichtigen, nicht selten polemisch gehaltenen Teil der Aufgaben und Notwendigkeiten dieser Zeitschrift. So werden wir uns auch weiterhin mit dem Skandal um das Baudesaster des vierten Museumspavillons beschäftigen. Die Zustimmung zu Uwe Loebens’ Artikel Die Stunde der Dilettanten im letzten
Heft bestärkt uns in der Absicht, auf jeden Fall »am Ball zu bleiben«. Der rote Zementkoloß auf unserem Titelblatt, der eher einem Hochbunker als einem Museum ähnelt, ist ein dauerhaftes, gewichtiges Menetekel für Ignoranz, Korruption und Mißwirtschaft. Im Schatten dieses Skandals liegen viele Themen des vorliegenden Heftes, die im engeren und weiteren Sinne nicht immer »Anstoß nehmen«, wohl aber Anlaß geben, einen sorgenvollen Blick auf Entwicklungen zu werfen, Zustände zu dokumentieren, Veränderungen anzumahnen. Seit August 2007 hat es in Völklingen weitere acht Brandanschläge auf von Migranten bewohnte Häuser gegeben, ohne daß dies noch groß thematisiert worden wäre. Bernhard Dahm hat dieses Defizit zu seinem Thema gemacht und zieht eine beklemmende Bilanz der Völklinger Vorkommnisse. Weiterhin haben wir den Fokus unter anderem auf die Saarbrücker Medienlandschaft gerichtet. Von innen und von außerhalb betrachtet. Da geht es in erster Linie um Film und Kino, einen der kulturellen Schwerpunkte der Stadt. Boris Penth, ehemaliger Leiter des Festivals Max-Ophüls-Preis, beschäftigt sich mit der Situation des kommunalen Kinos aus überregionaler Sicht, während Tobias Kessler sich mit der umkämpften Zukunft des Saarbrücker Filmhauses befaßt. Saarländer in Lourdes ist der Titel eines Films aus dem Jahr 1947, der im Auftrag der französischen Militärregierung zu Propagandazwecken im Saarland gedreht wurde. Die Filmwissenschaftlerin Gerhild Krebs untersucht den Film auf Inhalt, Aufbau und seine damalige politische Wirksamkeit. Zwar nicht als Wutautor, wohl aber mit viel subjektiver, kritischer Verve geht Hans Horch mit einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen ins Gericht, deren neuer Feuilletonchef Nils Minkmar die Weltweitposse Strauss-Kahn zum Anlaß genommen hat, politische Sitte und Moral unseres Nachbarlandes aus spießbürgerlicher Sicht zu analysieren. Weltoffen bunt rauschen dagegen die Züge der Saarbahn seit einiger Zeit durch die Stadt. Der grau-blaue Einheitslook ist einem farbigen Outfit aus Werbebildcollagen gewichen, die Spuren witziger Ästhetik im monotonen Einerlei der Straßenzüge verbreiten. Mit von der Partie ist auch der Saarländische Rundfunk und beschwört im satten Werbeblau auf einem der Züge seinen Platz im Land. Im Gespräch mit seinem Intendanten Thomas Kleist haben wir über dessen Zukunftspläne für die Anstalt gesprochen und sind dabei zwangsläufig auf die Tatortkommissarspur geraten. »Wechsel heißt immer auch Erneuerung und Bewegung nach vorne«, kommentiert Thomas Kleist unsere diesbezügliche Frage. Da hat er Recht. Bewegung nach vorne ist auch ein Vektor für Publikationen wie die Saarbrücker Hefte. Heute, in Zeiten unkontrollierter Bilderfluten, gewinnt das geschriebene Wort viel von seiner ursprünglichen Macht zurück. Mit seiner Hilfe melden sich auch Zeitschriften wie diese zu Wort. Die Verbindung von Kultur und Politik wollen wir beibehalten und auch 2012 Steine des Anstoßes suchen, aufheben und bearbeiten. Steine aus dem Feld der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik. Dabei werden wir die Freiheit des Andersdenkenden in der Wahl unserer Worte immer respektieren.

