Der Landesvater


Die NS-Vergangenheit Franz-Josef Röders

von Erich Später

Im März 2013 veröffentlichte die saarländische Linkspartei die Studie des Historikers Hans-Peter Klausch Braune Spuren im Saar-Landtag. Die NS-Vergangenheit saarländischer Abgeordneter. Klauschs Forschungen fanden jedoch kaum öffentliche Resonanz. Der Linken-Fraktion schien die Sache eher peinlich. Es wurde sogar darauf verzichtet, den Autor nach Saarbrücken einzuladen, was wohl ganz im Sinne des Linken-Übervaters Oskar Lafontaine war. Der ging in seinem Vorwort nämlich auf Distanz zu den Ergebnissen der Studie. Ein besonderes Anliegen war ihm die Verteidigung des ehemaligen langjährigen Ministerpräsidenten Franz-Josef Röder. Klausch hatte in diesem Fall noch einmal meine Forschungen über Röders Nazi-Vergangenheit rekapituliert, die vor zehn Jahren in den Saarbrücker Heften in dem Aufsatz Heinrich Schneider – ein deutscher Patriot publiziert worden waren. Zunächst nimmt Lafontaine die »Gnade der späten Geburt« für sich und andere in Anspruch. Dann entschuldigt er den politischen Einsatz für die deutschen Radikalfaschisten:

Aber keiner von uns Jungen konnte sich wirklich sicher sein, ob er in einer anderen Zeit, unter ande-ren gesellschaftlichen Umständen und mit einer an-deren Erziehung nicht auch selber den Versuchungen des Naziregimes erlegen wäre

Oskar Lafontaine

Daraufhin kommt er zu seinem eigentlichen Thema, der NSDAP-Mitgliedschaft Röders im Jahr 1933.Röder war der NSDAP, dem NS-Lehrerbund und dem NS-Kraftfahrerkorps Neunkirchen im Verlauf des Jahres 1933 beigetreten und hatte sich am Kampf zur Errichtung der NS-Herrschaft an der Saar aktiv beteiligt, u. a. als Mitglied im Ordnerdienst der »Deutschen Front«.2 In diesem sammelten sich ab 1934 die Schlägertrupps der saarländischen SA und SS, die nach dem Verbot durch die Regierungskommission des Völkerbundes im Jahr 1932 in der Illegalität agieren mußten. Die Zulassung des Ordnerdienstes bedeutete die Legalisierung des Alltagsterrors gegen alle saarländischen NS-Gegner und der Beginn systematischer Gewalt gegen die jüdische Minderheit. Als Mitglied der NSDAP und drei ihrer Bereichsorganisationen hat sich Röder aktiv und ohne irgendwelchen Zwang für den Nationalsozialismus und Adolf Hitler eingesetzt. Er trägt politisch auch Mitverantwortung für die Zerschlagung der saarländischen Demokratie und der Organisationen der saarländischen Arbeiterbewegung sowie des katholischen Widerstandes nach dem 13. Januar 1935. Für Lafontaines Beurteilung Röders spielt dieses Engagement jedoch keine Rolle. Ohne Beleg spricht er den früheren Ministerpräsidenten von jeder politischen Verantwortung frei und bekennt, von der NSDAP-Mitgliedschaft schon zu Röders Lebzeiten gewußt zu haben. Warum er darüber nicht die saarländische Öffentlichkeit informierte und von Röder Aufklärung verlangte, bleibt sein Geheimnis.

Ich begegnete Franz-Josef Röder anfänglich mit Misstrauen und zweifelte an seiner Versicherung, dass er sich in den Jahren der Naziherrschaft nichts habe zu schulden kommen lassen. Als ich ihn dann näher kennen lernte, wurde mir klar, dass seine NSDAP-Mitgliedschaft nicht auf innerer Überzeugung beruhen konnte. Schon seine Hinwendung zu fremden Sprachen und zur romanischen Literatur zeugt nicht gerade von einem arisch-germanischen Weltbild oder einem bornierten völkischen Nationalismus.

