Daß nicht alle Leserinnen und Leser unsere Texte mögen, sind wir gewohnt. Und dagegen ist auch nichts einzuwenden. Beanspruchen wir doch mit unserer Zeitschrift Meinungsbildung im Rahmen einer Streit- und Debattenkultur. Da gibt es Leute, die uns vorwerfen, wir seien ideologisch gefärbt (Meinrad Grewenig). Andere können uns noch viel weniger leiden und beschimpfen uns als »Feiglinge«, »Stinktiere«, »Lumpen« und als einseitiges Gesinnungsblatt (Günter Scholdt). Diese Leute meinen, wir stünden viel zu weit links. Doch das ist offenbar ein großer Irrtum. Im Mai erreichte uns ein Offener Brief der Ortsgruppe Völklingen der Partei Die Linke, in dem unserer Berichterstattung über die Diskussion zur Umbenennung der früheren »Hermann-Röchling-Höhe« eine »Gefangenschaft in der Zeit des Kalten Krieges« sowie mangelnde journalistische Sorgfalt und fehlender Anstand zur Last gelegt wurden. »Linke Menschen« wurden aufgefordert, die Saarbrücker Hefte »rechts« liegen zu lassen. Unser Vergehen: Wir haben in unseren Beiträgen zum Thema Röchling und Völklingen Die Linke nicht lobend erwähnt, und in Heft 105 hatte unsere Redakteurin Mirka Borchardt es sogar gewagt, eine kritische Anmerkung zum taktischen Verhalten der Partei in der Auseinandersetzung anzubringen.
Wir wollen auch künftig gesellschaftliche Ereignisse und Konflikte im Lande kritisch begleiten, in konstruktiver Weise, auch pointiert. Aber Auftragsjournalismus oder Parteimarketing sind uns fremd. So werden wir auch die Entwicklung des Völklinger Stadtteils im Auge behalten. Um kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen, war in der Hüttenstadt eine Aufarbeitung der Rolle Hermann Röchlings in Aussicht gestellt worden. Eine solche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit findet aber weiterhin nicht statt. Statt dessen wird die Beweihräucherung der Ikone Röchling fortgesetzt. Zuletzt wurde an einem Gedenkstein für ihn eine Plakette von der Völklinger Allgemeinen Baugenossenschaft 04 angebracht, die hervorhebt, daß der Kommerzienrat deren Mitbegründer und Initiator der nach ihm benannten Siedlung war. Für Ende August hatte eine »Interessengemeinschaft Hermann- Röchling-Höhe« ein Fest anläßlich des 75. Geburtstags der in dem Stadtteil auf der Höhe gelegenen Siedlung als »politikfreie« Veranstaltung angekündigt. Mitglieder der Bürgerinitiative »Bouser Höhe – gegen das Vergessen und die Gleichgültigkeit « weisen zurecht darauf hin, daß dies nichts anderes bedeutet, als die Taten
Röchlings ein weiteres Mal unter den Tisch kehren zu wollen. Unverkennbar ist, daß man in Völklingen die Angelegenheit Röchling aussitzen und weitermachen will wie bisher, mit dem Ergebnis, daß noch immer ein Ortsteil nach einem prominenten NS-Kriegsverbrecher benannt ist – ein einzigartiger Vorgang in Deutschland. Als Schirmherr der Festveranstaltung hat der Völklinger Oberbürgermeister Klaus Lorig (CDU) hiermit keine Probleme.
Schwerpunkte dieser Ausgabe liegen bei historischen Themen. Zur Sportgeschichte liefert Bernd Reichelt einen Beitrag zum Fußball an der Saar in den zwanziger Jahren, und ein Interview mit Tobias Fuchs klärt über den Geschichtsort Ellenfeldstadion in Neunkirchen auf. Fabian Trinkhaus hat die Freizeitaktivitäten Neunkircher Arbeiter im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert recherchiert. In sozialgeschichtlicher Perspektive berichtet Harald Glaser über den Vorläufer der heutigen Arbeitskammer zu Zeiten des Völkerbundes. War diese Periode im damaligen Saargebiet wesentlich durch einen Antagonismus der Interessen Frankreichs und der hiesigen Bevölkerung bestimmt, bestand ein entsprechender Interessenkonflikt im benachbarten Lothringen nach dessen Annexion durch das Deutsche Reich in der Zeit von 1871 bis 1914 und nach der Besetzung durch die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Dies nicht ohne Folgen für das Bewußtsein und das Bild von Deutschland und den Deutschen bei der Bevölkerung des französischen Departements. Über Veränderungen dieses Bildes in den letzten Jahren schreibt der Frankreichkenner Rolf Wittenbrock.