In diesem Sinne wünschen wir Lesern und Sponsoren unserer/Ihrer Saarbrücker Hefte ein interessantes Neues Jahr.

Georg Bense

Georg Bense, geb. in Köln, aufgewachsen in Stuttgart, Fernsehjournalist, Autor, Regisseur und Kameramann zahlreicher Filme für ARD, ZDF und arte.

Julian Bernstein, geb. 1981 in Saarbrücken, schreibt derzeit seine Magisterarbeit im Fach Französische Kulturwissenschaften und Interkulturelle Kommunikation, seit 2007 Veröffentlichungen in der Berliner Wochenzeitung Jungle World.

Wolfgang Caspari M. A., Diplom-Soziologe und Sozialpsychologe; Master of Arts für Erziehungswissenschaften, Koordinator für Nachqualifizierung in der JVA Saarbrücken.

Bernhard Dahm, geb. 1953, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Asyl- und Ausländerrecht.

Hans Emmerling, freier Mitarbeiter von SR und NDR, TV-Porträts u. a. von Raymond Aron, Joseph Beuys, Gisèle Freund, Artur Rubinstein, Dokumentarfilme über Futurismus, europäische Länder, Marokko und Israel, mehrfacher Grimme-Preisträger.

Hans Gerhard, geb. 1973 in Braunschweig, lebt in Saarbrücken. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt kritisiert er literarische Texte und schreibt selbst, u. a. in der Literaturzeitschrift Streckenläufer. Hans-Bernhard-Schiff-Preis 2010, Stadtteilautor für das Nauwieser Viertel 2010/11.

Sabine Graf, Dr., geb. 1962 in Zweibrücken, Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität des Saarlandes, Promotion über den Schriftsteller Otto Flake und dessen publizistisches Werk zwischen Selbstverständigung und Selbstinszenierung. Arbeitet als Autorin und Kunstkritikerin.

Hans Horch veröffentlichte zuletzt: Eloge de la raison. Les lumières de Thilo Sarrazin, in: Variations, Nr. 15, http://theoriecritique.free.fr

Tobias Kessler, geb. 1966, lebt in Saarbrücken und arbeitet in der Kulturredaktion der Saarbrücker Zeitung. Sein schönstes Filmhaus-Erlebnis der letzten Zeit war die Vorführung von Tanz der Vampire mit einer alten, aber bestens erhaltenen Kinokopie.

Gerhild Krebs, geb. 1960 in Völklingen, Historikerin/Filmwissenschaftlerin M. A. (Universität zu Köln), forscht im Bereich der Medien- und der Regionalgeschichte; gründete 1998 das Saarländische Filmarchiv (SFA).

David Lemm, geb. 1979 in Neustadt/Weinstraße, schreibt derzeit seine literarisch-anthropologisch ausgerichtete Dissertation Kindheit und Adoleszenz in der Fremde. Freier Mitarbeiter der Saarbrücker Zeitung, Mitherausgeber der Literaturzeitschriften Steckenläufer und Wortbruch.

Bernd Nixdorf, geb. 1961 in Saarbrücken. Studium der Philosophie und Psychologie. Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller.

Boris Penth, geb. 1950 in Völklingen, Dr. der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Arbeitet seit 1981 freiberuflich als Autor und Regisseur für Fernsehdokumentationen. Zwischen 2002 und 2005 Künstlerischer Leiter des Filmfestivals Max Ophüls Preis.

Dietmar Schmitz, Dr., Diplom-Politologe und Germanist.

Erich Später, geb. 1959, Buchhändlerlehre, Studium in Saarbrücken und Berlin, arbeitet für die Heinrich-Böll-Stiftung und schreibt für Konkret, letzte Veröffentlichung: »Villa Waigner«: Hanns-Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag 1939–1945, Konkret Literatur Verlag.

Herbert Temmes, geb. 1969, Studium der Geschichte und Germanistik; MBA Gesundheitsökonomie; Geschäftsführer der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft LV Saarland e. V.

Herbert WenderDr. (Georg Büchners Bild der Großen Revolution), geb. 1949, Vorsitzender des Vereins Saarbrücker Hefte e. V.