Oskar Lafontaine

Also können deutsche Akademiker keine Nazis sein, so die Quintessenz von Lafontaines Nachdenken über Röder. Gerade in Röders Amtszeit werden hunderte ehemalige NSDAP-Kader, SS-Mitglieder aller Dienstränge und Schreibtischtäter aus Justiz und Verwaltung in die saarländische Politik, Verwaltung und Kultur integriert. Gleichzeitig wird jede juristische und politische Aufklärung der NS-Herrschaft an der Saar systematisch verhindert. Diese Politik wird seit 1957 mit der politischen Ächtung der saarländischen Anti-faschisten verbunden, die durch die Mehrheit der Bevölkerung als »Vaterlandsverräter« und »Separatisten« verunglimpft werden. Keine der im Landtag vertretenen Parteien hat bis heute ein wirkliches Interesse daran gezeigt, die Reintegration der NS-Eliten im Saarland und die damit einhergehende Unterdrückung einer antifaschistischen Erinnerungskultur nach 1955 im Sinne einer historischen Selbstaufklärung zu erforschen und dafür die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Statt dessen predigt man eine »saarländische Identität« und ruft dazu auf, die politische Eigenständigkeit des bankrotten Landes zu verteidigen. Zu dieser Eigenständigkeit gehört allerdings einmalig in der Bundesrepublik Deutschland die öffentliche Würdigung von NS-Kriegsverbrechern wie in Völklingen und die ungebrochene Verehrung der Nazi-Gründungsväter des deutschen Bundeslandes Saarland.

Ein Leben für die Saar

Am 26. Juni 1979 verstarb überraschend wenige Tage vor seinem siebzigsten Geburtstag der saarländische Ministerpräsident Franz-Josef Röder. Am Tag zuvor hatte er nach 20jähriger Amtszeit seinen Rücktritt erklärt. Der von Teilen der saarländischen Bevölkerung als »Landesvater« verehrte CDU-Politiker wurde in den veröffentlichten Nachrufen und Trauerreden als »Pädagoge«, als »verdienter Politiker«, als »Staatsmann« gefeiert. Die Saarbrücker Zeitung, die Röders Leben und Nachruhm über Wochen nach seinem Tod viele Seiten widmete, schrieb über die Jahre 1932–45:

1932: Nach dem Studium der Philologie an den Universitäten Freiburg, Innsbruck und Münster Promotion zum Dr. Phil., anschließend Eintritt in den höheren Schuldienst, 1937 bis 1945: Röder ist im Auslandsschuldienst tätig und ab 1940 zugleich Zweigstellenleiter des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in den Niederlanden.

Saarbrücker Zeitung vom 27.6.1979, S. 2

Folgt man der Darstellung der Saarbrücker Zeitung, so hat die Errichtung des NS-Systems im Saarland, die deutsche Besatzungsherrschaft in den Niederlanden und die damit verbundene Ermordung von über einhunderttausend jüdischen Männern, Frauen und Kindern in den Jahren 1941 bis 1945 das Leben Franz-Josef Röders kaum berührt. Gegen Ende des Jahres 1979 erscheint dann als krönender Abschluß Röders Würdigung im Dillinger Queißer-Verlag, die vom stellvertretenden Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung und Röder-Vertrauten Erich Voltmer verfaßte Biographie Franz-Josef Röder – ein Leben für die Saar.

Über die Konzeption seines Buches schreibt Voltmer:

[N]ach wenigen Minuten bereits war ich entschlossen, das Buch unter der Bedingung zu schreiben, daß mir die Familie Röder – vor allem Frau Magdalene Röder – und die Saarbrücker Staatskanzlei ihre Bereitschaft zusagten, notwendiges Material zur Verfügung zu stellen. Dies geschah innerhalb kurzer Frist, so daß ich an erster Stelle Frau Röder, den Geschwistern des Verstorbenen und der Saarbrücker Staatskanzlei hier meinen Dank sage für die sehr hilfreiche Unterstützung.

Erich Voltmer, Franz-Josef Röder. Ein Leben für die Saar, Dillingen: Queisser 1979, Einleitung.