Immer wieder stellen wir Fragen der Stadtplanung in Saarbrücken zur Diskussion. Igor Torres, mit früheren Beiträgen manchen Lesern bekannt, reflektiert die aktuelle und zukünftige städtebauliche Situation der Landeshauptstadt. Sabine Graf hat Andrea Jahn, die neue Leiterin der Stadtgalerie Saarbrücken, zu ihren Plänen und Ausstellungsvorhaben befragt. Ein weiterer Schwerpunkt gilt der Literatur. Wir bringen Auszüge aus einem Bühnenwerk zu Gustav Regler von Georg Bense, das dieser aus Anlaß des 50. Todestages des Schriftstellers verfaßt hat. Zum 80.Geburtstag Arnfrid Astels veröffentlichen wir einige Blankverse des Jubilars. Und ein von Ralph Schock mit Péter Nádas im Saarbrücker Filmhaus geführtes Gespräch über dessen Roman Parallelgeschichten rundet dieses literarische Triptychon ab.
Anfang April verstarb nach längerer schwerer Krankheit der Verleger Roland Buhles im Alter von 54 Jahren. Nach Anfängen mit einem Kopierladen im Nauwieserviertel war er Inhaber einer Druckerei und gründete vor zwölf Jahren mit Stefan Wirtz den Conte-Verlag. Schnell mauserte sich dieser zu einem achtbaren Literatur- und Sachbuchverlag, der auch außerhalb des Saarlandes Beachtung fand.
Roland Buhles wußte, daß ein Verlag davon lebt, daß er Bücher herausbringt, die sich verkaufen lassen. Mit solchen Bestsellern war es ihm möglich, Bücher zu machen, die ihm sehr am Herzen lagen. Selbst das Verlegen von Lyrikbänden schreckte ihn nicht.
Wer die regelmäßig von Buhles verschickten E-Mails erhielt, der konnte nicht nur Neuigkeiten aus dem Verlagsprogramm erfahren, sondern auch, daß der Verleger ein gesellschaftskritischer Kopf war. In seinen Mails bezog er zu vielerlei Themen aus der Nähe und Ferne Stellung und würzte seine Texte mit durchaus kräftigen Attacken auf die politische Klasse.
Die saarländische Literaturszene verliert mit Roland Buhles einen leidenschaftlichen Verleger, der weit über die Grenzen des Saarlandes hinaus wirkte.
Die Redaktion
Editorial
Kritik von allen Seiten
Freizeitkutur
Bernd Reichelt
Ein Hauch von Weltfußball. Die Arbeitsmigration ausländischer
Spieler nach dem Ersten Weltkrieg und die »Scheinblüte« des
saarländischen Fußballs 1920–1924
David gegen Goliath
100 Jahre Ellenfeld-Stadion in Neunkirchen
Fabian Trinkaus
Arbeiterfreizeit in der Hüttenstadt Neunkirchen vom späten 19.
Jahrhundert bis zur Saarabstimmung 1935
Fenster nach Frankreich
Rolf Wittenbrock
Metz entdeckt seine deutsche Vergangenheit. Von der Last der
Geschichte und der Überwindung historischer Tabus
Kunst
Eine Bühne für aktuelle Kunst in Saarbrücken und der Großregion
Ein Gespräch mit Andrea Jahn, Leiterin der Stadtgalerie Saarbrücken
Galerie
Eric Lanz, Videoarbeiten
Universität
Ulrich Herb
Prekäres Forschen an Universitäten und die Sparpolitik der
saarländischen Landesregierung
Urbanität
Igor Torres
Randunschärfen
Stadt, Region und die Frage nach der Zukunft
ai ti:
Ulrich Herb und Michael Weller
Offener Zugang zu Verwaltungsdaten an der Saar
Oder: Von Hamburgern und Rindern
Literatur
Georg Bense
Der Zwang in meinem Leben
oder Triptychon mit Gustav Regler
»Ja, ich bin das Chaos. Chaos herrscht in mir.«
Ein Gespräch mit Péter Nádas über seinen jüngsten Roman
Parallelgeschichten
Ach!zig jAhre Arnfrid Astel
Zeitgeschichte
Harald Glaser
»Ein Werkzeug des sozialen Friedens«
Die Arbeitskammer im Saargebiet 1925–1935
Rezensionen
Karin Lindemann/Monica Schefold, Aus dem Staub gemacht
(Uschi Schmidt-Lenhard)
Graf Drakeli – Die CD (Roland Bernd)
Johannes Schäfer, Das autonome Saarland (Wilfried Busemann)
Hermann Gätje, Leben und Leben schreiben (Georg Bense)
Eva Mendgen (Hrsg.), Au Centre de l’Europe / Im Reich der Mitte2
(Patrik H. Feltes)
Georg Bense, geb. in Köln, aufgewachsen in
Stuttgart, Fernsehjournalist, Autor, Regisseur
und Kameramann zahlreicher Filme für ARD,
ZDF und arte.
Roland Bernd, geb. 1966, Studium der Germanistik
und Anglistik in Saarbrücken und
Bristol; Erstes Staatsexamen für das Lehramt
an Gymnasien, Buchhändlerausbildung; seit
2001 Mitarbeiter in Presse & PR der Kfz-Überwachungsorganisation
KÜS; 1992–2011 Rezensent
bei der Bücherlese (SR2 KulturRadio).
