Editorial #127


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

die Aufmerksamkeit für unsere Winterausgabe Nr. 126 mit ihren 12 verschiedenen Titelseiten war groß. Volker Schütz hatte diese mithilfe von künstlichen neuronalen Netzen entworfen. Aufgrund dieser Arbeit wurde der Künstler nach Wien eingeladen. In einem der schönsten Literaturcafés der Stadt sprach er dann auch über seine Arbeit für unsere Zeitschrift. Die Saarbrücker Galerie Sali e Tabacchi würdigte den Künstler mit der Ausstellung »zeichen:wende Vom Ende der Kunst«.

So revolutionär wie im Winter geht es in dieser Ausgabe nicht zu. Exquisit ist das Heft allemal: Erstmals auf Deutsch bringen wir in unserer Galerie eine Episode der in Amerika und Frankreich bereits berühmten Comicserie »Fungirl«. Die Schöpferin des Fungirls lebt in Saarbrücken und heißt Elizabeth Pich. Ihre Heldin ist eine emanzipierte junge Frau, an deren Alltag die Autorin uns teilnehmen lässt. »Fungirl« passt perfekt zum Schwerpunkt diese Ausgabe, in der wir uns mit der Frauenbewegung, männlicher Gewalt und den vielfältigen strukturellen Benachteiligungen von Frauen beschäftigen. Das sind auch die Themen, über die Annie Ernaux, Literaturnobelpreisträgerin 2022, in ihren Büchern schreibt. Sie war mehrmals zu Gast in Saarbrücken. Wir freuen uns, dass die Leiterin der SR-Literaturredaktion Tilla Fuchs und ihr ehemaliger Kollege Ralph Schock uns ihren Text über Saarbrücken im Original und in deutscher Übersetzung zur Verfügung gestellt haben.

Wie Annie Ernaux kämpft auch die saarländische Frauenbewegung um Emanzipation und Würde der Frau. Ihre Geschichte erzählt Annette Keinhorst, langjährige Leiterin der FrauenGenderBibliothek in Saarbrücken. Ein Ergebnis der Bewegung ist die Einrichtung der Stelle einer kommunalen Frauenbeauftragten. Wir haben mit Lisa Schneider, der neuen Frauenbeauftragten der Landeshauptstadt, über ihre Arbeit gesprochen. Die ökonomische Situation der Frauen im Saarland haben Jonas Boos und Céline Groß untersucht. Deprimierend sind auch die Statistiken über Gewalt gegen Frauen. Hier zeigt sich die Frauenfeindlichkeit in ihrer brutalsten Form. »So ist das Leben« – mit dieser Aussage versuchen immer noch viele Frauen, das Unerträgliche zu akzeptieren. Wir haben mit einer Frau gesprochen, die jahrzehntelang von ihrem Mann gequält wurde und der es gelang, sich zu befreien.

Andreas Morlo sprach exklusiv für die Saarbrücker Hefte mit drei AnwältInnen der Nebenklage über den Koblenzer Prozess im Mordfall Yeboah. Roland Röder analysiert den bisherigen Prozessverlauf und formuliert seine Erwartungen an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der jahrzehntelangen Ignoranz und des Versagens saarländischer Politik, Polizei und Justiz. Beim Verfassen dieses Editorials, am 9. Mai, gesteht der Angeklagte in Koblenz seine Beteiligung an dem Brandanschlag.
Über die Nachfolgegeneration der Rechtsextremisten hat unser neuer Autor Luca Zarbock recherchiert. Die Frage, wie es um den Waffenbesitz im Saarland bestellt ist, beantwortet für die Leser der Saarbrücker Hefte Emil Mura.
»So antidemokratisch wie die bewusste Verweigerung oder Sabotage wirksamer Klimapolitik kann kein Protest der ›Letzten Generation‹ sein.«, findet Simon Ohliger in seinem Text über die KlimaaktivistInnen.
Im zweiten Teil der Geschichte der Saar-Uni beschreibt Reiner Eisfeld, wie es Ministerpräsident Franz-J. Röder 1968 gelang, den linksliberalen Professor Christian Graf Krockow von der Uni zu vertreiben. Bleiben darf der verurteilte NS-Kriegsverbrecher Ernst Röchling als Ehrensenator. Dennis Kundrus hat darüber mit der Expertin für die Kriegsverbrecherprozesse in Rastatt, der in Grenoble lehrenden Historikerin Françoise Berger, gesprochen.

Die Hefte gratulieren dem buchladen in Saarbrücken zu seinem 50-jährigen Geburtstag. Ekkehart Schmidt porträtiert das Geburtstagskind. In unmittelbarer Nachbarschaft des buchladens befindet sich unser neuer Redaktionssitz: der Kultur- und Werkhof Nauwieser 19, den wir in dieser Ausgabe vorstellen.
Marie Luise Scherer, die in Riegelsberg geborene Schriftstellerin, ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Sie fand keinen Platz in der saarländischen Medienlandschaft, wechselte deswegen zum Spiegel in Hamburg. Und wurde berühmt für ihre Reportagen. Ralph Schock würdigt sie in einem Nachruf.

Auch in dieser Ausgabe müssen wir über eine mangelhafte Finanzierung jammern. Die im letzten Jahr angekündigte institutionelle Förderung der Stadt ist bisher nicht eingetroffen. Wir warten wie so viele andere auf das Inkrafttreten der neuen Förderrichtlinien! Auch ist bis jetzt, Stand 9. Mai, der städtische Haushalt nicht genehmigt!! Dies hat zum Glück keine Folgen für unsere redaktionelle Betreuung und Verwaltung, da wir diese sowieso nicht bezahlen. Das Geld brauchen wir allerdings. Weil wir großen Wert darauf legen, unsere Autorinnen und Autoren und die freiberuflichen Lektorinnen für ihre Arbeit zu entlohnen. Deshalb versuchen wir, stets neue Partner zu finden, die eine Anzeige in den Saarbrücker Heften schalten wollen.

Liebe Leserinnen und Leser, Sie sind das Wichtigste für unsere Zeitschrift. Gerne möchten wir die Zahl der Abonnements erhöhen. Dies würde unsere finanzielle Grundlage stärken und uns weniger abhängig von unberechenbaren öffentlichen Zuwendungen machen. Wir wollen Ihnen die Entscheidung hierfür erleichtern und machen Ihnen ein unwiderstehliches Angebot (siehe Seite 33): Sie erhalten für den Abschluss eines Abonnements ein wertvolles Geschenk, welches sie sich aussuchen können, solange der Vorrat reicht. Dazu gehören die Reportagen des tschechischen Journalisten Franta Kocourek über die Saarabstimmung 1935, die in einer schönen Buchausgabe erschienen sind. Signierte Bücher von Lukas Bärfuss, Jón Kalman Stefansson, Jaroslav Rudiš und Klaus Gietinger stehen auch bereit. Sowie die DVD mit der kritischen Dokumentation über das Bahnprojekt »Stuttgart 21« von Klaus Gietinger.

Im Namen der Redaktion wünsche ich Ihnen einen schönen Sommer

Ihre Sadija Kavgić

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