Angela Miracle und andere unbequeme Wahrheiten
Erleben wir gerade den Anfang vom Ende unserer schönen Vision eines geeinten Europa? Erleben wir gerade, wie das Projekt Europa mit offenen Grenzen, mit einer Werte-, Wirtschafts- und politischen Gemeinschaft krachend gegen die Wand fährt? Erleben wir gerade, wie alles, was die Europäer seit dem Zweiten Weltkrieg mühsam aufgebaut haben und was gerade wir Saarländer als überzeugte Europäer besonders schätzen, unter den Heraus-forderungen des Flüchtlingsproblems zusammenbricht?
Auch der »Aufmacherbeitrag« der neuen Ausgabe der Saarbrücker Hefte, liebe Leserinnen und Leser, beschäftigt sich mit diesem zur Zeit alles überlagernden Thema: den Flüchtlingen. In seinem Artikel mit der schönen Überschrift »Angela Miracle« zeigt sich unser Autor Ekkehart Schmidt nicht nur als sachkundiger und nachdenklicher Kommentator. Als praktischer Helfer vor Ort weiß er auch, wie es im Alltag der Flüchtlinge aussieht. Ergänzt wird Schmidts Beitrag von Bildern der Fotografin Stefanie Zofia Schulz. Sie hat ein Jahr lang den Alltag der Flüchtlinge in der Landesaufnahmestelle Lebach beobachtet. In einer Bilderstrecke, die sich durch das ganze Heft zieht, zeigen wir, was sie dort gesehen hat.
Mit Politik hat auch der Beitrag von Julian Bernstein eine Menge zu tun. Unter der Überschrift »Moralisch im Reinen« hat sich unser Redaktionskol-lege noch einmal über die Biografie Franz Josef Röders gebeugt. Sein Befund: Die NS-Vergangenheit des langjährigen saarländischen Ministerpräsidenten wird immer noch verharmlost und schöngeredet.
Dass wir uns in den Saarbrücker Heften gerne und ausgiebig mit unseren französischen Nachbarn beschäftigen, sind Sie, liebe Leserinnen und Leser, ja schon gewohnt. Auch in dieser Ausgabe finden Sie einen ausführlichen Frankreichblock. Stefan Ripplinger berichtet über den Zweiten Weltkrieg im Elsaß und die Rolle der Résistance damals. Es geht um André Malraux, den französischen Autor und Politiker, es geht aber auch um den Filmemacher Jean Marie Straub, dessen Film »L’aquarium et la Nation« aus dem Jahre 2015 auf Themen und Texten von André Malraux basiert. Hans Emmerling, unser Elsaß- und Lothringen-Versteher, nimmt uns mit zu einer weiteren Entdeckungstour durch das Elsaß und durch Lothringen. »Es gibt Orte, die die Seele aus ihrer Lethargie befreien«, hat Maurice Barrès, der französische Autor, einmal gesagt. Emmerling hat immer wieder solche Orte entdeckt. Auch diesmal ist er fündig geworden. Außerdem lassen wir Antoine Voisine zu Wort kommen. Er studiert in Saarbrücken und schildert in seinem Beitrag »Nanteser Butterkeks« die Eindrücke eines Nantesers in Saarbrücken und dem Saarland.
Natürlich ist im neuen Heft die Literatur auch wieder ausgiebig vertreten. Ralph Schock, Literatur-Redakteur beim Saarländischen Rundfunk, erinnert sich in einer kleinen Geschichtensammlung an seine saarländische Kindheit zwischen französischen »Crèmeschnittchen« und aus dem »Reich« geschmuggeltem Bohnenkaffee. Mohsen Ramazani Moghaddam, der legendäre Kneipenwirt aus dem Saarbrücker Szene-Treff Bingert, erzählt uns eine Geschichte aus seiner persischen Heimat und Jörg W. Gronius, Saarbrücker Autor, hat eine Hommage an den polnisch-amerikanischen Dirigenten Stanislaw Skrowaczewski, der vor wenigen Wochen in der Saarbrücker Kongreßhalle ein außergewöhnliches Konzert dirigierte, geschrieben. Außerdem drucken wir Gedichte von Yvonne Lachmann und Arnfrid Astel.
Die Galerie, unser regelmäßiger Platz für die Bildende Kunst, gehört diesmal dem Saarbrücker Aktionskünstler Peter Strickmann. Mit seiner Kamera und »spontanen Manövern«, wie er es nennt, hat er sich mit den Saarbrücker Brunnen beschäftigt.