Wilfried Busemann, Historiker, im Ruhrgebiet
aufgewachsen, Veröffentlichungen zur
Geschichte rheinischer und saarländischer Arbeiterbewegungen,
zur Alltagsgeschichte und
zur Entschädigung saarländischer NS-Opfer.
Patrik H. Feltes, gen. Veltz, geb. in Wadgassen/
Saar, Literatur- und Kulturwissenschaftler
(M. A.); neben wiss. Veröffentlichungen
Beiträge in Publikationen der Großregion.
Mitinitiator der Aktionen zum Welttag
der Muttersprache 2012/2013; jüngste Veröffentlichung:
Annaschda gesaat, Merzig 2013.
Harald Glaser, Studium der Soziologie, Politikwissenschaft
und Germanistik, Staatsexamen,
M. A., historische und museumsdidaktische
Projekte zur Völklinger Hütte und zur
Alten Schmelz St. Ingbert, Veröffentlichungen
und Ausstellungen zur Industriegeschichte,
z. Zt. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im
Dokumentationszentrum der Arbeitskammer
des Saarlandes.
Sabine Graf, Dr., geb. 1962 in Zweibrücken,
Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie
an der Universität des Saarlandes,
Promotion über den Schriftsteller Otto Flake
und dessen publizistisches Werk zwischen
Selbstverständigung und Selbstinszenierung.
Arbeitet als Autorin und Kunstkritikerin.
Ulrich Herb, Diplom-Soziologe, Promovend
in Informationswissenschaft. Seit 2001 aktiv
in der Open-Access- und Open-Knowledge-
Szene. Angestellter der Saarländischen Universitäts-
und Landesbibliothek, freiberuflicher
Journalist und Wissenschaftsberater,
universitärer Lehrbeauftragter.
Bernd Reichelt, geb. 1978 in Riedlingen.
Studium der Historisch orientierten Kulturwissenschaften
in Saarbrücken (Dipl.-Kulturwissenschaftler).
Seit 2011 Mitarbeiter im
Forschungsbereich Geschichte und Ethik der
Medizin im ZfP Südwürttemberg in Zwiefalten.
Dissertation Fußballsport im dt.-frz. Grenzraum
Saarland/Moselle, 1900–1952 an der Universität
Kassel. Veröffentlichungen und Vorträge
u. a. zur Geschichte des Sports.
Ralph Schock, Dr., geb. 1952 in Ottweiler;
Studium der Germanistik und Philosophie,
1984 Dissertation über Gustav Regler. Seit
1987 Literaturredakteur beim Saarländischen
Rundfunk. Journalistische und wissenschaftliche
Publikationen, zuletzt: Gustav Regler –
Klaus Mann – Briefwechsel, Frankfurt am Main
– Basel 2013.
Uschi Schmidt-Lenhard arbeitet z. Zt. als
Dozentin an VHS und Uni mit den Themengebieten
Deutsch als Fremdsprache, Autobiographie
und Wolfgang Staudte. Mitbegründerin
der Wolfgang-Staudte-Gesellschaft. Autorin
von kulturellen und wissenschaftlichen
Beiträgen für Hörfunk und Zeitungen.
Herbert Temmes, geb. 1969, Studium der
Geschichte und Germanistik; MBA Gesundheitsökonomie;
Geschäftsführer der Deutschen
Multiple Sklerose Gesellschaft LV Saarland
e. V.
Igor Torres, geb. 1968 in Concepción/Chile,
betreibt zusammen mit Carsten Diez das Architekturbüro
baubar I urbanlaboratorum in
Saarbrücken, www.baubar.de
Fabian Trinkaus, geb. 1980 in Homburg/
Saar, Studium der Geschichtswissenschaft und
Germanistik an der Universität des Saarlandes.
Promoviert seit 2009 im Fach Geschichte
an der Universität des Saarlandes und der
Universität Luxemburg zu Arbeiterexistenzen
und -bewegung in der Eisen- und Stahlindustrie.
Michael Weller, geb. 1975, Rechtsanwalt;
einer von zwei Geschäftsführern der Europäischen
EDV-Akademie des Rechts gGmbH in
Merzig, beteiligt an der Portierung der Creative
Commons Public Licenses 3.0 DE, Mitglied
des Autorenteams des juris Praxis-Report
IT-Recht und des juris AnwaltZertifikatOnline
IT-Recht sowie Mitinitiator der Cultural Commons
Collecting Society (C3S).
Rolf Wittenbrock, Dr., ehem. Schulleiter des
Deutsch-Französischen Gymnasiums
in Saarbrücken
und bis 2012 Leiter des Planungsbüros
Schwerpunkt Europa an der Universität
des Saarlandes. Historiker mit Forschungen
zur Stadtgeschichte in der Großregion. Arbeiten
zur Geschichtsdidaktik und zur Erinnerungskultur
in Deutschland und Frankreich.