Die Unterstützung war gegenseitig. Das Buch, das Ende November 1979 erschien, wurde ein saarländischer Bestseller und erreichte innerhalb kürzester Zeit eine Auflage von 5000 Exemplaren. Das Bild Röders als gütigem Landesvater mit untadliger politischer Vergangenheit wurde von Voltmer unter Mithilfe der saarländischen Regierungszentrale, der CDU Saar und der Familie Röder in den schönsten Farben gemalt. Über die Jahre bis 1945 im von NS-Deutschland unterworfenen Holland schreibt Voltmer im 4. Kapitel unter der Überschrift Die sieben niederländischen Jahre:

Für Franz-Josef Röder selbst und seine Frau Magdalene gehörten die sieben Jahre der Lehrtätigkeit an der deutschen Schule in der niederländischen Hauptstadt [sic] Den Haag zu ihren schönsten Jahren überhaupt. Er wollte dieses sowohl für die Tätigkeit als Lehrer, als auch für die Beziehungen zu deutschen und auch vielen holländischen Freunden und Bekannten verstanden wissen. Mitte 1937, damals noch nicht verheiratet, begann er an der deutschen Auslandsschule in Den Haag und blieb auch während der Kriegsjahre bis zur Evakuierung der Schule nach Niedersachsen im Jahre 1944 als Lehrer tätig.

Magdalene Röder, von Voltmer befragt, bestätigte, daß ihr Mann sich zu keiner Stunde belastet fühlte wegen seiner Lehrtätigkeit an der genannten Schule. Auch ehemalige Schüler treibt Voltmer auf, die Röders untadlige Gesinnung und seinen Widerstandsgeist gegen die NS-Ideologie bestätigen sollen:

Nach dem empörenden Überfall auf die neutralen Niederlande wuchsen die Gleichschaltungstenden-zen im Realgymnasium, das dann zur deutschen Oberschule in Den Haag wurde. In der Aula stand bei ›Feierstunden‹ zu den sich häufenden nationalen Anlässen eine Bronze-Büste Hitlers auf der Bühne, über die Dr. Röders abfällige Bemerkungen nicht zu überhören waren. Er setzte sich dann auch nicht vorn in die erste Reihe zum Lehrkörper, sondern hielt sich im Hintergrund. Dabei zeigte er einen belustigt-unverkennbar herablassenden Blick mit leicht zur Seite geneigtem Kopf und demonstrierte, was er von all dem verlogenen Pathos, der großen Zeit, dem Wesen, an dem die Welt genesen sollte, hielt. Haltung war es, was wir von ihm lernten.

Erich Voltmer, Franz-Josef Röder, S. 78.

Die saarländische Öffentlichkeit und Politik glaubten diese Geschichten gerne. Der verstorbene Landesvater wurde und wird gewürdigt als deutscher Patriot, der die Saar heim nach Deutschland gebracht hat. Röder repräsentierte dabei ein Milieu, das nach der zweiten Volksabstimmung 1955 und dem Beitritt zur Bundesrepublik im Saarland die Schaltstellen der Macht in Politik, Gesellschaft, Bürokratie und Massenmedien übernahm. Daß Röder die saarländische Öffentlichkeit und seine Wähler Jahrzehnte lang über seine NS-Vergangenheit belogen und getäuscht hat, will bis heute kaum jemand verurteilen. Wie anders kann man die Ignoranz gegenüber den Forschungsergebnissen zur NS-Vergangenheit einer großen Anzahl saarländischer Nachkriegspolitiker, die bereits 2003 in den Saarbrücker Heften veröffentlicht wurden, interpretieren? Ich hatte Unterlagen im Berlin Document Center gefunden, die zweifelsfrei belegten, daß Röder im Saarland sein Leben und seine Karriere früh mit der NSDAP ver-bunden hatte. In diesem Aufsatz heißt es über Röder:

Nachdem der Ministerpräsident Hubert Ney – er war führender Funktionär der Deutschen Front – am 25. März 1957 zurücktrat, wurde Egon Reinert zu seinem Nachfolger gewählt. Sein Mitgliedsdokument verzeichnet den 1. Juni 1933 als Beitrittsdatum zur NSDAP. Nachfolger Reinerts als Ministerpräsident wurde Franz-Josef Röder, Mitglied der NSDAP seit 1. August 1933, wenig später aus dem Philologenverein aus – und am 1. Februar 1934 dem NS-Lehrerbund beigetreten. Röder war Angehöriger des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps NSKK Sturm 21/7 Saar. Er wechselte 1937 nach Den Haag, wo er Mitglied der illegalen NSDAP-Organisation in Holland wurde. Als Leiter des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Den Haag war er unter anderem für die ›weltanschauliche‹ Beurteilung holländischer Studenten zuständig, die als Nazi-Sympathi-santen einen Studienaufenthalt in Deutschland beantragten.