Zum Schluß noch ein Wort in eigener Sache: Ab diesem Heft kümmert sich der Blattlaus Verlag und Druckerei in Saarbrücken um Layout, Druck und Vertrieb der Saarbrücker Hefte. Der Verein Saarbrücker Hefte und die Redaktion erhoffen sich von dieser Konzentration von Layout, Druck und Vertrieb in einer Hand eine Vereinfachung der Arbeitsabläufe, mehr Effizienz und neuen Schwung für die Arbeit. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Partner!
Gleichzeitig möchten wir aber auch dem Pfau Verlag Saarbrücken bzw. Friedberg/Taunus und der Druckerei Steinmeier aus Deinigen ganz herzlich danken. Seit dem Jahr 2000 waren sie für Layout, Druck und Vertrieb zuständig. Insbesondere mit Sigrid Konrad vom Pfau-Verlag haben wir all die Jahre vertrauensvoll und freundschaftlich zusammengearbeitet.
Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Spaß mit der neuen Ausgabe der Saarbrücker Hefte.
Dietmar Schmitz
Ekkehart Schmidt
Angela Miracle, der kleine Taha und die Angst vor dem Kontrollverlust
Michael Groß
Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Internet
Nicholas Williams
Ein Archivar auf rechten Pfaden
Der Germanist Günter Scholdt macht sich die Welt,
wie sie ihm gefällt
Julian Bernstein
Moralisch im Reinen
Der Historiker Heinrich Küppers verharmlost in einer Biografie die NS-Vergangenheit Franz Josef Röders
Stefan Ripplinger
Der metaphysische Elsässer
André Malraux, der Widerstand im Elsaß
und ein Film von Jean-Marie Straub
Antoine Voisine
Saarbrücken aus der Sicht eines Nanteser »Butterkeks«
Hans Emmerling
Weites Land
Mohsen Ramazani-Moghaddam
Ein Kind
Peter Strickmann
Präparierte Brunnen
Arnfrid Astel
Ein Requiem für Tanja Gräff
Ralph Schock
Nestelknappe
Yvonne Lachmann
Bündel
Jörg W. Gronius
Der Dirigent
Soja Bojurova
Der Osten trifft auf den Westen
Über das künstlerische Werk von Aloys Ohlmann (1938-2013)
Georg Bense
Fragen Sie Oberhauser!
Erinnerungen an eine saarländische Ikone
Gewerkschaftsgeschichte
Harald Glaser
Die Erinnerung an die Saarabstimmung 1935 und ihre Auswirkungen auf die Gewerkschaftspolitik im »autonomen« Saarland (1945-55)
Rezensionen
Marcel Ophüls, Meines Vaters Sohn (Georg Bense)
Thomas Kling, Die gebrannte Performance (Konstantin Ames)
Ralph Schock, »Cher Georges« – »Cher Eugen«. Die Korrespondenz zwischen Eugen Helmlé und Georges Perec. (Georg Bense)
Carolina Römer, Die irische Meerjungfrau, Greed Castl, Das Labyrinth des Malers
(Lutz Hahn)
Frank Hirsch, Die Einheitsgewerkschaft im Saarstaat 1945 – 1955/57.
Demokratisierungsbeitrag, Krisenerfahrung und Sozialkonflikt (Wilfried Busemann)
Kristina Scherer (Text)/Frank Siegwarth (Fotos), 111 Geschäfte in der Region Saar-Lor-Lux, die man erlebt haben muss. (Roland Bernd)
Konstantin Ames, geb. 1979 in Völklingen. Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft in Greifswald und Leipzig, M.A., lebt als Schriftsteller und Kritiker in Berlin.
Arnfrid Astel, geb. 1933 in München und in Weimar und Windsbach aufgewachsen. Studierte Biologie und Literaturwissenschaft in Freiburg und Heidelberg. Er hat bisher 13 Gedichtbände und einen Band mit freinen Reden veröffentlicht. Leiter der Literaturabteileung des SR von 1969 bis 1998. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Letzte Veröffentlichung: Götter im Schlosspark. Blankverse aus Wiepersdorf. Mit Fotos von Klaus Behringer. Topicana Band 28. Saarbrücken, 2013. Homepage: www.zikaden.de.
Georg Bense, geb. in Köln, aufgewachsen in Stuttgart, Fernsehjournalist, Autor, Regisseur und Kameramann, zahlreicher Filme für ARD, UDF und arte.
Roland Bernd, geb. 1966, Studium der Germanistik und Anglistik in Saarbrücken und Bristol; Erstes Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien, Buchhändlerausbildung; seit 2001 Mitarbeiter in Presse & Pr der Kfz-Überwachungsorganisation KÜS; 1992 – 2011 Rezensent bei der Bücherlese (SR2 KulturRadio).
