Saarbrücken – ein attraktiver Draufgänger?
»Echt? Ernst gemeint?«, fragten wir unseren Autor Milan Flubisz, einen Zugereisten, der seit ein paar Jahren im Saarland lebt, liebt und arbeitet. »Klar doch, Saarbrücken ist für mich ein attraktiver, sehr sympathischer, aktiver Draufgänger in den besten Jahren, auf den Du Dich verlassen kannst!« In dieser Ausgabe der Saarbrücker Hefte schwärmt er von Saarbrücken als einer schwul pulsierenden Stadt.
Die Stadt als Freund, als Kumpel, als Liebhaber. Als Ort für Liebe, welcher Art auch immer? Klar doch! Ob sexuelle Orientierung uns angeboren ist, ob sie sich verändern kann, ob sie immer wieder neu gestaltet werden kann – Fragen, auf die auch Sexualwissenschaftler keine eindeutige Antwort haben. Als gegeben wird vorausgesetzt, daß unsere Gesellschaft sich in Hetero-, Homo- und Bisexuelle gliedert. Weltweit und in – Saarbrücken. Mit einigen Facetten des Themas Schwulsein in Saarbrücken beschäftigt sich dieses Heft.
»Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, / Ist dem Tode schon anheim gegeben«, warnte im 19. Jahrhundert der Dichter August von Platen. Immer wieder hat er in seinen Gedichten die »namenlose, die verbotene Liebe« thematisiert. Die schwülstige Romantik seiner Gedichte, die wir heute nicht selten als Kitsch empfinden, ärgerte damals seinen berühmten Zeitgenossen Heinrich Heine, der den Grafen, wie er ihn verächtlich nannte, mit harter Polemik attackierte, indem er seine auf Jugend und männliche Schönheit bezogenen Gedichte zynisch verspottete: »Chacun à son goût, dem einen gefällt der Ochs, dem andern Wasischtas Kuh.«
Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt! Als Rosa von Praunheims Film am 3. September 1971 in Saarbrücken zum ersten Mal gezeigt wurde, kontrollierten Polizeibeamte Personalausweise von Besuchern. »Einmalig in der Saarbrücker Kinogeschichte«, schreibt Hasso Müller-Kittnau, Vorstandsmitglied des LSVD (Lesben- und Schwulenverband Deutschlands), in seinem Artikel Leben und leben lassen, in dem er sich mit der Bürgerrechtspolitik seines Verbandes beschäftigt und zu dem Schluß kommt, daß sich auch im Saarland, wie in den meisten Ländern der Welt, die Situationen der Homosexuellen entschieden verbessert hat.
Daß es nicht immer so war, dokumentiert ein Gespräch mit dem bekennenden Homosexuellen Hans Jager, in dem es vor allem um die Zeit vor dem Referendum vom Oktober 1955 geht. Trotz Diskriminierung, Verfolgung und Ängsten in der JoHo-Zeit: »Langweilig war es nie«, meint Hans Jager und erinnert sich auch an einen Tag bald dreißig Jahre später, der zum Fanal wurde. Das war 1981, als im Januar das Festival Max Ophüls Preis zum zweiten Mal ausgerichtet wurde. Zum großen Erstaunen von Publikum und Kritik gewann Taxi zum Klo, ein drastisch schwuler Film des Regisseurs Frank Ripploh den Preis, wodurch das bis dahin kaum beachtete Festival mit einem Schlag in Deutschland bekannt wurde. Die Preisentscheidung der Jury wurde von vielen Homosexuellen als Aufbruch in eine neue, tolerante Zeit gewertet. Im Anschluß an die Preisverleihung sprach der damalige Filmredakteur der Saarbrücker Zeitung Michael Beckert mit Frank Ripploh über den Mut, einen derartigen Film zu drehen und über die Ängste der Homosexuellen im deutschen Alltag, die auch im Saarland Alltag waren.
Eine Ikone der lokalen Schwulenszene ist Waltraud Schiffels, die 1944 als Walter Schiffels hier geboren wurde und sich in den Jahren 1989/1990 einer geschlechtsangleichenden Operation unterzog. Heute lebt sie, verheiratet, mit einer Frau zusammen. In einem Gespräch mit Mirka Borchardt spricht sie über ihr Leben als Transgender-Personality und die Probleme, die sich daraus ergeben.
Mit einem noch tabuisierten Teil schwulen Lebens, dem jetzt auch der Papst seine Aufmerksamkeit widmet, hat es Alexander Kuhn tagtäglich zu tun. Für Strichjungen und Callboys ist er ein wichtiger Ansprechpartner.
»Die Strichjungen sind ein blasses, buntes Völkchen, das im Bewußtsein der Biederleute dahindämmert. Niemals werden sie Anrecht haben auf helles Tageslicht, auf wirkliche Sonne. Aber aus der Tiefe jenes Vorhimmels führen sie die merkwürdigsten Katastrophen herauf, und sie verkünden neue Schönheiten.« Der französische Dichter Jean Genet, in dessen Werk Homosexualität breiten Raum einnimmt – im Dezember 2010 wäre er 100 Jahre alt geworden –, stilisiert die Figur des Strichjungen bis hin zur Lichtgestalt. Alexander Kuhn erlebt den Stricher dagegen mehr aus dem Grau des Alltags heraus. Der Sozialarbeiter betreut die Beratungs- und Interventionsstelle für Stricher der Aids Hilfe Saar (BISS) in Saarbrücken. In seinem Bericht spricht er über seine Arbeit, verbunden mit einem historischen Rückblick auf das Phänomen der männlichen Prostitution.
»Wie pervers ist die Situation noch, in der Homosexuelle leben?«, fragt sich Bastian Fischer, der in Saarbrücken studierte und heute in Leipzig lebt. Sein Essay ist zwar kein hoffnungsvoller, allerdings auch kein hoffnungsloser Ausblick in die Zukunft des Schwulseins, in Saarbrücken und überall. »Meines Erachtens ist die Situation, in der ›der Homosexuelle‹ lebt, trotz enormer Errungenschaften immer noch pervers.« Eine pessimistische Einschätzung, die nicht aus der Luft gegriffen ist, wenn man sich an den Auftritt des Essener Bischofs Overbeck in einer Talkshow erinnert, in der er Homosexualität als widernatürlich, als Sünde verdammt hat.
Mit ihrem Schwerpunkt über Liebe und Sexualität zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern wollen die Saarbrücker Hefte dazu beitragen, daß die Situation von Schwulen und Lesben nicht pervers bleibt. Zumindest in Saarbrücken.
Georg Bense