Röder begann als Lehrer am deutschen Realgymnasium in Den Haag. Die deutschen Schulen in den Niederlanden wurden nach der Machtübernahme der NSDAP zunehmend zu Multiplikatoren der nationalsozialistischen Ideologie. In einem Erlaß über die Zuständigkeit der Vermittlung von Lehrkräften ins Ausland vom 24. Februar 1938 wird folgendes Verfahren festgelegt:

Nach dieser Vereinbarung fällt dem Reichserziehungsministerium die ausschließliche Beurteilung über die pädagogische Eignung der Bewerber zu, während die Auslandsorganisation der NSDAP verantwortlich über die politische und weltanschauliche Eignung zu befinden hat. Die endgültige Beset-zung der einzelnen Stellen bleibt wie bisher der Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes vorbehalten.

Katja Happe, Deutsche in den Niederlanden, Univ. Diss., Siegen 2004, S. 149, http://www.ub.uni-siegen.de/pub/diss/fb1/2004/happe/happe.pdf.

Die Nazifizierung der deutschen Schulen hatte für die wenigen Schüler jüdischer Herkunft den Ausschluß zur Folge. Noch 1933 betrug die Zahl der jüdischen Schüler an Röders Den Haager Realgymnasium 35. Drei Jahre später zu Beginn des Schuljahres 1936/37 war die Schule »judenfrei«. Röder selbst wurde 1937 Mitglied der illegalen Ortsgruppe der NSDAP in Den Haag. Die holländische Regierung hatte bereits Mitte 1933 jede politische Betätigung von Ausländern untersagt. Dies hielt die Nazi-Aktivisten, auch Röder, nicht davon ab, sich weiter im Sinne der NSDAP zu betätigen. Die Parteiorganisation wurde unter der Tarn-bezeichnung »Reichsdeutsche Gemeinschaft« organisatorisch weitergeführt und dem Leiter der NSDAP-Auslandsorganisation in Berlin unterstellt.

Die deutsche Besatzungsherrschaft

Der deutsche Überfall auf die neutralen Niederlande am 10. Mai 1940 war der Beginn der fünfjährigen deutschen Besatzungsherrschaft. Ob das Land in das »Großgermanische Reich« Adolf Hitlers eingegliedert werden oder als ein selbständiges NS-Holland an der Seite Deutschlands weiter bestehen sollte, war im Verlauf des Krieges Gegenstand heftiger Diskussionen unter den verschiedenen Instanzen der deutschen Behörden. Die 8,8 Millionen Einwohner waren einem brutalen Regime der deutschen Polizei und SS unterworfen. Dabei gerieten auch etwa 15 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder, die zuvor aus Deutschland geflüchtet waren, erneut ins Fadenkreuz des NS-Staates. Anfang 1944 befanden sich 120–130 000 Angehörige von Wehrmacht, SS und Polizei in den Niederlanden. Das Land wurde systematisch ausgeplündert und gegen Ende des Krieges großflächig ausgeraubt und zerstört. Bis zum September 1944, als die Kanäle zufroren, waren per Schiff 165 000 und per Schiene 230 000 Tonnen Produktionsmittel nach Deutschland gebracht worden. Allein im Spätherbst 1944 und in den ersten Monaten des Jahres 1945 wurden insgesamt 10 Prozent des Landes, eine Fläche etwas größer als das Saarland, von den deutschen Besatzungsbehörden überflutet, um alliierte Landungen zu verhindern. Hunderttausende Menschen mußten evakuiert werden, die aufgrund der unterbrochenen Transportverbindungen und schwindender Lebensmittelvorräte nicht mehr ausreichend ernährt werden konnten. Die aus diesem Grund ausbrechende Hungersnot mit ihren ca. 18 000 Toten ist in Holland bis heute unvergessen.