Julian Bernstein, geb. 1981 in Saarbrücken, Studium der Geschichte, der Interkulturellen Kommunikation und der franz. Literatur, M.A., als freier Journalist u. a. tätig für SR2, Saarbrücker Hefte, Jungle World, RTBF, Jüdische Allgemeine, Woxx.
Wilfried Busemann, Historiker, im Ruhrgebiet aufgewachsen, Veröffentlichungen zur Geschichte rheinischer und saarländischer Arbeiterbewegungen, zur Alltagsgeschichte und zur Entschädigung saarländischer NS-Opfer.
Harald Glaser, Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Germanistik, Staatsexamen, M.A., historische und museumsdidaktische Projekte zur Völklinger Hütte und zur Alten Schmelz St. Ingbert, Veröffentlichungen und Ausstellungen zur Industriegeschichte, z. Zt. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dokumentationszentrum der Arbeitskammer des Saarlandes.
Jörg W. Gronius, geb. 1952 in Berlin, studierte Theaterwissenschaften, arbeitete als Dramaturg und Regisseur. Er schreibt Texte über und für das Theater, vor allem Dramen und Libretti. Für die autobiographisch motivierte Romantrilogie Ein Stück Malheur (2000), Der Junior (2005) und Plötzlich ging alles ganz schnell (2007) erhielt er den Ben-Witter-Preis. Letzte Veröffentlichung: Traumwohnungen & Götter. Gedichte & Anrufungen, PoCul-Verlag, Saarbrücken 2014.
Michael Groß, geb. 1986 in St. Wendel; Studium der Politik- und Erziehungswissenschaft in Marburg und Trier; Master of Arts; seit 2015 Mitarbeiter im Adolf-Bender-Zentrum e.V.; Arbeitsschwerpunkte: Beratung und Projektarbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus.
Lutz Hahn, geb. 1941 in Zweibrücken, aufgewachsen in Dahn/Pfalz, Studium Germanistik und Geschichte in Saarbrücken; 1969 bis 2005 Programmgestalter (Redakteur) beim SR im Bereich Unterhaltung-Wort Hörfunk.
Mohsen Ramazani-Mogghaddam, Doktor der Physik, geb. 1950 im Iran, kam 1973 zum Studium nach Deutschland. Von 1978 – 1998 war er Teil des Gesellschaftsexperiments Gasthaus Bingert. Über diese Zeit hat er 2014 das Buch Ein Hauch Vergangenheit verfasst.
Stefan Ripplinger, geb. 1962 in St. Ingbert. Freier Autor. Von ihm erschien zuletzt der Essay Vergebliche Kunst (Berlin 2016).
Ekkehart Schmidt, geb. 1964 in Kassel, Dipl.-Volkswirt, lebt seit 1994 im Saarland, dort bis 2008 wiss. Angestellter des isoplan-Instituts bzw. isoplanCONSULT, spezialisiert auf Migrationsfragen, u.a. Co-Autor der ersten Flüchtlingsberichte Thüringens 2001 und des Saarlandes 2002 und 2004, seit 2008 bei etika in Luxemburg in der Sozialfinanz tätig.
Ralph Schock, geb. 1952 in Ottweiler (Saarland). Germanistik- und Philosophie-Studium. 1973 – 1974 Ersatzdienst. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität des Saarlandes (1977 – 1984). 1984 Dissertation über Gustav Regler: Literatur und Politik (1933 – 1940). Seit 1987 Literaturredakteur beim Saarländischen Rundfunk. Zahlreiche Gesprächssendungen mit Autoren.
Stefanie Zofia Schulz, geb. 1987 in Nagold, studierte Fotografie an der Ostkreuzschule in Berlin und machte 2013 ihren Abschluß bei Thomas Sandberg. Mit ihrer Abschlußarbeit DULDUNG gewann sie den 1. Preis vom Studierendenwettbewerb vom Bundesinnenministerium. Sie ist Stipendiatin der VG-Bildkunst und lebt als freischaffende Fotografin in Berlin und im Saarland.
Ihre dokumentarischen sowie auch künstlerischen Arbeiten befassen sich größtenteils mit gesellschaftlichen und sozialen Themen, bei denen stets ist der Mensch im Fokus steht. Ihre Fotoarbeit DULDUNG wird momentan im Foyer des saarländ. Staatstheaters ausgestellt. Homepage: www.schulzstefanie.de.
Nicholas John Williams, Historiker, Promotionsstudent an der UdS und der Université Paris-Sorbonne, zuvor Studium in Heidelberg und Aberystwyth.