Historisch beispiellos war das systematische Mordprogramm an der jüdischen Zivilbevölkerung der Niederlande. Die Entrechtung, Ausplünderung und Konzentration der jüdischen Bevölkerung in Ghettos begann unmittelbar nach der Besetzung des Landes. Der Widerstand der holländischen Bevölkerung gegen die Entrechtung der Juden kulminierte in Amsterdam im Februar 1941 in einem Generalstreik, der von den Deutschen und ihren holländischen Kollaborateuren blutig niedergeschlagen wurde. Die Streikenden wurden im Lager Westerbork konzentriert und von dort aus ab Juni 1942 in die Ver-nichtungslager deportiert. Aus Den Haag, wo die Familie Röder lebte, wurden allein in den Jahren 1942 und 1943 14 000 Menschen verschleppt. Röder hat darüber nie ein Wort verloren. Von den insgesamt 60 026 Menschen, die nach Auschwitz gebracht wurden, überlebten 1052. Nach Sobibor in Ostpolen wurden 34 313 deportiert. Von diesen überlebten 19 aufgrund des erfolgreichen Häftlingsaufstandes am 14. Ok-tober 1943. Insgesamt wurden über 107 000 Menschen nach Auschwitz und Sobibor, nach Theresienstadt und Mauthausen deportiert, von denen 5200 überlebten. In den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern wurden insgesamt ca. 105–110 000 niederländische Bürger ermordet.

Franz-Josef Röder betätigte sich mit dem Beginn der deutschen Okkupation als Mitarbeiter des Deutschen-Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Als 26jähriger arbeitete er als Gutachter für die 1935 in Den Haag gegründete Zweigstelle der Organisation. Der DAAD war dem Außenpolitischen Amt der NSDAP unterstellt. Dessen Leiter war der frühe Hitler-Gefolgsmann Alfred Rosenberg, der 1946 als Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg hingerichtet wurde. Der DAAD wurde 1941 in das »Deutsche Studien-werk für Ausländer« integriert, das von den radikalen Nazis der NS-Studentenführung gesteuert wurde. Geleitet wurde der Dachverband, in dem alle deutschen Stipendienprogramme integriert waren, von dem SS-Offizier Werner Braune, der 1941 als Kommandeur des Sonderkommandos 11b der Einsatzgruppe D in der südlichen Sowjetunion für die Ermordung zehntausender Menschen verantwortlich war und dafür von den Amerikanern in Nürnberg zum Tode verurteilt und 1951 hingerichtet wurde.

Zuständig für die niederländischen Hochschulen und Universitäten war der SS-Offizier und Generalkommissar für Verwaltung und Justiz Friedrich Wimmer. In dieser Funktion war er auch federführend an der Entrechtung und Ausplünderung der holländischen Juden beteiligt. Wimmer hatte sich seine Meriten in der österreichischen NSDAP verdient. Beim Anschluß des Landes an Deutschland im März 1938 spielte er eine führende Rolle bei der Gleichschaltung und Etablierung der Nazi-Herrschaft. Wimmer verfocht während seiner Tätigkeit in Holland die politische Strategie einer »Selbstnazifizierung« der niederländischen Gesellschaft, die selbstverständlich auch den Erziehungs- und Ausbildungsbereich umfassen sollte.

Die Niederlande stellen für die germanische Politik einen Aktivposten dar, genau wie […] Belgien (Flandern). […] Wir brauchen jeden niederländischen Studenten, gleich ob er pro oder anti ist. Wenn er fertig ist und unser Brot ißt, wird er von selbst ohne Nötigung zu uns herübergezogen.

Gerhard Hirschfeld, Die Universität Leiden unter dem Nationalsozialismus, in: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft 23, 1997, S. 563ff.

Diese Strategie scheiterte angesichts des erbitterten Widerstandes der niederländischen Hochschulen, ihrer Professoren und Studenten gegen die Zerschlagung ihrer inneren Autonomie und akademischen Freiheit. Besonders verhaßt waren die antijüdischen Verordnungen der Besatzungsmacht, die die Universitäten zwingen sollten, ihre jüdischen Studenten und Mitarbeiter zu entlassen. Allein an der tradi-tionsreichen Leidener Universität wurden im Zeitraum von Oktober 1940 bis August 1944 40 Hochschullehrer verhaftet und teilweise in deutsche und niederländische Konzentrations- und Internierungslager eingeliefert.

Auch das Vorgehen gegen die 14 600 Studenten an den sechs Universitäten und vier Fachhochschulen des Landes verschärfte sich im Verlauf der deutschen Besatzungsherrschaft. Im April 1943 verlangten die Nazis von den holländischen Studenten, eine Loyalitätserklärung für das Deutsche Reich zu unterschreiben. Im Falle der Verweigerung drohten die Deportation nach Deutschland und der Einsatz zur Zwangsarbeit. Trotz der immensen Einschüchterung und Bedrohung unterschrieben nur 14 Prozent der niederländischen Studenten diese Erklärung. Tausende tauchten ab in die Illegalität, und das Scheitern der Aktion bedeutete das Ende der universitären Ausbildung in den besetzten Niederlanden.


Wimmer umriß die immensen Probleme der deutschen Besatzung im Hochschulbereich in einem Memorandum für den Chef der deutschen Besatzungsverwaltung Arthur Seyß-Inquart. In Zukunft sollten holländische Studenten nur noch an Universitäten im Deutschen Reich studieren können. Dies würde eine künftige deutschfreundliche Elite schaffen, die die intellektuelle Basis für eine Eingliederung Hollands in das »Großdeutsche Reich« bilden würde. Mitbeteiligt an dem zentralen Memorandum für die Spitze der deutschen Zivilverwaltung war Franz-Josef Röder, der in Den Haag zuständig war für das Studium holländischer Studenten im Deutschen Reich. In einem Brief an seinen Chef, SS-Offizier Wimmer, schreibt Röder über die kollaborierenden holländischen Studenten, die sich dem breiten Widerstand gegen die Be-satzer nicht anschließen wollten und bereit waren, an Hitlers Universitäten zu studieren, mit Sympathie. Gemäß dem Programm der »Selbstnazifizierung« setzt er geschickt auf Freiwilligkeit und die Anziehungskraft der »nunmehr führenden Macht des Kontinents«. Bemerkenswert ist die hohe Zahl der von Röder betreuten Kollaborateure und seine Bereitschaft, sie zu »beobachten«. Wie dieser Aufwand mit einer angeblich »ehrenamtlichen Tätigkeit« und der offiziellen Lehrertätigkeit an der Deutschen Oberschule (so der Name des ehemaligen Realgymnasiums seit 1939) in Den Haag zu vereinbaren war, wissen wir nicht. Kein Verständnis hat Röder hingegen für die sich den Nazis verweigernden hollän-dischen Studenten, die für ihn die »Unruhestifter an den Universitäten« sind. Mit ihnen wurde brutal verfahren: Bis Anfang November 1943 wurden nach deutschen Angaben 2919 holländische Studenten nach Deutschland deportiert. Die meisten von ihnen nach Berlin, wo sie in Rüstungsbetrieben Zwangs-arbeit verrichteten mußten. Etliche Hundert kamen in den Wolfenbütteler »Hermann-Göring-Werken« sowie im nahe gelegenen Volkswagenwerk zum »Arbeitseinsatz«. Mehr als 140 von ihnen starben aufgrund der brutalen Lebensumstände oder nach ihrer Einlieferung in ein Konzentrationslager.

Röder als Propagandist

942, da ist Röder schon 33 Jahre alt, erschien im deutschen Diesterweg-Verlag der Sammelband Das Niederlandbuch. Das Werk, für das auch Röder einen Aufsatz beisteuerte, diente der deutschen Propaganda und versammelte als Autoren einen Querschnitt hoher Chargen der deutschen Besatzungsmacht, NS-Wirtschafts- und Kulturfunktionäre, die zusammen mit holländischen Kollaborateuren ihre Beiträge über die Vergangenheit und Zukunft Hollands, speziell über Wirtschaft, Nationalsozialismus und Juden publizierten. Das Vorwort schrieb Arthur Seyß-Inquart, der 1946 in Nürnberg als Hauptkriegsverbrecher gehenkt wurde. Er betont in seinem Text, daß man den Niederländern von deutscher Seite stets mit Liebe und Verständnis entgegentreten sei. Das Buch erhielt damit eine zentrale Bedeutung für die ideologische Verbrämung der deutschen Besatzungs- und Vernichtungspolitik. Als eigentlicher Herausgeber fungierte Walter Söchting, der Leiter der deutschen Oberschule in Den Haag, und damit Röders unmittelbarer Vorgesetzter. Söchting schreibt kritisch über das Deutschlandbild der Niederländer vor dem Mai 1940: »Bis zum Mai 1940 war das Deutschlandbild hier von Emigranten bestimmt. Die öffentliche Meinung war völlig irregeleitet und stand dem Nationalsozialismus ohne Verständnis gegenüber.« Söchting ist stolz darauf, daß die höchsten deutschen SS- und NS-Funktionäre der Niederlande das Buch unterstützt haben.

Für Rat und Förderung bin ich Herrn Reichs-minister Dr. A. Seyß-Inquart, Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete, Haupt-dienstleiter Fritz Schmidt-Münster, Leiter des Ar-beitsbereichs der NSDAP in den Niederlanden, Be-reichsleiter Sommer und für seinen Beitrag Herrn Generalkommissar Dr. Fischböck zu besonderem Dank verpflichtet.

Walter Söchting, Das Niederlandbuch. Sammlung deutscher und niederländischer Arbeiten, hrsg. von Walter Söchting, Frankfurt am Main: Diesterweg 1942, Einleitung, S. XV.

Josef Röder (der Franz kommt nach 1945 hinzu) schreibt im Teil Die Niederlande und das Reich einen Aufsatz mit dem Titel Marnix von St. Aldegonde vor dem Reichstag zu Worms 1578. Ein Hilferuf der Niederlande an das Reich. Der Text war bereits vorher im zentralen Nazi-Blatt Deutsche Zeitung in den Niederlanden veröffentlicht worden. Die Publikation war für deutsche und holländische Nazimitglieder und die Angehörigen der Besatzungsmacht bestimmt. Sie erreichte zeitweise eine Auflage von 50 000 Exemplaren. Röder betreibt in seinem Aufsatz die Historie als nationalistische Propaganda: Laut ihm gehörten die Niederlande schon 1578 zum »Reich«, und nur durch eine schlechte Politik wurden sie Deutschland entfremdet. Dies dürfe sich in der Gegenwart nicht wiederholen. Er schließt mit dem Hinweis auf die geschichtlich entscheidende Stunde:

Heute ist das Reich so stark wie es noch niemals in seiner Geschichte gewesen ist. Als die führende Macht in Europa wird es diesem Erdteil eine neue politische und wirtschaftliche Form geben. Heute liegt es an den Niederlanden, sich in diese Neuordnung mit einzubauen und, wie der Reichskommissar es kürzlich ausdrückte, die dargereichte Freundeshand anzunehmen.

Josef Röder, Marnix von St. Alegonde vor dem Reichstag zu Worms 1578. Ein Hilferuf der Nieder-lande an das Reich, in: Das Niederlandbuch, S. 149.

Dies gilt selbstverständlich nicht für die holländischen Juden. Mitte 1942, als das Buch erscheint, beginnt die Deportation der jüdischen Niederländer und tausender jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland in die Massenvernichtungslager Auschwitz und Sobibor. Auch dies findet seine propagandistische Unterstützung im Niederlandbuch. Der Münchner Philosophieprofessor Hans Alfred Grunsky schreibt darin über den jüdischen Philosophen Baruch Spinoza im Ton des antisemitischen Hetzblatts Der Stürmer. Grunsky verkündet, daß es sich bei Baruch Spinoza um keinen Philosophen, sondern um einen Schwindler gehandelt habe, der sich als »gerissener Bankjude« betätigt hätte. Spinoza zeichnete sich durch nichts an-deres als »durch die Gewandtheit aus, sich die Gedanken großer germanischer Philosophen anzueignen.« Mit den Juden beschäftigt sich zudem der holländische Kollaborateur und Propagandist der »Endlösung« Dr. P. Molenbroek. Sein Beitrag wurde vom Herausgeber Söchting ins Deutsche übersetzt und ist nichts anderes als die Aufforderung zum Massenmord.

Aber der gesunde und völkisch fühlende Teil unseres Volkes hat stets den Juden seine Abkehr gezeigt. […] Seitdem sich die Nationalsozialisten frei in den Niederlanden entfalten können, wächst auch der Antisemitismus im Lande. Es zeigt sich, wie groß die Zahl der Judengegner in Holland gewesen ist. […] In Amsterdam versuchten die Juden sogar, einen Aufstand der niederländischen Bevölkerung und einen Streik zu entfesseln, bei dessen schneller Niederwerfung auch niederländische Opfer zu beklagen waren. Als Antwort und Warnung hat der Reichskommissar am 12. März 1941 in Amsterdam erklärt, daß sein Wort bestehen bleibt: ›Die Juden werden von uns nicht als Bestandteil des niederländischen Volkes angesehen. Die Juden sind für den Nationalsozialismus und das nationalsozialistische Reich der Feind. Die Juden sind für uns keine Niederländer.‹

P. Molenbroek, Die Juden in den Niederlanden, in: Das Niederlandbuch, S. 56.

Dieses Buch bildete die propagandistische Begleitmusik für die deutsche Ausbeutungs- und Vernichtungspolitik in den besetzten Niederlanden in den Jahren 1940–45. Röder war dafür als deutscher Besatzungsfunktionär und langjähriger Aktivist der NSDAP politisch mitverantwortlich. Nach dem Krieg hat er die saarländische Bevölkerung über diese Tätigkeit mit Hilfe seiner publizistischen Hilfstruppen jahrzehntelang belogen und sich aktiv an der Ausgrenzung und Diffamierung der saarländischen Widerstandskämpfer gegen Hitler beteiligt. Er trägt als hoher CDU-Funktionär und langjähriger Ministerpräsident eine große politische Mitverantwortung für die politische und moralische Rehabilitierung von hochrangigen Mitgliedern der saarländischen Nazi-Funktions- und Vernichtungselite. Franz-Josef Röder war kein Ehrenmann und verdient deswegen auch keine öffentliche Ehrung.


Anmerkungen

1Erich Später, Das Wort des Führers ist unser Befehl. Heinrich Schneider, ein deutscher Patriot, in: Saarbrücker Hefte Nr. 89, Frühjahr 2003, S. 95–103.

2 Gerhard Paul, Die NSDAP des Saargebietes, Saarbrücken: SDV 1987, S. 122.

3 Saarbrücker Zeitung vom 27. 6. 1979, S. 2.

4 Erich Voltmer, Franz-Josef Röder. Ein Leben für die Saar, Dillingen: Queisser 1979.

5 Ebd., Einleitung.

6 Ich habe damals als Buchhändlerlehrling bei Queißer in Dillingen gearbeitet und diese Auskunft von dem Verleger selbst erhalten.

7 Erich Voltmer, Franz-Josef Röder, S. 69.

8 Ebd., S. 78.

9 Erich Später, Das Wort des Führers ist unser Befehl.

10 Ebd., S. 102 f.

11 Katja Happe, Deutsche in den Niederlanden, Univ. Diss., Siegen 2004, S. 149, http://www.ub.uni-siegen.de/pub/diss/fb1/2004/happe/happe.pdf; Zahlenangabe Den Haag Schuljahr 1933/44, S. 167.

12 Ebd., S. 155.

13 Ebd., S. 90.

14 Dokumentenedition Europa unterm Hakenkreuz, Bd. 4: Die faschistische Okkupationspolitik in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden, Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften 1990, S. 77.

15 Enzyklopädie des Holocaust, Bd. 2, Stichwort Niederlande, München: Piper 1995.

16 Gerhard Hirschfeld, Die Universität Leiden unter dem Nationalsozialismus, in: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft 23, 1997, S. 563.

17 Ebd., S. 563 ff.

18 Siehe Dokument Röder.

19 Ebd.

20 Gerhard Hirschfeld, Die Universität Leiden unter dem Nationalsozialismus, S. 579.

21 Walter Söchting, Das Niederlandbuch. Sammlung deutscher und niederländischer Arbeiten, hrsg. von Walter Söchting, Frankfurt am Main: Diesterweg 1942.

22 Walter Söchting, Einleitung, ebd., S. XIV.

23 Ebd., S. XV.

24 Josef Röder, Marnix von St. Alegonde vor dem Reichstag zu Worms 1578. Ein Hilferuf der Niederlande an das Reich, in: Das Niederlandbuch, S. 145 f.

25 Ebd., S. 149.

26 Hans Allfred Grutzky, Spinoza, in: Das Niederlandbuch, S. 228.

27 P. Molenbroek, Die Juden in den Niederlanden, in: Das Niederlandbuch, S. 56.